von matì
»Was‘n das?«
Ein Finger von Winnetous mit Druckerschwärze überzogener Hand tippte auf eine Stelle in meinem Buch. Wo vorher aneinandergereihte Buchstaben einen der großartigsten Sätze der Weltliteratur bildeten, wie ich fand, klaffte jetzt ein Schwarzes Loch, das drohte, auch den Rest des Textes auf dieser Seite zu verschlingen.
Vor drei Stunden hatte der DHL-Kutscher an der Haustür geklingelt und mir anschließend ein Päckchen aus den USA in die Hand gedrückt. Ein Care-Paket von Claire und Ron aus New Jersey konnte es nicht sein. Denn es war weder Weihnachten, noch hatten wir wieder mal einen Krieg angezettelt. Verdammt, es enthielt die Proof-Exemplare von CreateSpace. Noch nie in meinem Leben hatte ich eine Verpackung so vorsichtig geöffnet.
»Times Roman, was Langweiligeres ist dir wohl nicht eingefallen?«
Jemand, der von Berufs wegen etwas davon verstand, hatte mir mal erzählt, Times Roman wäre eine ansprechende Schriftart, zeitlos und schön. Seitdem benutzte ich sie für meine Skripte in Word. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob ich diese Aussage nicht bereits Ende der 80er gehört hatte. Was bedeutete, ich verwendete sie schon fast 30 Jahre lang. Winnetou hatte recht. Ich schluckte, denn das Exemplar hatte ich für Pavel hinter der Theke mitgebracht. Und zwar jenem Pavel, der die Bezahlung meiner Zeche und den Empfang seines Trinkgeldes nach unseren Doppelkopfabenden immer mit dem gleichen Monolog zelebrierte.
»Oh, viele, viele merci! Und, was macht deine Roman, matì? Denke an Pavel, wenn du mal fertig bist mit der Geschicht‘.«
Jetzt wollte ich ihm das Buch feierlich übergeben, wenn auch mit einem Schwarzen Loch im Times-Roman-Universum.
»Hurenjunge, Hurenjunge!«
Winnetou dachte nicht daran, die von Pavel lang erwartete Feierabendlektüre aus der Hand zu geben. Mittlerweile hatten sich fast alle Doppelkopfspezialisten um Winnetou geschart und blickten hämisch zu mir hinüber. Winnetou, der eigentlich Kurt hieß, hielt triumphierend mein Buch wie einen erbeuteten Skalp in die Höhe.
»Du hast es tatsächlich geschafft ein Hurenkind auf einen Schusterjungen folgen zu lassen und quasi einen Hurenjungen geschaffen.«
Sein schulterlanges, graues Haar, das Kurt den indianischen Spitznamen eingebracht hatte, wurde von seinem Kopf hin- und hergeschüttelt. Ich hatte davon gehört, dass Absätze nicht auf der letzten Zeile einer Seite beginnen oder auf der ersten Zeile enden durften, aber es schlichtweg nicht beachtet.
»Schusterjungen sitzen im Keller und Hurenkinder lungern oben auf der Straße rum. Merk‘s dir!«
Winnetous geschulter Blick flog weiter über meinen Text, ohne dass ich ihn aufhalten konnte. Wie ein Frischling aus der Gladiatorenschule stand ich dem Spartakus unter den Drucksetzern gegenüber, während sich der Rest des Doppelkopfvereins auf den Publikumsplätzen der Arena verteilte.
»Mit Word gesetzt, was?«
Ich nickte ehrfurchtsvoll.
»Seitenränder links und rechts beachtet, stimmt‘s?«
Wieder bejahte ich.
»Aber das ist ein Buch und kein Protokoll eines Autorenstammtischs. Hier gibt es kein links und rechts, sondern nur innen und außen.«
Dann knallte seine flache Hand auf den Eichentisch und alle Untersetzer, die nicht mit Biergläsern oder Gerippten beschwert waren, tanzten beschwingt auf der Tischplatte umher.
»Und was ist mit dem Bundsteg?«
Jetzt platzte mir der Kragen und ich entriss Winnetou das Buch. Tatsächlich musste ich die Seiten gefährlich weit auseinanderzerren, um den Text auf den Innenseiten lesen zu können.
»Was ist mit meine Buch, matì?« Pavel kam auf uns zugeschlurft und stellte Kurt seinen Siegespokal in Form eines frisch gezapften Bieres hin, worauf ich zu einer erschreckenden Gewissheit gelangte.
»Noch nicht fertig, Pavel.«
Dann packte ich verschämt den Knüppel ein, mit dem ich Prügel bezogen hatte, drückte Pavel die Zeche mit Trinkgeld in die Hand, worauf ein konsterniertes ‚viele, viele merci‘ erklang, und rauschte aus der Kneipe. Das Letzte, was ich noch hören konnte, war Winnetous Siegesgebrüll.
»Und pass‘ auf die Seitennummerierung auf, wenn du alles änderst.«
»Du Blödmann«, schalt ich mich selbst, als ich spät am Abend vorm Computer saß und die Formatvorlage von CreateSpace studierte. Die Schrift sah frisch und attraktiv aus. Garamond, kein Times Roman. Die Seitenränder waren mit innen und außen beschrieben, wobei außen einen geringeren Wert hatte. Ja, und der Bundsteg war auch berücksichtigt worden. Ich wollte den Tag nicht mit einer Niederlage beenden, also übertrug ich alle Parameter auf mein Manuskript. Anschließend googelte ich Schusterjungen und Hurenkinder. Das Zauberwort hieß Absatzkontrolle und das Microsoft-Produkt behob die Peinlichkeit in Sekunden. Schließlich aktualisierte ich noch geschwind die Seitenzahlen der Inhaltsangabe, achtete darauf, dass sich die Anzahl der Seiten durch vier teilbar ließ, und startete die PDF-Konvertierung. Das Ergebnis stellte mich in einem äußersten Maß zufrieden. Jetzt aber fix! Je schneller ich die PDF-Datei nach CreateSpace lud, desto eher würde ich meinen Dilettantismus in erster Instanz vertuschen können.
Zehn Tage später hielt ich ein von Drucksatzfehlern bereinigtes Exemplar meines Romans in die Höhe. Pavels Exemplar mit Winnetous Daktylogramm hatte ich vorsorglich im Keller vergraben. Mit nervösen Fingern blätterte ich durch die Seiten. Keine Schusterjungen oder Hurenkinder, ein professionelles Schriftbild, alle Textteile lesbar.
Doch was war das? Wieder mischten sich Winnetous Worte in meine Gedanken, und trieben dunkle Wolken durch meinen Kopf. Denn auf der allerersten Seite, die rein wie eine Jungfrau sein sollte, dort, wo des Autors Widmung an den wohlwollenden Leser vermerkt wird, da prangte im Fußteil eine bösartige, hässliche -1- und streckte mir die Zunge raus.
Na, Buchsatz macht man auch nicht in Word.
Da Word nicht einmal die Zeilen auf einen Raster setzen kann und auch sonst typographisch eher unterbemittelt ist, bekommt so ein Buch sofort den Beigeschmack des Unprofessionellen. Im schlimmsten Fall zerschießt eine schlecht formatierte Worddatei den Druckprozessor, was ein Grund ist, warum Worddateien als „Druckvorlage“ unter Druckern verpönt sind.
Das stimmt. Allerdings sind gute Programme zum Texte setzen oft recht teuer. Ich benutze InDesign (DER Standard), was nur möglich ist, weil ein Bekannter von mir auf die Cloud-version umgestiegen ist. Sonst hätte ich mich dumm und dämlich zahlen müssen.
Toll den Nerv getroffen, mati.
Und eine kleine Kurzgeschichte dazu.
Fein!