Wir kochen einen Roman!

Nach einem alten Familienrezept (genetisch übertragen)

Kolumne_allg_02aVon Melanie Meier

Zutatenliste:

    • > ∞ Gramm Papier
    • > ∞ Druckertinte
    • > ∞ Kaffee oder wahlweise Tee
    • eine Dose voll Elektrizität à → ∞
    • 1 Schreibwerkzeug
    • > ∞ Zeit
    • > ∞ Übung
    • > ∞ bevorzugtes Suchtmittel
    • und eine Prise Talent à → ∞

»Der Arsch ist näher an der Erleuchtung als der Kopf«, sagt Ed Harris in seiner Rolle als Ludwig van Beethoven im Film ›Der Klang der Stille‹ (Film = historisch ungenau, Beethovens Person nicht annähernd genügend, aber dennoch ein empfehlenswerter Film, weil unterhaltsam). Das hat mit dem Rezept eigentlich nur insofern zu tun als ein gutes Buch durch den Magen geht und der Magen ein enges Verhältnis zum, nun ja, Arsch hat. (Das ist beileibe nicht immer so, hin und wieder sind Kopf und, nun ja, Arsch identisch. Diese Erscheinung verkompliziert jedoch alles nur, deshalb weiter im Text.)

Bevor der Arsch zum Einsatz kommt, ist erst einmal der Magen an der Reihe, und damit dieser seine Arbeit verrichten kann, müssen wir essen, und essen können wir nur, wenn wir kochen. (Und was es mit der allseits beliebten Erleuchtung auf sich hat, habe ich sowieso noch nicht verstanden. Vorschläge?)

Fangen wir an. Zunächst nehmen wir das Schreibwerkzeug, vorzugsweise technisiert. Einige Schriftsteller kochen gerne noch mit Tintenfass und Federhalter, andere ziehen sich krumme Klavierspieler-Finger auf archaischen Schreibmaschinen zu, und manch einer meißelt in Stein. Jeder wie er will, sage ich immer. Hauptsache, ich bekomme von A …, ich meine, vom Online-Buchhändler, äh, Lieferservice nach Bestellung keine Gesteinsbrocken geliefert, denn das halten meine Buchregale, ich meine, mein Magen hält das wirklich nicht aus.

Wir müssen noch einmal einen Schritt zurückgehen. Bitte noch einmal hinter die Startlinie, danke, sehr freundlich. Denn was hilft es, sich vor das weiße Blatt Papier beziehungsweise den Gesteinsbrocken zu setzen, wenn man sich zuvor nicht hat inspirieren lassen?

Meine Zutatenliste erweitere ich hiermit um diesen Bestandteil:

    • Bereitschaft, sich zu verlieren à → ∞

Sacklzement, wie die Bayern sagen. Mathematisch völlig unsinnig, psychologisch äußerst gefährlich, zwischenmenschlich irritierend, physisch eventuell schädigend, und manchmal verhungert dabei auch die Hauskatze (das bezieht sich auf das Verlieren und die Bayern). Die Katze kratzt allerdings meistens vorher das Hosenbein kaputt, Ihres, nicht ihr eigenes, und frisst Sie dann auf, von den Füßen aufwärts. Katzen sind so. Die sehen dabei aber niedlicher aus als ein Hund! Der verhungert nämlich elendig mit Ihnen zusammen.

Wir lassen uns also inspirieren, indem wir uns verlieren. Worin man sich verlieren will, ist einerlei. Meistens passiert das von selbst, so wie man auch ganz plötzlich erkennt, dass der Ehepartner seit Ewigkeiten (> ∞) fremdgeht, oder man ganz plötzlich feststellt, dass nach 100 Jahren die Lebenszeit abgelaufen ist.

Inspiriert und verloren kehren wir somit zum Schreibwerkzeug zurück. Jetzt ist das Suchtmittel an der Reihe. Zerstäuben Sie Ihr Pulver, gießen Sie sich einen ordentlichen Schuss Schnaps ein, rauchen Sie eine Packung Zigaretten, kauen Sie Tabak oder schnüffeln Sie an Ihrem Kleber. Was auch immer. Wichtig ist nur, dass Sie sich so viel wie möglich einverleiben, denn eventuell vergessen Sie das in den nächsten Monaten während des Schreibens, äh, Kochens und entsprechen dann nicht mehr dem Klischee.

Wenn das passiert, können Sie die begonnene Datei löschen, den Gesteinsbrocken mit einer Abrissbirne zermalmen oder die Papierbögen aus der Schreibmaschine verbrennen, denn dann werden Sie nie was verkaufen. (Ich habe mir in regelmäßigen Intervallen Termine gesetzt, die als hübsche Fensterchen aufploppen (technisch fortschrittlich!), sodass ich nie vergesse, meiner Lunge zuzusetzen. Ein Schreibmaschinen-Schriftsteller könnte ja jedes Mal, wenn seine Hände zu Klauen verkrampfen, daran denken, und ein Steinmetz, wenn ihm der Meißel abrutscht und irgendwo im Körper stecken bleibt.)

Jetzt, da wir verloren und berauscht sind, können wir loslegen. Zuerst greifen wir auf die Übung zurück, die wir haben. Sie ist der Filter, durch den alles andere von nun ablaufen wird, so wie vielleicht das Nikotin über Ihre Lunge gesiebt wurde. Schlechter Vergleich, zugegeben. Der Giftrauch zerfrisst die Lunge eher, und gefiltert wird da auch nicht viel. Aber Sie haben schon verstanden. Die jahrelange Übung, bestehend aus Praxis, Theorie, Theorie und Wirtshausgesprächen, formt diesen Filter.

Hinzu nehmen wir das Talent, das laut Genetik von unseren Ahnen auf uns in Form von Zellen übertragen wurde, die entsprechend aktiv sind oder nicht. Wie das genau funktioniert? Woher soll ich das wissen?! Das wissen die Genetiker doch selber nicht!

Die Prise Talent jedenfalls streuen wir jetzt mit a b s o l u t e r Präzision in das Gesamtwerk ein. Geizen Sie damit! Zu viel davon, und der Braten wird nicht gegessen! Klugscheißer und Genies kann keine Sau mehr leiden, das war vielleicht früher so, aber jetzt nicht mehr. Schauen Sie nur mal, welche ›Restaurants‹ (Übersetzung: McDonalds) am meisten besucht werden! Da fragt keiner nach Stil, Gaumenfreuden oder Verträglichkeit! Die fragen höchstens: »Wo ist das Klo?«, und das aus ersichtlichem Grund, der ihnen selbst allerdings genauso abhanden gekommen ist wie der Regierung die Politik oder der Politik das Regieren.

Im Übrigen dient das Geizen den Talentlosen auch wunderbar als Vorwand, aber das nur nebenbei.

Wo waren wir? Ach ja, das Talent ist beigemengt, der Rausch und das Verlorensein treiben die Zeit vor sich her, die Druckertinte verschwindet in Papierstapeln (> ∞) und die Katze (wahlweise auch das Kind) nagt am Hosenbein (< ∞). Sie setzen das letzte Satzzeichen, die Augenlider sind schwer, der Rücken krumm, die Finger dem Schreibwerkzeug entsprechend deformiert, die Familie und der Freundeskreis vollends beleidigt, da Sie alle Geburtstage und sonstigen paradoxen Festlichkeiten vergessen haben, und die Hose rutscht von ganz alleine, weil nicht nur die Katze (oder das Kind) dem Hungertod ins Auge sieht.

Herzlichen Glückwunsch! Sie haben einen Roman gekocht! Jetzt nur nicht den Mut verlieren, Ihnen steht lediglich die doppelte der bisher aufgebrachten Zeit für Überarbeitungen bevor (> ∞).

Richten Sie nun alles schön zurecht, denn Sie wissen ja, der Leser, ich meine, das Auge isst mit, und garnieren Sie Ihr Werk mit dem Sahnehäubchen, bekannt als Qindie-Siegel (wenn Sie es bekommen, immerhin haben Sie mit dem Talent gegeizt). Fertig ist der Braten!

Ich wünsche guten Appetit! 😉

Melanie Meier

 

One Reply to “Wir kochen einen Roman!”

  1. jutta beer

    Herrlich. Ich hoffe sehr, dass das Gericht sich seinen Weg durch den Magen des Koches nach unten sucht und nicht am verkehrten Ende wieder rauskommt.