Von Mutterschutz, Spannung und Teamarbeit: Martina Bauer im Qinterview

Zuallererst müssen wir uns für die Geduld bedanken. Bei euch Lesern, weil es so lange kein Qinterview gab, bei Martina Bauer, weil sie die Fragen schon lange beantwortet hat, wir aber einfach nicht dazu gekommen sind, sie online zu stellen.
Auch mit Martina haben wir unser zweites Qinterview geführt.
Und das Gute daran ist, die Fragen und Antworten ändern sich.
Aber lest selbst:

1.    Hallo Martina, wir hatten ja schon einmal das Vergnügen. Stellst du dich den wenigen Menschen, die dich noch nicht kennen, kurz noch einmal vor?

Den wenigen Menschen, die mich noch nicht kennen? Florian, du bist ein Scherzkeks! Aber ich mag Menschen mit Humor, daher komme ich deiner Bitte sehr gerne nach. Jedoch antworte ich lieber nicht im Stil meiner Geschichten, sonst wird das hier zu blutig. Ich bleibe besser einfach ich selbst.
Meine Bücher veröffentliche ich unter meinem richtigen Namen (mit Ausnahme des Pfälzer Kettensägen-Massakers, da habe ich ein Pseudonym verwendet). Ich war schon immer eine Leseratte. Als Kind nötigte ich meine Mutter pausenlos, mir vorzulesen, bis sie irgendwann sagte:“ Jetzt reicht’s! Dann lern halt selber lesen!“ Tja, das habe ich gemacht, irgendwann in der Vorschulzeit. Seitdem gab es wohl keinen Tag, an dem ich nicht mehr oder weniger lange mit einem Buch beschäftigt war. Als Jugendliche stieß ich auf Stephen Kings Bücher, die mich so begeisterten, dass ich beschloss, es selbst einmal zu versuchen; denn Geschichten habe ich mir ausgedacht, seit ich denken kann. Bis es so weit war, sie einer breiten Masse zu präsentieren, sollten aber noch einige Jahre verstreichen.
Ich habe nach der Schule als Industriekauffrau gearbeitet (eine Idee meiner Eltern) und bald zur Krankenschwester umgeschult. In diesem Beruf arbeite ich heute noch. Ernsthaft mit dem Schreiben begonnen habe ich in der Schwangerschaft. Ich wollte etwas tun, worauf mein Sohn eines Tages stolz sein kann; etwas, das nicht jeder macht. Zwei Monate vor dem Geburtstermin saß ich im Mutterschutz gelangweilt zuhause, war zu kugelrund, um etwas körperlich Aktives zu unternehmen, also startete ich mit meinem ersten Roman. Ich habe mich hingesetzt und drauflosgetippt, einfach so. Tja, und dann hat mich das Fieber gepackt und nicht mehr losgelassen.

2.    Nicht im Qindie-Regal, da glaube ich bei Knaur erschienen, ist deine Zusammenarbeit mit dem Kollegen L.S. Anderson, wie kam es dazu?

Ich hatte die Idee zu einer trashigen Geschichte über eine Gruppe junger Leute, die eine Abkürzung durch ein ihnen fremdes Waldgebiet nehmen und das pure Grauen erleben. Klingt im ersten Moment nach 0815-Horror, aber ich kann dir versprechen, „Die Mikrobe“, wie die Novelle hieß, hat weit mehr hergegeben! Ich hatte diese Geschichte bei Neobooks für den Wettbewerb eingestellt, wo sie heiß diskutiert wurde. Sie wurde natürlich nicht ins Verlagsprogramm genommen bzw. gescoutet, wie sie es heute nennen, aber eine Menge Leute haben mich im Nachhinein auf die Geschichte angesprochen, weil sie ihnen im Gedächtnis hängen blieb. Vielleicht, weil die Figuren diese Art Horror erleben, der jeden von uns treffen kann? Ich weiß es nicht. Irgendwas hatte die Geschichte halt. Und ich mochte sie sehr.
Jedenfalls fragte L.S. Anderson, mit dem ich gelegentlich Kontakt hielt, hartnäckig nach der Mikrobe, und ob ich das Manuskript wirklich in der Schublade versauern lassen wolle. Bis er dann mit seiner Idee herausrückte: Er mochte das Setting und die Story und hatte sehr gute eigene Ideen dazu, und er fragte mich, ob wir nicht zusammen einen Roman schreiben wollten. – Eine Vorstellung, die ich davor rigoros abgelehnt hätte. Jemanden in MEINE Story reinreden lassen? Niemals! Aber LSA ist einfach saugut (eine kleine Anspielung auf die tierischen Protagonisten in Höllenfahrt), und ich dachte sofort: Klar, warum nicht.
Wir legten das Procedere von Anfang an in einer Art Vertrag schriftlich fest, unter anderem auch, dass wir das Projekt sofort auf Eis legen würden, sobald es zu unüberwindbaren Differenzen kommen sollte, was aber glücklicherweise nicht der Fall war.

3.    Wie sah die Zusammenarbeit aus?

Zunächst entwarf LSA eine Art Storyboard, zu dem ich meinen Senf abgab. Ich hatte ja Glück, dass er so ein Gentleman ist und nie stur auf seiner Meinung bestand. Wir konnten wunderbar auf Augenhöhe diskutieren und fanden gemeinsam zu einem Ergebnis, mit dem wir beide sehr zufrieden waren. Schließlich begann LSA mit dem Schreiben. Immer wenn er etwa dreißig Seiten zusammen hatte, schickte er sie mir zur Überarbeitung. Und ich habe ganz schön gewütet, bis alles nach meinem Geschmack war!
Was niemand, weder Testleser noch Lektoren, gemerkt haben: Bei einigen wenigen Kapiteln war ich die Erstschreiberin und sie wurden von LSA überarbeitet. Wir haben es geschafft, einen einheitlichen Schreibstil zu finden. Ach ja, in der Qindie-Magazin-Ausgabe „Lila“ gibt es einen ausführlichen Artikel zu dieser Zusammenarbeit namens „Gemeinsam einsam – Über das Schreiben zu zweit“.

4.    Dein neuer Roman heißt „Die Tränen der Toten“. Worum geht es?

„Die Tränen der Toten“ handelt vom Schmuggel mit Kokain, dem sogenannten Bodypacking. Die Hauptfigur Tom Merten ist ein junger Mann, eine verkrachte Existenz, der beim Joggen im Wald die Leiche einer jungen Frau findet – eine Horrorvorstellung für uns alle. Er kennt die Frau aus dem Drogenmilieu, dem er eigentlich den Rücken kehrte. Durch den Fund wird er erneut hineingezogen in diese Spirale aus Sucht, Verbrechen und Gewalt. Tom Merten steckt in einem schlimmen Zwiespalt, weil er einerseits „sauber“ bleiben möchte und gar nichts mehr zu tun haben will mit seiner kriminellen Vergangenheit; andererseits steckt er in großer Geldnot, und der Gewinn aus dem Drogendeal, in den die Tote verstrickt war, könnte ihm aus dieser Patsche helfen.
Was würdest du tun, wenn du die prall gefüllte Tasche eines Bankräubers findest, die dieser auf der Flucht fallen lassen musste? Wenn du auf einen Schlag reich werden könntest, ohne jemanden direkt zu berauben oder ihm weh zu tun? Sehr viele, unbescholtene Bürger könnten dieser Versuchung nicht widerstehen und würden das Gesetz brechen, um zu Geld zu kommen.
Der Roman handelt also nicht nur von Koks und Kohle und Kriminalität, sondern von diesem Konflikt, den Tom Merten austragen muss. Ich mag diese Art von Konflikt, wenn Menschen vor sehr schwierigen Entscheidungen stehen; das ist eigentlich in jedem meiner Romane ein zentraler Punkt.

5.    Nach dem Horror probierst du dich also mal beim Krimi aus?

Mit Horror habe ich mal angefangen und trage in diesem Genre sehr gerne eine Kurzgeschichte bei, z.B. für die Bloody Qindie-Halloween-Anthologie. Aber meine Romane würde ich heute eher im Bereich „Thriller“ einordnen. Der Horror fließt da immer wieder ein, da möchte ich keine feste Grenze ziehen. In „Schlechtes Blut“ kommt er leise mit eher unterschwelligem Grusel daher, in „Höllenfahrt“ als blanker, blutiger Horrorthriller. In „Die Tränen der Toten“ als eine Art Horrortrip, den der Protagonist durchmachen muss.

6.    Ist es eher ein Ermittlungskrimi oder eine Run, Hide and Fight-Variante?

Mit Ermittlungskrimis hatte ich bisher nicht so viel am Hut. Ich habe zu sehr Hemmungen, die Mitarbeiter auf einem Polizeirevier zwecks Nachfragen und Recherche zu belästigen. Denn falsch darstellen möchte ich die Ermittlungsarbeit nicht.
Die Tränen der Toten ist ein klassischer Thriller mit der unmittelbaren Bedrohung der Hauptfigur und einem Konflikt, den sie austragen muss. Ich persönlich halte Die Tränen der Toten für eine sehr traurige Geschichte. Mit Tom Merten habe ich so mitgelitten, dass ich zwischendurch ein paar Monate pausieren musste mit dem Weiterschreiben. Er ist ja eigentlich ein unheimlich netter und gutmütiger Kerl, um den sich als Jugendlicher keiner gekümmert hat, bis er auf die schiefe Bahn geriet, und er setzt alles daran, das wieder gut zu machen. Aber die Vergangenheit lässt ihn nicht los und gibt ihm keine Chance. Toms Schicksal hat mich arg mitgenommen.
Diese Konflikte lasse ich meine Figuren gerne austragen. Ich glaube, das liegt mir. Meine Protas sind ja immer solche Anti-Helden, sie sind weder besonders beliebt noch wohlhabend noch übermäßig gebildet, aber ich gebe ihnen die Möglichkeit, zu zeigen, was in einem auf den ersten Blick unscheinbaren Menschen steckt, und wie er über sich selbst hinauswachsen kann. Sie alle tragen ein schweres Kreuz mit sich herum und müssen zusehen, wie sie damit fertig werden.
In meinem aktuellen Projekt spielt zwar eine Ermittlerin die Hauptrolle, aber sie handelt privat im Alleingang, daher ist das ein bisschen anders als in einem herkömmlichen Ermittlungskrimi.

7.    Jemand mag eigentlich keine Krimis, warum sollte er das Buch dennoch lesen?

Ich lege in meinen Romanen und Geschichten sehr viel Wert auf die Figuren und ihre Entwicklung sowie die Beziehungen, in denen sie leben, und das schätzen auch meine Leser. Auch Familienbande spielen eine große Rolle, was z.B. in „Schlechtes Blut“ sehr deutlich wird. Daher denke ich, meine Protagonisten können auch Bücherfreunde mit auf ihre Reise nehmen, die es ruhiger und weniger spannend mögen. Bücher sind Welten, in die man reisen kann, und warum soll ein Leser nicht auch mal ein Land bereisen, das ihm zunächst fremd scheint!
Dennoch versuche ich für gewöhnlich nicht, einen genrefremden Leser von meinen Büchern zu überzeugen. Irgendwelche blutige Ekelszenen kommen bei mir ja immer vor, und das ist nun mal nichts für jeden. Ich will niemandem den Schlaf rauben oder ihm Alpträume bescheren.
Was jetzt speziell „Die Tränen der Toten“ betrifft: Drogen sind ja ein aktuelles Thema, das in jedermanns Umfeld auftauchen kann. Warum also nicht darüber lesen und mehr erfahren? -Ich selbst habe übrigens mit Drogen nichts am Hut und hatte es auch nie. Ich habe noch nicht mal einen Joint geraucht. Ich habe total Bammel vor diesem Zeug und dem Milieu und will absolut nichts damit zu tun haben. Ich musste sehr gründlich recherchieren für diesen Roman und es fiel mir nicht leicht, mich in das Thema hineinzufinden und zu verstehen, wie solche Menschen ticken.

8.    Hast du versucht, den Roman bei einem Verlag unterzubringen oder stand für dich gleich fest, dass du es unabhängig veröffentlichst?

Ich hatte natürlich darüber nachgedacht, das Buch einem Verlag anzubieten, zumal ich ja bei Knaur einen Fuß in der Tür habe. Aber dann habe ich mich vom Erfolg meines Indies „Schlechtes Blut“ verleiten lassen, es erneut als Selfpublisherin zu versuchen. Weder mochte ich wochen- oder monatelang warten, ob mein Buch ins Verlagsprogramm passt, noch wollte ich Gefahr laufen, dass meine Geschichte von einem übereifrigen Lektor zu sehr „gestutzt“ wird, oder dass mir das Cover nicht gefällt.
Es macht mich ganz verrückt, dass ich die Verkaufszahlen bei meinen Verlagsbüchern nicht selbst permanent im Blick habe, und dass ich nicht eigenständig entscheiden kann, ob ich eine Werbeaktion oder Preisaktion für sinnvoll halte.
Also habe ich davon abgesehen, das Manuskript einem Verlag vorzustellen. Im Nachhinein weiß ich nicht, ob diese Entscheidung richtig war.
Wie ich mit meinem nächsten Roman verfahren werde, wenn das Manuskript soweit fertig ist, weiß ich selbst noch nicht. Insgeheim träume ich immer noch davon, als angesehene Autorin bei einem Publikumsverlag unterzukommen, der in meine Werke investiert und an mich glaubt. Ich möchte an einer Buchhandlung vorbeikommen und sagen: He, da steht mein Roman im Schaufenster!

9.    Wie sind deine bisherigen Erfahrungen mit Self-Publishing?

Da habe ich bei Frage 8 ja schon einiges erzählt. Wie gesagt, ich mag die Eigenverantwortlichkeit. Ich treffe meine Entscheidungen am liebsten selbst und mache mich nicht gerne abhängig. Mit Jacqueline Spieweg habe ich eine sehr gute Coverdesignerin gefunden und mit Christine Bendik die Lektorin meines Vertrauens.
Ein großer Nachteil ist, dass man das alles selbst bezahlt und nicht weiß, ob man die Ausgaben wieder einholen wird.
Aber so ganz alleine auf weiter Flur stehe ich ja auch nicht da – schließlich bin ich Mitglied bei Qindie : Gerade wenn ich an die Leipziger Buchmesse denke, was wir da zusammen auf die Beine gestellt haben. Da war ich richtig stolz, eine Selfpublisherin zu sein. Und die Leute auf der Messe haben so positiv auf unseren Stand reagiert!

10.    Hat sich seit unserem letzten Qinterview aus deiner Sicht etwas verändert und wenn ja, was?

Für Selfpublisher ist es definitiv schwieriger geworden, sich auf dem Markt zu behaupten. Die Konkurrenz ist erdrückend und man muss wesentlich mehr Bücher verkaufen, um in einer der beliebten Ranglisten bei Amazon zu landen, ich meine den Top 100 eines Genres. Von den Top Ten rede ich schon mal gar nicht …
Ich musste in den letzten Monaten feststellen, dass viele Verkaufs- oder Gratisaktionen nicht mehr so ziehen wie noch vor wenigen Jahren. Das höre ich auch von anderen Indie-Autoren. Das verunsichert mich derzeit etwas. Aber kommt Zeit, kommt Rat. Ich lasse die Entwicklung des Indie-Marktes auf mich zukommen. Es bleibt mir ja auch gar nichts anderes übrig.

11.    Was könnte für Selfpublisher noch besser werden?

Hauptsächlich die Präsenz im stationären Buchhandel! Das halte ich für unabdingbar, wenn wir Selfpublisher uns wirklich etablieren wollen. Ich merke bei meinen Lesern, dass ihnen gar nicht so wichtig ist, ob ein Verlag dahintersteht, oder ob man die ganze Arbeit selbst gewuppt hat. Die wollen einfach ins nächste Buchgeschäft marschieren und das Teil kaufen, fertig.
Wenn die Lieferung ein paar Tage länger dauert, weil BoD das Buch erst drucken muss, oder weil die Buchhändlerin einen Moment länger in ihrem PC nach dem Buch suchen muss als nach dem neuesten Dan Brown, sind die Interessenten schon leicht verunsichert und denken, dass mit dem Buch irgendetwas nicht stimmt.

12.    Was wird dein nächstes Projekt?

Ich habe einen Roman in der Schublade, der bisher nie das Licht der Welt erblickte: Mein Erstlingswerk. Ich wusste die ganze Zeit nicht so recht, was ich mit dem Manuskript machen sollte, weil ich es nicht für veröffentlichungsreif halte. Vor einigen Monaten kam die zündende Idee für eine gründliche Überarbeitung. Eine der Figuren aus „Schlechtes Blut“ wird übrigens die Hauptrolle spielen, daher wird es sozusagen ein Spin-Off!
Im Prinzip schreibe ich das Manuskript komplett um. Das einzige, was gleich bleibt, ist das Setting: Die Geschichte spielt in einem Haus, in dem unerklärliche Dinge geschehen und die darin lebenden Familienmitglieder in den Wahnsinn zu treiben drohen.
Obwohl ich das Spukhaus-Phänomen aufgegriffen habe, wird es kein Horror-Roman im klassischen Sinne – mehr will ich noch nicht verraten. Lasst euch überraschen!

13.    Wo findet man dich im Internet?

Entweder direkt auf meiner Seite
https://martinabauer.jimdo.com/

Oder auf Facebook:
https://www.facebook.com/hoellischeschreibstube/?ref=bookmarks

Oder meine Amazon-Autorenseite:

Ich freue mich auf euren Besuch!

Wir danken dir für dieses Interview, Martina.

About Florian Tietgen

... trat 1959 als jüngerer Zwilling seinen Bruder auf die Welt, bevor der Arzt entsetzt rief: "Huch da kommt ja noch einer." Seitdem verstecke ich mich erfolgreich in unterschiedlichen Berufen und habe seit 2003 verschiedene Geschichten und Bücher veröffentlicht. Vorwiegend schreibe ich für Jugendliche und Gesellschaftsromane.