Von René Grandjean
Sie sind ein unabhängiger Autor und spielen mit dem Gedanken sich dem Qindie Autorenkorrektiv anzuschließen? Bevor Sie eine Mail verschicken, die Ihr Leben für immer verändern soll, lesen Sie unbedingt diesen schockierenden Bericht eines Betroffenen. Erfahren Sie die schonungslose Wahrheit, wie es mir erging in der Gewalt der Qindieaner!
Ich weiß es noch wie gestern. Nach unzähligen Wochen zähen Wartens hatte mir auch die letzte Literaturagentur eine Absage oder das freundliche Angebot zukommen lassen, mein jüngst vollendetes Skript liebend gern zu perfektionieren – gegen eine kleine Unkostenbeteiligung. Weil ich ein höflicher Mann bin, der bedingungslos an das Gute im Menschen glaubt und meine Stadt schon überlaufen von halb verhungerten, verwahrlosten Literaturagenten, die ahnungslosen Autoren in dunklen Ecken auflauern, um sie gegen ihren Willen zu lektorieren, war es meine heilige Pflicht und ein Akt der Nächstenliebe, diesem dahinsiechenden Zweig des Literaturbetriebes, dessen Absichten stets die edelsten waren, finanziell unter die Arme zu greifen.
Nach wenigen Wochen hatte sich meine Geschichte „Make new Memory oder wie ich von vorn begann“ entweder in einen Klon von „Tschick“ oder eine ziemlich exakte Kopie von „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ verwandelt. Meine dahin gehenden Zweifel, was Eigenständigkeit und Originalität anging, wurden mit der völlig richtigen Aussage zerstreut, dass diese Bücher sich doch hervorragend verkauft hätten. Für logische Argumente dieser Art bin ich stets zugänglich. Mich störte ein wenig, dass das Cover meiner Veröffentlichung eine Bearbeitung der Cover der oben erwähnten Werke war – man hatte den Originaltitel mit Edding durchgestrichen und meinen daneben gekritzelt – aber was verstehe ich schon vom Geschäft? Mit Hilfe einer der Agenturen veröffentlichte ich schließlich über einen Druckkostenzuschussverlag. Die Damen und Herren, davon bin ich überzeugt, taten ihr Möglichstes. Mein Buch lag deutschlandweit in den Läden, hinten links im Keller, wo kein Licht brennt. Die miserablen Verkaufszahlen, erklärte man mir, resultierten zweifelsfrei aus der mangelhaften Qualität meiner Geschichte. Die Achtziger Jahre, in die ich meinen Protagonisten zurückschickte, seien aktuell ungefähr so beliebt wie etwas, das die Katze aus dem Garten mit ins Wohnzimmer schleppt und das noch nicht einmal richtig tot ist. Wusste ich nicht, gestand ich ein, legte den Hörer auf die Gabel und ging in einen örtlichen Club auf eine Achtziger Jahre Party mit etwa 3000 Besuchern.
Zu meiner Überraschung kam es noch schlimmer. Von den dreizehn verkauften Exemplaren meines Buches fand eines seinen Weg ausgerechnet in das Verlagshaus, aus dessen Fundus Teile meiner Geschichte entliehen waren. Meine Argumente, es handle sich um eine liebevolle Hommage, trafen bei Richter und Urheber auf taube Ohren. Finanziell bereits stark angeschlagen brachte die folgende Klagewelle mich vollends aus dem Gleichgewicht. Ausgepresst wie eine Orange verlor ich Haus und Hof, Kind und Kegel, Jacht und Pferdepflegerin. Die Katze verließ mich und nahm meine Frau mit. Ich lag am Boden. Hätte ich gewusst, wo es in Bonn Crystal Meth zu kaufen gibt … Sei’s drum.
Wochen vergingen.
Im kalten Licht einer nackten Glühbirne saß ich auf einer Apfelsinenkiste in meinem abgerockten Einzimmerappartement und durchsuchte das Internet nach Stellenangeboten. Mir schwebte eine Karriere als Spargelstecher oder Teilzeit-Autowäscher vor. Ganz in Ruhe von vorn beginnen war mein Plan. Warum ich mich plötzlich auf Internetseiten mit zweifelhaften Inhalten wiederfand – die schmutzigen Details sollen hier unerwähnt bleiben – kann ich nicht rekonstruieren, doch sprang mir dort die knallbunte, aufdringlich flackernde Werbung des Qindie-Autorenkorrektivs ins Auge. Qindie ist ein Zusammenschluss von Autoren und Autorinnen, die sich zur Aufgabe gemacht haben, guten Büchern ein Zuhause zu geben, stand da geschrieben. Die Idee, als Autor Teil dieser Vereinigung zu werden, kam mir gar nicht. Ich hoffte darauf, illegal ein paar E-Books abstauben zu können. Oft denke ich an diesen Moment zurück und wünschte, ich hätte den folgenden Klick nicht getan. Denn kaum hatte mein Mauszeiger die besagte Werbung auch nur zart gestreift, schlug mein Virenscanner erst Alarm, um dann direkt vor meinen staunenden Augen Selbstmord zu begehen. Hilflos sah ich zu, wie sich wie durch Geisterhand der komplette Inhalt meiner Festplatte kopierte: Persönliche Daten, Familienfotos, ITunes-Bibliothek und das Manuskript meines Buches, welches mir soviel Pech gebracht hatte, verschwanden wie durch ein Wurmloch im digitalen Nirwana. In meiner Panik zog ich den Stecker des Rechners – ohne Erfolg. Erst als der Download beendet war, schaltete er sich aus und meine Glühbirne platzte.
Auf solch rätselhafte Ereignisse reagiere ich wie jeder normale Mann: Ich ging schnurstracks in die nächste Kneipe und trank Bier und Schnaps, bis die Grenze von Traum und Wirklichkeit vollends ausgelöscht war. So angeschlagen mag sich in meinen folgenden Bericht die eine oder ander Ungenauigkeit eingeschlichen haben. Dennoch schwöre ich beim Leben von Stephen King, dass es sich genau so zutrug. Zumindest so ähnlich.
Ich stand schwankend auf meiner Türschwelle, das verflixte Schlüsselloch sprang von einer Seite zu anderen wie ein Knallfrosch, als ein Geräusch meine Aufmerksamkeit erweckte. So schnell wie es mir möglich war drehte ich mich um. Zwei vermummte Gestalten sprangen auf mich zu und zogen mir einen Sack über den Kopf. Ich wehrte mich, schlug wild um mich, kämpfte um mein Leben, brüllte, bis ein gezielter Schlag mein Licht ausknipste.
Langsam komme ich zu mir. Mein Kopf schmerzt. Es scheint etwas Zeit vergangen, denn ich fühle mich nüchtern. Vielleicht liegt es aber auch an dem Schock, denn ich bin nicht allein. Eine große Schar vermummter Gestalten steht im Kreis um mich herum. Sie tragen Kutten wie Mönche und Kapuzen, die ihre Gesichter verbergen. Ein großes Lagerfeuer vertreibt die Dunkelheit der Nacht. Das Feuer wirft Schatten in die dichten Baumkronen des Waldes, der uns umgibt.
„Dies ist kein Märchen“, sagt eine der Gestalten, die anderen wiederholen es im Chor wie ein Mantra. Mir wird angst und bange.
„Es ist ein Zwischenstopp in einer dunklen Geschichte“, fahren sie fort. „Wir wissen, wie das Schneeglöckchen zu seiner Farbe kam. Die Geheimnisse von Blut und Liebe sind uns geläufig. Wir haben Werwölfe und andere Sorgen, bis die Reise der blauen Perle den Sommer in Venedig und den Winter auf Italienisch mit dem Rosenkranzmörder verbindet. Wir sind die Qindieaner.“
Die Szenerie ist so rätselhaft wie bedrohlich.
Plötzlich löst sich eine der Gestalten aus den geschlossenen Reihen.
„Der Administrator“, jubilieren sie.
Bevor ich weiß wie mir geschieht schlägt der Administrator mir mit einem steinernen E-Book-Reader vor die Stirn. Ich glaube, es ist der Reader eines bekannten Online-Händlers, aber sicher bin ich mir da nicht.
„Wehr dich“, brüllt der Administrator und wirft mir meine Waffe zu: der Process von Kafka in der Reclam Ausgabe.
Sicher können Sie sich vorstellen, wie übel ich verdroschen wurde.
Grün und Blau geprügelt liege ich im Staub. An meiner Seite eine Frau, wie ich an der Stimme erkenne. Sie erzählt mir die Geschichte vom kleinen Hasen Krümelnase, bis ich wieder bei Kräften bin.
Um das Feuer haben sie Bücher gestapelt, mannshohe wackelige Türme aus Literatur.
Feuer, Bücher – ich weiß, was sie jetzt denken. Sie liegen richtig: Wir haben sie alle gelesen!
Es gibt keine Grenzen zwischen den Genres, keinen Unterschied zwischen trivial und anspruchsvoll, Chick-Lit und Coming of Age, Science oder Fiction. Es gibt nur gute oder schlechte Geschichten. Jón K Stefánsson, Breat Easton Ellis, Douglas Coupland, Matt Ruff, Neil Gaiman, David Mitchell, Haruki Murakami, Rob Sheffield, Philip K. Dick, Stanislaw Lem, Ray Bradbury. Ich erbreche Buchstaben, mein Kopf ist voll, mein Herz quillt über, ich winsele um Gnade, doch sie sind unerbittlich. Wir lesen, wir diskutieren, wir rezensieren und die Nacht scheint endlos. Außer mir sind alle unermüdlich und eifrig bei Sache, als gäbe es auf der Welt nichts außer dem geschriebenen Wort. Dass dies alles nur eine Einstimmung ist, für das was folgen soll, erkenne ich schnell.
Denn jetzt kommt sie, die sie Susanne nennen, wie ich den lauten Jubelrufen entnehme. Sie tritt in den Feuerschein, eine Ausgabe meines Buches bei sich.
„Ja, nein, Bronzestatus?“, fragt sie die Menge, die beim Klang ihrer Stimme in ehrfürchtiges Schweigen verfällt. Viele werfen sich ihr zu Füßen und gestehen mit tränenerstickten Stimmen, dass sie es nicht gelesen haben. Doch ihre Furcht ist unbegründet, denn Susanne liest es ihnen vor. Das ist mir unangenehm, ich fühle mich nackt und schutzlos, doch die Qindieaner lauschen aufmerksam bis zum Schluss und manche machen sich sogar Notizen. Dann diskutieren sie ruhig und gesittet das Für und Wieder meines Werkes. Jeder trägt seine Meinung vor, und wenn er oder sie endet, erscheinen neue Sterne am schwarzen Nachthimmel. Mal einer, mal drei, mal fünf. Mir ist das Sprechen nicht verboten, aber unmöglich. Wie sehr ich mich auch bemühe, kein Laut kommt über meine Lippen. Das ist schwer auszahlten, weil ich mich zu unrecht kritisiert oder missverstanden fühle. Meine Versuche, mich nonverbal in die Diskussionen einzuklinken, ignorieren sie, als wäre ich unsichtbar. Endlich hat jeder seinen Senf … Entschuldigung … seine wohldurchdachte Meinung verkündet. Susanne zählt die Sterne, zuckt mit den Schultern und murmelt knapp „Bronze.“ Ich weiß nicht genau, was das bedeutet, aber es erinnert mich unangenehm an Begriffe wie zweiter Sieger, Siegerurkunde oder Bronzemedaille, alles blumige Umschreibungen für voll verkackt, Kollege! Das scheint Susanne an meinem enttäuschten Blick ablesen zu können, denn sie klärt mich über meinen Irrtum auf:
„Autoren, die hohes Potenzial aufweisen, deren Bücher aber noch nicht dem Qindie-Standard entsprechen“, sagt sie, „erhalten die Möglichkeit, in das Qindie-Netzwerk einzutreten und dort professionelle Unterstützung und Tipps und Tricks aus dem Kreis erfahrener Autoren zu bekommen.“
Nicht schlecht, denke ich, doch als das Wort Autorenförderung fällt, drehe ich durch und versuche mich panisch in das große Lagerfeuer zu stürzen. Es braucht viele starke Qindieanerarme, um mich davon abzuhalten. Es gelingt ihnen mich zu beruhigen, indem sie mir die Geschichte vom klimperkleinen Drachen erzählen. Ganz bezaubernd.
Um meinem Buch neues Leben einzuhauchen, spielen wir die Story mit verteilten Rollen nach. Mir fällt die von Nori Greth zu, der durch die Zeit zurückreist, um den Tod seines Vaters und ein verheerendes Bombenattentat auf das Live Aid Festival in London zu verhindern. Wir probieren alle möglichen Varianten durch und gehen jeder Idee nach, wie seltsam sie sich auch im ersten Moment anhören mag. Die surrealen Autoren möchten, dass die Rolle der Mutter von einer sprechenden Ziege übernommen wird, was ich interessant finde, doch die Fantasy-Fraktion bemängelt, dass die Zwerge zu kurz kommen. Ich erkläre, dass Zwerge in meinem Buch gar nicht vorkommen, was zu Tumulten führt. Die Science-Fiction-Schreiber zerstören den Plot, weil sich mit Beamen die London-Reise des Protagonisten von einem Abenteuer in ein Nichts verwandelt. Die Sachbuchautoren recherchieren jede popkulturelle Referenz auf Richtigkeit, bis sie vergessen haben, woran wir arbeiten. Wir verraten es ihnen nicht und machen ohne sie weiter. Trotz größter Mühe gelingt es uns nicht, Leo Lampenfisch sinnvoll ins Buch zu integrieren. In einer Pause essen wir – erraten Sie es? – Buchstabensuppe. Es ist zäh, es nervt, es schmerzt und zieht sich wie Gummi, doch schließlich erreichen wir den lang ersehnten Schluss. Wir liegen uns in den Armen, weinen, lachen und klopfen uns begeistert auf die Schultern. So ausgelassen ist die Stimmung, dass ich mich wie automatisch nach was zu trinken oder einer Theke umschaue – da bemerke ich sie: In der Finsternis des uns umgebenden Waldes sind ihre Silhouetten noch schwärzer als die Nacht selbst und nur ihre Augen glühen wie rote Kohlen. Und es sind unzählbar viele. Ich mache die Qindieaner auf sie aufmerksam.
„Rührt euch nicht“, raunen sie sich ängstlich zu, „sie haben uns gefunden. Die Leser sind da!“
Bibbernd kauern wir uns zusammen, als die Leser den Kreis immer enger ziehen, und manch einer spricht ein Gebet zum großen Lektor und fleht um Vergebung. Doch als die Leser in den Feuerschein treten, sind es nicht ihre Augen, die rot glühen, sondern die Akkuleuchten ihrer Smartphones, Tablets und Reader. Und die meisten von ihnen sind richtig niedlich.
Jetzt, wo ich in Ruhe darüber nachdenke, muss ein eingestehen, dass dieser Bericht nicht ganz der Wahrheit entspricht. Ich hatte keinen Bronzestatus und eine Pferdepflegerin hatte ich auch nie. Sorry, Stephen.