Zugegeben: Nach Phlegma sieht die reichhaltige Liste seiner Bücher im Qindie-Regal nicht aus. Eher nach bemerkenswerter Schreibdisziplin. Aber Brüche und Widersprüche machen ja nicht nur die Literatur und ihre Figuren oft erst interessant. Bei Ulli Eike ist es überdies die ewige literarische Frage: Schreibt man, um in den Figuren das ungelebte oder das gelebte eigene Leben zu erzählen?
Auf alle Fälle hat er uns spannende Antworten auf unsere Fragen gegeben und seine vielen Bücher sollen auch (von wegen Phlegma) in diesem Monat um eines ergänzt werden.
- Wer bist du und was machst du in puncto Self-Publishing?
Ich bin ein hedonistischer, misantropher Phlegmatiker. Übersetzt hört sich das nicht so gut an, aber es ist wirklich so: Ich bin ein genussorientierter, menschenscheuer Faulpelz. Aus diesem Grund erfinde ich Geschichten. Denn die Figuren in meinen Geschichten verhalten sich so, wie ich mir das vorstelle, sie ersetzen meine Sozialkontakte und ich kann sie treffen, ohne das Haus zu verlassen.
Die Geschichten, die ich erfinde, schreibe ich auf, damit sie mir nicht verloren gehen und weil ich sie auf diese Weise etwas plastischer entwerfen, etwas detaillierter ausarbeiten kann, ohne mein Erinnerungsvermögen zu überlasten. Außerdem schaffe ich Platz im meinem Kopf für neue Geschichten, was für eine gewisse Abwechslung in meinem Leben sorgt.
Die aufgeschriebenen Geschichten veröffentliche ich, weil das ein bisschen so ist, wie Kinder zu zeugen oder Bäume zu pflanzen. Man hinterlässt der Welt etwas von sich. Eine schöne, eine tröstliche Vorstellung, wenn man mal ganz weit in die Zukunft denkt.
- Was hat dich dazu bewogen, deine Bücher selbst zu veröffentlichen?
Die kurze Antwort: Der Umstand, dass es einfach ist und weil es kein anderer für mich tut.
Die etwas längere Antwort: Ich schreibe seit dreißig Jahren (exakt seit dem 1. August 1985) gegen Geld und gewissermaßen mit Veröffentlichungsgarantie. Ich bin in dieser Hinsicht also verwöhnt. Die Vorstellung Arbeit in einen Text zu investieren, ohne dafür bezahlt zu werden oder den Text zumindest im professionellen Umfeld veröffentlichen zu können, war für mich reizlos. Aus diesem Grund habe ich mich nie dazu durchringen können, auf gut Glück belletristische Manuskripte zu verfassen und damit in das Verlagsroulette einzusteigen. Erst als einige Dienstleister plötzlich die Sicherheit boten, die eigenen Werke problem- und kostenlos zu veröffentlichen, habe ich begonnen, meine Leidenschaft zu leben und Romane zu schreiben.
- Wie sind deine bisherigen Erfahrungen mit Self-Publishing?
Recht gut. Die Technik ist beherrschbar, die Vertriebswege ausgezeichnet, die Akzeptanz beim Leser steigt. Bei entsprechendem Einsatz ist vieles möglich, sowohl wirtschaftlich als auch kreativ.
- Was findest du beim Self-Publishing problematisch?
Die Verwendung dieses Begriffs. Self-Publishing bedeutet zunächst nur, dass man seine Bücher ohne Unterstützung eines Verlages herausbringt. Es bedeutet nicht zwangsläufig, dass man deshalb auch alle Leistungen eines Verlages übernehmen kann, will oder muss. Wieviel man davon auf sich nimmt, um (finanziell) erfolgreich zu sein, ist eine individuelle Entscheidung. Wenn man daraus unbedingt ein Berufsbild machen möchte, bitte. Aber dann sollte man auch beginnen, zu differenzieren.
Ich selbst bin kein Self-Publisher, ich bin Schriftsteller. So wie ein Musiker ein Musiker, ein Komponist ein Komponist und ein Kunstmaler ein Kunstmaler ist. Es gibt gute Musiker und schlechte Musiker. Aber es gibt keine Unterscheidung zwischen Musikern mit Plattenvertrag und Musikern ohne Plattenvertrag. Es gibt Hobbymusiker, die ihr Instrument zum Spaß spielen. Gute und schlechte. Und es gibt Profimusiker, Profis, die von ihrem Beruf (gut) leben können und Profis, die es gerne würden, aber nebenbei noch einen anderen Job brauchen. Niemand erwartet von Letzteren, dass sie sich auf Facebook vernetzen, um selbstgebrannte CDs zu verkaufen. Die setzen sich lieber in eine Kneipe und spielen. Und ich setze mich lieber an meinen PC und schreibe.
- Was erscheint dir nützlich, um das Problem zu beheben?
Man sollte Autoren Autoren nennen und nicht Verlagsautoren oder Self-Publisher oder Hybridautoren. Wenn man einen Begriff sucht, um Unterschiede zu kennzeichnen, bietet sich zum Beispiel „unabhängige/freie Autoren“ oder, wenn es denn nicht ohne Anglizismen geht, „Indie-Autoren“ an.
Falls der Leser eine gewisse Sicherheit bezüglich der Qualität verlangt, sind Autorenvereinigungen wie Qindie ein gutes Mittel.
- Wieso tust du dir die Härten des Selbstverlegers freiwillig an? (Leserfrage)
Das Selbstverlegen ist nicht hart, sondern extrem einfach. Und es ist Freiheit pur. Man kann und muss jede Entscheidung selbst treffen und man kann selbst bestimmen, wieviel Energie und Zeit man investieren will.
Hart wird es unter Umständen, wenn man erfolgreich sein und viel Geld verdienen will. Das ist aber in den meisten freien Berufen so.
- Wer sind deine ersten Testleser? Und warum dürfen gerade diese Leser deine Worte zuerst genießen?
Mein erster Testleser ist meine Ehefrau Gabi. Sie erlebt gewöhnlich Seite für Seite mit, wie ein Roman wächst. Solange ich an einer Geschichte linear arbeiten kann, erhält sie allabendlich die neuesten Seiten zu lesen und gibt mir das erste, das unmittelbare Feedback. Meine Arbeit täglich mit einem sauberen Ende, einem Cliffhanger oder zumindest mit einer Spannung oder Neugier erzeugenden Szene abzuschließen, ist deshalb eine immer wiederkehrende Herausforderung. Und auf Kommentare wie „Das verstehe ich nicht“ reagiere ich dann natürlich sofort. Wenn es mir gelingt, Gabis Aufmerksamkeit einen ganzen Roman lang zu fesseln, weiß ich, dass ich die größte Hürde genommen habe. Ganz nebenbei beseitigt sie auch neunzig Prozent meiner Fehler. Falls wir uns über bestimmte Inhalte uneinig sind, bitte ich zwei oder drei weitere kompetente Leser aus meinem persönlichen Umfeld um ihre Meinung.
Abschließend erhält meine Super-Duper-Lieblings-Korrektorin Michaela das Manuskript. Ihr unvergleichliches Fehlerradar spürt 499 der verbleibenden 500 Fehler auf und ich erhalte den Text zudem mit einer Fülle nützlicher Kommentare und Verbesserungsvorschlägen zurück, die ich dann auch zum größten Teil übernehme.
- Hat dich schon einmal ein Treffen mit einem Fan zu einer Idee inspiriert? (Leserfrage)
Ich hatte noch nie ein Treffen mit einem Fan. Ich habe, glaube ich, gar keine Fans.
Allerdings haben mich schon oft Gespräche mit anderen Menschen inspiriert und ich habe auch schon mal einen Protagonisten ganz nach dem Wunsch einer Leserin geschaffen. Man läuft in meinem Bekanntenkreis sogar Gefahr, als Figur in einem Buch zu erscheinen, wenn man zufällig gerade die Eigenschaft besitzt, die ich für eine Geschichte brauche oder durch außergewöhnliches Verhalten meine Aufmerksamkeit erregt.
- Kommt es vor, dass Figuren etwas anderes tun oder sagen, als du geplant hast? (Leserfrage)
Es kommt sogar eher selten vor, dass meine Protagonisten genau das tun, was ich will. Jede meiner Hauptfiguren hat eine so starke Persönlichkeit, dass sie sich nur ungern von mir etwas vorschreiben lässt. Lena Stern beispielsweise habe ich mittlerweile vier Männer zur Auswahl gegeben und war eigentlich fest davon überzeugt, dass sie sich endlich mal einen davon für eine feste Beziehung aussuchen würde. Aber tut sie das? Nö.
Mit solchen Protagonisten habe ich gewöhnlich schon große Mühe, dafür zu sorgen, dass sich zumindest die Geschichte so entwickelt, wie ich es geplant habe.
- Wie hat sich dein Alltag durch das Schreiben verändert?
Das Schreiben bestimmt seit dreißig Jahren meinen Alltag. Das Schreiben von Romanen verschlimmert die Situation dahingehend, dass ich in kreativen Hochphasen eine Folge von Sieben-Tage-Arbeitswochen habe.
- Was machst du, wenn du nicht schreibst?
Als Ausgleich laufe ich, gewöhnlich etwa 50 km in der Woche. Wenn es organisatorisch klappt, starte ich pro Jahr bei mindestens einem Marathon. Ansonsten versuche ich, das Leben mit meiner Frau und unseren zahlreichen Tieren zu genießen. Meist bleibt es jedoch bei dem Versuch, weil etwas zum Schreiben dazwischenkommt.
- Wie bist du zum Schreiben gekommen? Durch wen oder was?
Geschichten erfinden und Figuren zu erschaffen, sie handeln und kommunizieren lassen … das findet schon seit ich zurückdenken kann abends vor dem Einschlafen in meinem Kopf statt. Allerdings habe ich zunächst als Redakteur und danach als freier Journalist meinen Lebensunterhalt verdient, bevor dann endlich auch die Erzählungen den Weg ins Freie gefunden haben.
- Was liebst du am Schreiben? Was magst du nicht so sehr?
Ein Romanprojekt ist wie eine temporäre Geliebte. Wir gehen zusammen ins Bett und planen den nächsten Tag. An dem sind wir dann die ganze Zeit zusammen, tun das, was wir uns ausgedacht haben und entdecken dabei immer wieder neue, schöne Dinge. Abends reiße ich, mental am Ende, eine Dose Bier auf (die „Zigarette danach“ habe ich mir vor fünfzehn Jahren abgewöhnt), sammle vor der Glotze Energie und entspanne, bevor das Spiel in der Nacht von vorne beginnt.
Nein, mal ernsthaft: Ich liebe eigentlich fast alles am Schreiben. Das Spiel mit den Worten, das Schöpferische und Kreative, das Gestalten der Charaktere und das Hineinversetzen in sie, ein Teil der Handlung zu werden und gleichzeitig ihren Ablauf zu gestalten. Schreiben befreit mich, erfüllt mich und erschöpft mich. Wenn ich kurz davor stehe, einen Roman zu beenden, erfasst mich ein unvergleichliches Hochgefühl, am Tag danach stürze ich in postnatale Depression. Um es kurz zu sagen: Schreiben ist für mich intensives (Er)Leben.
Das intensive (Mit)Erleben führt dann auch gleich zu den Schattenseiten. Es gibt Szenen in meinen Büchern, die mir fast Schmerzen bereiten, die ich am liebsten nicht schreiben würde, aber die natürlich für eine gute Geschichte unverzichtbar sind. In meinem neuesten Roman, „Lena Stern: Nemesis“, der im September erscheint und mein wohl bislang düsterster und härtester Thriller ist, gibt es einige dieser Szenen, unter anderem das allererste Kapitel. Mich in diese Situation hineinzuversetzen hat mir wirklich keine Freude gemacht.
- Wie geht deine bessere Hälfte/Familie mit deinem „Schreibwahn“ um?
Ohne meine Ehefrau wäre mein Leben so, wie ich es jetzt führe, nicht möglich. Wenn ich in eine meiner kreativen Phasen gerate, in denen alles, außer der Geschichte, an der ich arbeite, aufhört zu existieren, hält sie mir den Rücken frei, kümmert sich um alles und jeden und hat daneben noch Zeit, mich wo sie kann bei meiner Arbeit zu unterstützen. Eine gute Gelegenheit, dafür einmal Danke zu sagen.
- Was liest du gern? Welches Genre? Gibt es einen speziellen Autor? (Leserfrage)
Ich habe als Kind und Jugendlicher die örtliche Leihbücherei rauf und runter gelesen. Und dann noch einmal quer. Ich habe mit Kinderbüchern, Märchen und Sagen angefangen, bin irgendwann zu den Kriminalromanen gekommen, habe später auch in anderen Gebieten bis hin zu Science Fiction und Sachliteratur gewildert, Groschenromane stapelweise verschlungen und auch vor Comics nicht halt gemacht. Letztendlich sind es aber die klassischen Kriminalromane geblieben, die sogenannten Whodunits, bei denen die Suche nach dem Täter und verzwickte Rätsel im Mittelpunkt stehen, denen mein Herz gehört. Ich liebe Agatha Christie und Dorothy Sayers, von denen ich alle erschienenen Kriminalromane besitze und jedes Buch mindestens drei Mal gelesen habe.
- Wenn du als Autor ein Buch liest, machst du es hundertprozentig als Privatperson oder liest der Autor in dir? (Leserfrage)
Seit ich selbst Romane schreibe, lese ich so gut wie gar nicht mehr. Ich habe immer das Gefühl, ich vergeude meine Zeit und sollte sie besser zum Schreiben nutzen. Damit ich überhaupt noch in den Genuss anderer Autoren komme, höre ich nun Bücher während meiner Läufe. Wenn ein Buch gut ist, kann ich mich nach wie vor völlig in die Geschichte hineinfallen lassen. Aber die Sinne eines Autors bleiben immer geschärft und wehe, die Geschichte beginnt mich zu langweilen oder gar zu ärgern …
- Welches Buch hättest du gerne selber geschrieben?
Von einem anderen Autoren? Keines. Es sei denn, aus rein wirtschaftlichen Gründen. Es gibt allerdings eine ganze Reihe von Büchern und Autoren, die ich mag.
- Welche Kritik hat dich am meisten gefreut oder geärgert?
Mich freut Kritik, die erkennen lässt, dass der Kritiker verstanden hat, was ich sagen wollte. Ich habe ihn erreicht, das macht mich glücklich.
Mich verwundert Kritik, die auf eine für mich nicht nachvollziehbare Erwartungshaltung zurückgeht. Wenn ich beispielsweise eine Kurzgeschichte verschenke und dafür eine Kritik bekomme wie: Die Geschichte war gut, nur leider zu kurz.
- Was wird dein nächstes Projekt?
Das ist eine gute Frage. Ich habe soeben erst die Arbeit an einem Projekt beendet (Lena Stern: Nemesis) und blicke jetzt gerade ins kreative Nichts. Vermutlich wird es der sechste Caro-und-Nessie-Krimi sein. Um die beiden Damen habe ich mich schon lange nicht mehr gekümmert. Ich habe aber auch noch einige weitere Geschichten in der Pipeline, wie etwa den dritten Joey-Marx-Roman, den ich schon für 2015 angekündigt habe. Und ich veröffentliche auch noch unter zwei Pseudonymen, für die ich jeweils auch schon wieder eine Geschichte im Hinterkopf habe.
- Wo findet man dich im Internet?
Auf meiner Homepage:
https://ulli-eike.de/
oder auf meiner Facebook-Seite:
https://www.facebook.com/pages/Ulli-Eike-Autor/85832516711
oder direkt bei Amazon: