Postnatale Depression – Schinkenfrust
oder zwischen zwei Manuskripten

Und ihr so?

von Regina MengelKolumne_allg_02

Buch fertig – Autorin auch, fertig und im tiefen, tiefen Loch.

Das geht nicht nur mir so. Wenn ich mit KollegInnen spreche, höre ich oft, dass auch andere nach einem Buch erst einmal eine Weile down sind. Irgendwie ist es beruhigend, mit dieser Thematik nicht allein dazustehen, auch, wenn ich es eigentlich total beknackt finde, mich besser zu fühlen, nur weil es anderen ebenfalls schlecht geht. Aber so ist das nun mal, und die Frau Autorin ist ja auch nur ein Mensch.

Aber woher kommt dieses Tief? Kann mir das mal jemand erklären? Müsste ich nicht eigentlich glücklich und zufrieden darüber sein, das Buch fertiggestellt zu haben, mich mit Feuereifer auf Marketingaktionen stürzen und das frischgeborene Baby anbieten wie Sauerbier, auf dass es wenigstens drei bis fünf Käufer finde?

Ja, müsste ich. Stattdessen überkommt mich, kaum, dass ich die letzte Zeile überarbeitet habe, die nachbuchgeburtliche Depression, die besonders heftig ausfällt, je fetter der Schinken war, den ich da verfasst habe. Ich nenne das Phänomen liebevoll ‚Schinkenfrust‘.

Draußen scheint die Sonne, und ich komme mit dem Hintern nicht hoch. Möchte am liebsten im Bett bleiben und den Mist verschlafen. Natürlich weiß ich, dass der Frust verfliegt, wenn ich ein neues Buch anfange. Aber dafür fehlt mir die Motivation. Außerdem ist meine Muse auf Abwegen, entweder hat sie heimlich eine zweite Geliebte, oder sie macht auch einfach mal Urlaub. Auf jeden Fall ist sie weit weg. Vor allen Dingen in der Zeit, in der ich mich mit Marketingthemen befasse. Markteting und Kreativität gehen bei mir einfach nicht zusammen. Dabei sollte man meinen, es wäre ganz einfach sich vormittags mit dem einen und nachmittags mit dem anderen zu befassen.

Nope – nicht mit mir. Da geht nur ‚entweder’ ‚oder’. Also hänge ich in der Deprischleife, solange, bis sie eines Tages ohne erkennbaren Grund endet. Solange, bis mich die Muse anspringt, mir ins Kreuz tritt und mir das Schreibprogramm öffnet. Erst mal den Anfang schreiben, danach wird geplottet.

Aber das erklärt dennoch nicht meinen Schinkenfrust. Warum falle ich jedes Mal in ein tiefes Loch, aus dem ich mühsam wieder herauskrabbeln muss? Wahrscheinlich könnte mir jeder dahergelaufene Psychologe das Phänomen erklären, aber brächte mich das weiter? Ich weiß nicht. Zu wissen, warum ein Zustand eintritt, ist sicher hilfreich, aber es verhindert den Zustand dennoch nicht.

Dennoch sitze ich hier und sinniere vor mich hin. Geht es mir beim Lesen eines Buches nicht auch oft so, dass ich nicht mehr aus der Welt auftauchen möchte, in die ich hineingekrochen bin und die ich mit Haut und Haaren fühle? Dass ich die Figuren, die ich liebgewonnen habe, nicht gehen lassen will? Hat die postnatale Depression ähnliche Ursachen? Kann ich mich aus der von mir selbst geschaffenen Welt nicht lösen?

Das klingt auf den ersten Blick absolut logisch, doch etwas stimmt an dieser Überlegung nicht. Zunächst einmal schreibe ich gerade an einer Trilogie und stecke zwischen dem 2. und dem 3. Band. Ich muss also gar nicht Abschied nehmen. Außerdem hat die Beziehung zu meiner Buchwelt und meinen Figuren in den letzten Wochen – den Überarbeitungswochen – stark gelitten. Wenn man ein Buch x Mal von vorn bis hinten, von oben bis unten durchgeackert hat, ist selbst die spannendste Geschichte stinklangweilig. Und tatsächlich bin ich einigermaßen froh, mal eine Weile Abstand zu haben. Es muss also eine andere Ursache haben.

Vielleicht liegt es am Ende als solchem? Als ich noch meinen Bürojob hatte, gab es nie ein Problem mit einer glücklich zum Ende gebrachten Aufgabe. Im Gegenteil, es stellte sich vielmehr ein Hochgefühl ein. Aber diese Aufgaben waren ja fremdgesteuert, selbst, wenn ich noch so viel von meinen Fähigkeiten einbringen konnte. Mööp, dieser Gedankenweg ist ebenfalls aus Holz.

Hm? Liegt der Grund womöglich darin, dass so ein Buch komplett MEINS ist, aus meinem Kopf, meinem Bauch, aus meiner Fantasie, meinen Emotionen, meinen Erfahrungen geboren wird? Geht da ein Stück meines Ichs in die weite Welt, das ich loslassen muss? Wie eine Mutter ihre Kinder, wenn sie erwachsen werden? Aber das klingt für mich viel zu melodramatisch, wenn nicht gar grob unsinnig. Schließlich bleibt alles, was in einem Buch verarbeitet ist, dennoch bei mir, es löst sich nicht ab und verschwindet im Nirwana.

Je länger ich darüber nachdenke, desto irrationaler – ich möchte mich nicht öffentlich ‚verrückt’ nennen – erscheinen mir meine Überlegungen. Alles Unfug. Im Grunde weiß ich mit Sicherheit nur Eines: Ich habe keine Antwort! Müsste ich aber dennoch eine finden, würde ich wohl sagen: Es ist eine Mischung aus allem, möget ihr euch selbst zusammenstückeln, was davon für euch passt.

Und ihr so?

3 Replies to “Postnatale Depression – Schinkenfrust
oder zwischen zwei Manuskripten

  1. Patricia Jankowski

    Ja, ich kenne dieses „leere“ Gefühl am Ende eines Romanprojekts auch.
    Bei mir ist es aber tatsächlich wirklich das Gefühl, leer zu sein. Dumpf, ohne Inhalt – und somit auch ohne Antrieb.
    Bis mich die Muse wieder beißt 😉

  2. Patricia Strunk

    Ich kenne dieses Tief nach Büchern, die mir als Leserin besonders gut gefallen haben. Da geht dann einige Tage erst mal gar nichts. Als Autorin hatte ich dieses Gefühl noch nicht. Nach meiner Trilogie war ich eher erleichtert, es endlich geschafft zu haben. Der Druck, meine selbstgesetzten (und verkündeteten) Veröffentlichungstermine einzuhalten, war doch enorm und acht Jahre Arbeitszeit insgesamt sind eine lange Zeit. Irgendwann ist auch mal gut. Ich wollte einfach etwas Neues, egal wie sehr mir meine Charaktere ans Herz gewachsen waren. Ich hatte eher Sorge, keine neue Idee zu haben, aber glücklicherweise stellte sie sich schon während der Überarbeitungsphase von Band 3 ein. Mal sehen, wie es mir geht, wenn das aktuelle Projekt abgeschlossen ist. 🙂

    1. Katharina Gerlach Post author

      Hallo, ich freue mich, dass du das Gefühl kennst, wenigstens aus Leserperspektive.