Von Fußball, Klängen und Angst: Florian Tietgen im Qinterview

Qinterview 3

Er war in diesem Jahr auf der Buchmesse zwar selten am Qindiestand, aber dennoch für uns unterwegs. Mal hat er darüber erzählt, wie man Lesungen gestalten kann, dann in Zusammenarbeit mit Hans-Peter Roentgen darüber, was beiden als Lektor auf den ersten vier Seiten auffällt. Nur seine eigene Lesung hat er verpasst, aber dafür hat sich gleich jemand gefunden, die eingesprungen ist. Bevor für ihn die Fußballsaison wieder losgeht, hat er uns schnell noch unsere Fragen beantwortet.

1.    Wer bist du und was machst du in puncto Self-Publishing?
Ach, wenn ich das so genau wüsste. Ich schreibe Bücher und veröffentliche sie mehr oder weniger erfolgreich- Außerdem helfe ich Kollegen, ihre Bücher in stilistische Form zu bringen und engagiere mich für Qindie.
2.    Was hat dich dazu bewogen, deine Bücher selbst zu veröffentlichen?
Die nackte Angst. Ich traue mich nicht, meine Bücher an Verlage oder Agenturen zu schicken, habe Angst vor den Absagen, die, als ich noch mutiger oder naiver diesbezüglich war (manchmal ist das dasselbe), oft zu jahrelangen Schreibpausen geführt haben.
3.    Wie sind deine bisherigen Erfahrungen mit Self-Publishing?
Die Freiheit, nach eigenen Vorstellungen arbeiten zu können, ist prima, sie existiert aber leider nur, wenn man kein Geld mit den Büchern verdienen möchte. Meine Erfahrung ist, dass auf die kreative Begeisterung während der Entstehung meist die Ernüchterung folgt.
4.    Was findest du beim Self-Publishing problematisch?
Ich hätte mir gewünscht, mit dieser grandiosen Möglichkeit für alle Menschen, kostengünstig eigene Bücher zu veröffentlichen, mehr Vielfalt zu erhalten, als Leser ein breiteres Angebot zu bekommen, ungewohnte Erzählperspektiven und -formen. Dabei hätte mir klar sein müssen, dass das nicht funktionieren konnte. Im Theater bieten die Amateur- und Off-Theater zumeist auch die schon häufig gespielten Stücke, die Erfolgsgaranten an. Den Luxus, neue Wege vor möglicherweise leerem Haus zu beschreiten, können sie sich gar nicht leisten. Und auch beim Film gibt es diese Parallelwelten der Cineasten auf der einen und dem Publikumsfilmen auf der anderen Seite, Grenzüberschreitungen gelingen selten kommerziell erfolgreich. Warum sollte es also in der Literatur anders sein?
5.    Was erscheint dir nützlich, um das Problem zu beheben?
Ich weiß es nicht, ehrlich nicht. Ich glaube, die Spannung zwischen Neugier und Sicherheit ist ein Grundkonflikt. Die wenigsten Menschen gehen essen, um neue Geschmackserlebnisse zu suchen, sie wünschen sich Vertrautes. Der Koch findet vielleicht die Frage spannend, wie Nussschokolade, Ingwer und Hummer geschmacklich harmonieren, der Gast findet das möglicherweise nur »zu abgehoben«. Das hat oft eine negative Konnotation, da hat jemand den Boden der Realität verlassen, ist nicht mehr geerdet. Dabei wünschte ich der Indie Szene in der Literatur wie in jeder Kunst diese »Abgehobenen«, die vielleicht etwas schweben, aber vielleicht auch durch die Höhe weiter schauen können.
6.    Wieso tust du dir die Härten des Selbstverlegers freiwillig an? (Leserfrage)
Aus purer Verzweiflung.
7.    Wer sind deine ersten Testleser? Und warum dürfen gerade diese Leser deine Worte zuerst genießen?
Das ist sehr unterschiedlich. Meist dürfen sie, weil sie gerade da sind und Zeit und Lust haben. Ich brauche schon während der allerersten Version jemanden, der wissen will, wie es weitergeht, deshalb täglich den Fortschritt liest, ein paar Bemerkungen dazu macht. Ich brauche das eher für meine Schreibdisziplin, da es mir schwerfällt, nur für mich zu schreiben.
8.    Hat dich schon einmal ein Treffen mit einem Fan zu einer Idee inspiriert? (Leserfrage)
Ich glaube, Fans habe ich nicht. Sicher gibt es einige, die meine Bücher richtig gern lesen, aber unter Fans verstehe ich Menschen, die schon nachts vor den Buchläden campieren, um die neue Ausgabe ihrer Lieblingsautoren nicht zu verpassen.
Inspirieren lasse ich mich hingegen von vielen Menschen und Geschehnissen. »Wozu brauche ich Niko?« zum Beispiel wurde durch die Geschichte eines Freundes inspiriert, »Auf einen Schlag« durch eine Mücke, die mir beim Radfahren ins Auge geflogen ist.
9.    Kommt es vor, dass Figuren etwas Anderes tun oder sagen, als du geplant hast? (Leserfrage)
Dauernd. Schon, weil ich oft erst plotte, wenn ich ein Drittel des Buchs geschrieben habe. Aber selbst dann bin ich davor nicht gefeit. Während ich (wie süchtig, ich habe selten zuvor und danach eine Geschichte so schnell geschrieben) »Ein tiefer See« begann, wusste ich nicht, warum ich in zweiter Person schrieb, ich wusste nicht, warum der Fabs in dieser Geschichte so fies zu meinem Erzähler ist und ich wusste nicht, was Ole tun würde, um seiner Not zu entkommen. Alle Figuren dieser Geschichte haben von Beginn an getan, was sie wollten. Obwohl ich dann aber Szene unter der Dusche doch eine Vorstellung hatte, wohin es führen würde und auch die Perspektive verstand.
10.    Wie hat sich dein Alltag durch das Schreiben verändert?
Leider bisher gar nicht. Ich wünschte, er täte es endlich, damit ich mich aufs Schreiben konzentrieren und die vielen in mir gefangenen Geschichten entlassen kann, ohne mich von so profanen Dingen wie Lebensunterhalt ablenken lassen zu müssen. Ich weiß, das klingt abgehoben, im schlimmsten Sinne des Wortes. Ist es auch.
11.    Was machst du, wenn du nicht schreibst?
Dann vergeude ich Zeit. Nein, ernsthaft: Ich trainiere ein paar Fußballkinder, fahre viel Rad oder gehe spazieren, ich recherchiere natürlich, lausche, schaue … und manchmal lenke ich mich wie blöde mit »Free Cell« ab.
12.    Wie bist du zum Schreiben gekommen? Durch wen oder was?
Da ich schon in der Grundschule geschrieben habe, kann ich das schlecht sagen. Es waren Bücher, die ich gelesen habe, so wie viele auch heute zum Schreiben kommen. Heute gibt es dafür den Begriff »Fanfiction«, ich habe inspiriert durch Enid Blyton als Kind halt Abenteuergeschichten geschrieben, wenn auch mit eigenen Charakteren. Leider gibt es davon keine einzige Geschichte mehr. Ich war damals gezwungen, sie immer gleich zu zerreißen und wegzuschmeißen, wenn sie fertig waren.
13.    Was liebst du am Schreiben? Was magst du nicht so sehr?
Ich schreibe nicht aus Liebe zum Schreiben, im Gegenteil: Ich finde es oft quälend. Aber natürlich gibt es neben all den düsteren Ecken, in die ich mich dazu begeben muss, auch immer wieder sonnige freie Flächen, in denen ich verweilen und ausruhen möchte, in denen ich Menschen kennenlerne, in die ich mich verliebe, von denen ich mich umarmen und küssen lassen möchte und die ich umarme und küsse. Ich kann mich in kühles Wasser begeben, an den Strand, auf einen Berg, ich kann mir Menschen und die Illusion von Liebe schaffen, Freunde, die ich nicht habe, ohne dafür für verrückt erklärt zu werden.
14.    Wie geht deine bessere Hälfte/Familie mit deinem „Schreibwahn“ um?
Ich lebe ja allein. Von meinen Verwandten hat glaube ich gerade eine Cousine meiner Mutter zwei meiner Bücher gelesen, alle anderen interessieren sich nicht dafür. Und auch unter meinen langjährigen Freunden nehmen zwar einige Anteil daran, wie ich generell mit den Buchverkäufen vorankomme, für die Bücher selbst, die Schreibfortschritte oder die Produktionsprozesse interessieren sie sich aber auch nicht. Das finde ich auch gut so, denn mit ihnen möchte ich ja um unseretwillen befreundet sein, nicht um unserer Leistungen willen.
15.    Was liest du gern? Welches Genre? Gibt es einen speziellen Autor? (Leserfrage)
Ich halte Genres ja nach wie vor für überflüssig bis schädlich. Natürlich helfen Schubladen, Socken, Bestecke und Unterhosen zu verwahren, zu sortieren und zu finden. Natürlich schaffen sie eine Art Ordnung und Orientierung. Und natürlich ist es für jemanden, der Wolle auf eine Nadel nimmt schon gut zu wissen, ob er jetzt einen Topflappen oder einen Pullover stricken möchte. Ich glaube aber nicht, dass Geschichten so funktionieren. Ich glaube nicht, dass Frau Rowlings erste Idee zu Harry Potter war, mal einen Fantasy Roman zu schreiben, sondern die, eine Geschichte über einen Jungen zu schreiben, der zaubern kann. Wir machen uns die Freiheit der Fantasie kaputt, wenn wir Geschichten wie Backrezepte behandeln, die in wohldosierten Mengen helfen, einen ordentlich schmeckenden Kuchen herzustellen. Ganz sicher gibt es gute Bücher, die auf diese Weise gebacken wurden. Schreiben ist ja auch Handwerk. Und ein Kuchen aus einem Kilo Butter und einem halben Pfund Mehl will auch niemand essen. Aber für ein gutes Buch reichen die Grundzutaten Liebe, Leiden und Lachen in richtiger Dosierung. Und eine gute Geschichte bringt alles von sich aus mit.
Spezielle Lieblingsautoren habe ich immer phasenweise. Im Moment lese ich liebend gern Meir Shalev, vor 20 Jahren habe ich mal die Bücher von Peter Pohl oder Mats Wahl verschlungen, obwohl ich schon viel zu alt dafür war. Aber ich lese auch gern Rafik Schami, Salman Rushdie, Juli Zeh, Böll, Murakami, Thommie Bayer, Ralf Rothmann …
Ach, es sind einfach zu viele.
16.    Wenn du als Autor ein Buch liest, machst du es hundertprozentig als Privatperson oder liest der Autor in dir? (Leserfrage)
Ich kann das glaube ich gar nicht trennen. Ich lese Bücher als Mensch. Und dazu gehört, sich demütig vor der Kunst des Kollegen zu verneigen genauso wie die Überlegung, wie ich eine Formulierung treffender fände.
17.    Welches Buch hättest du gerne selber geschrieben?
Immer gerade das, welches mich zutiefst berührt.
18.    Welche Kritik hat dich am meisten gefreut oder geärgert?
Zu »… wenn es Zeit ist …« gibt es eine kurze Kritik, in der jemand schreibt, er hätte sich das Buch nur aus Langeweile im Krankenhaus auf seinen Reader geladen und es sei dann sein aktuelles Lieblingsbuch geworden. So etwas freut mich, weil es so unvermittelt ist. Ein Buch und das Leben seines Lesers korrespondieren und schaffen etwas für einander. Das ist großartig. Bei negativen Kritiken gehöre ich wohl leider zu den ganz empfindlichen Autoren, obwohl mich am meisten an ihnen ärgert, wenn die Kritiker recht haben. Kurz ärgert es mich oft auch, wenn ich merke, jemand möchte seine Vorstellung von Welt in eine Geschichte lesen, obwohl ich als Autor dann machtlos bin.
Richtig freuen würde ich mich natürlich, wenn mal jemand wie Thommie Bayer oder Juli Zeh meine Bücher lesen und gut finden würde. Aber das bleibt wohl ein Traum.
19.    Was wird dein nächstes Projekt?
Ich bin noch nicht sicher. Ich plane gerade eine Art Spinn-off zu »… wenn es Zeit ist …«, in dem es um die Geschichte des kleinen Martin geht. Zuvor werde ich aber wohl noch den »Körperwahn« überarbeiten, weil das Thema, wie Hass erzeugt wird und sich verselbstständigt, leider von dauerhafter Aktualität zu sein scheint.
20.    Wo findet man dich im Internet?
Unter https://floriantietgen.de und natürlich bei Qindie.

Wir danken herzlich für dieses Qinterview

About Florian Tietgen

... trat 1959 als jüngerer Zwilling seinen Bruder auf die Welt, bevor der Arzt entsetzt rief: "Huch da kommt ja noch einer." Seitdem verstecke ich mich erfolgreich in unterschiedlichen Berufen und habe seit 2003 verschiedene Geschichten und Bücher veröffentlicht. Vorwiegend schreibe ich für Jugendliche und Gesellschaftsromane.

One Reply to “Von Fußball, Klängen und Angst: Florian Tietgen im Qinterview”

  1. Katharina Gerlach

    Also, wenn ich deine Bücher schneller lesen könnte, würde ich an der lokalen Buchhandlung für das nächste Buch anstehen. Aber deine Bücher muss man sich Stück für Stück erschließen. Ich kann sie genauso wenig „hinunterschlingen“ wie eine Sahnetorte. Deshalb habe ich noch einiges aufzuholen. Immerhin bin ich erst seit „Blauer Mond“ so richtig angefixt. Aber wenn ich alle durchhabe, trommele ich bei meinem eBook-Händler an die Scheibe, bis dein nächstes Werk erscheint. Ich bin sozusagen ein „Fan in den Startlöchern“. 😉