Ihr habt gewählt. Und die Begriffe Wehmut und Wälder passen einfach gut zum Mai, die Nachtalben zur erwachenden Natur. Die Begriffe standen für René Grandjean. Und der hat die Fragen mit Freude beantwortet.
1. Wer bist du und was machst du in puncto Self-Publishing?
Wer bin ich? Die größte Frage gleich als Erste. Okay. Ich bin René Grandjean. Ich bin ein Nostalgiker mit Blick nach vorne. Ich bin ein heimlicher Egozentriker, ein Familienmensch, der ausnahmslos jeden Geburtstag vergisst und der Welt bester Katzenstreichler. Ich bin ein mutiger Feigling und ein Durchhalter, ein Getriebener, ein Raucher, ich bin hart wie Marmelade, zäh wie Himbeergelee, Vegetarier und ein Goonie. Ich bin ein New Romantic, ein Paganist, ein Fußgänger. Ich verehre Bowie, liebe Springsteen, lebe oft in den Achtzigern und verbringe meine Nächte in schlecht beleuchteten Kellern voll fremder, tanzender Menschen. Ich bin der Vater von Socke und Driftwood. In puncto Self-Publishing schreibe ich im weitesten Sinne fantastische Literatur. „Der Sommer der Vergessenen“, mein Debüt von 2012, das in Kürze fortgesetzt wird, ist meine Idee eines Fantasy Romans. Eher düster, trotzdem lustig, im Kern tragisch. In „Make new Memory oder wie ich von vorn begann“ erlebt der Protagonist seine Kindheit in den Achtzigern noch einmal. Er reist zurück, um die Weichen für sein Leben neu zu stellen, den Unfalltod seines Vaters und das Bombenattentat auf das Live Aid Festival zu verhindern.
2. Was hat dich dazu bewogen, deine Bücher selbst zu veröffentlichen?
Weil keine für mich infrage kommende Agentur genügend Marktpotenzial in meinen Arbeiten sah, um mich vertreten zu wollen. Einige traten mit nicht akzeptablen Änderungswünschen an mich heran. Aber wenn ich den untoten Hund in „Der Sommer der Vergessenen“ Kotze nennen möchte, dann möchte ich ihn eben so nennen. Kotze hat sich übrigens zu einer der beliebtesten Figuren des Romans entwickelt. Klar haben sich manche an dem Namen gerieben, aber Reibung erzeugt letztendlich Wärme. Doch das ist ein extremes Beispiel. In der Regel ging es eher in Richtung „Stellen Sie doch die Figur XY mehr in den Vordergrund, der Typ ist aktuell sehr modern, dann schicken Sie bitte alles noch mal.“ Das war mir zu vage, um auch nur eine Sekunde zu investieren oder meine Geschichte dahin gehend zu verwässern. Antwortschreiben in Richtung „wir überarbeiten Ihr Skript gern mit Ihnen, aber das kostet eine Kleinigkeit“ empfinde ich als unseriös. Und manch ein Antwortschreiben verriet leider, dass die Geschichte schlicht nicht verstanden wurde.
3. Wie sind deine bisherigen Erfahrungen mit Self-Publishing?
In erster Linie macht es großen Spaß und besänftigt mein aufgeblasenes, ruhmhungriges Ego. Ich mag es, alle Fäden selbst in der Hand zu behalten, auch wenn das für einen Perfektionisten die Tür zum Wahnsinn sein kann. Die Kontakte zu Lesern, Bloggern und anderen Autoren sind in der Regel positiv und aufschlussreich. Besonders innerhalb von Qindie herrscht ein Teamgeist, der seinesgleichen sucht. Natürlich würde ich gern hauptberuflich schreiben – aber nur das, was ich wirklich schreiben will. Ohne Kompromisse. Es ist ein großer Unterschied, ob ich mich morgens frisch an den Schreibtisch begebe, oder mir nach Feierabend ein paar Stunden abzwacke. Daraus resultiert die Sorge, hinter den eigenen Möglichkeiten zurückzubleiben, die mich wiederum antreibt – ein Teufelskreis im positiven Sinne.
4. Was findest du beim Self-Publishing problematisch?
Ein Alleinstellungsmerkmal finden, sich von anderen Autoren abheben, neue Leserkreise erschließen. Niedrige Preise sollen nicht der Grund sein, warum jemand meine Bücher kauft.
5. Was erscheint dir nützlich, um das Problem zu beheben?
Raus aus der digitalen, rein in die reale Welt. Ich bin seit früher Jugend Musiker. Gemeinsam mit meinem Bruder – er kann singen, ich spiele zahlreiche Instrumente – werden wir in Kürze beginnen, Lesungen in Kneipen zu veranstalten. Nicht in Buchhandlungen, da ist mir die Atmosphäre zu trocken – und das nicht nur, weil es da kein Bier gibt. Die Idee ist folgende: „Make new Memory“ ist voll mit popkulturellen Zitaten und Songs. Da liegt es nah, eine Lesung zu machen, wo an entsprechender Stelle die Songs live gespielt werden. Wir werden Texte verteilen, damit jeder mitsingen kann. Eine Meute, die kollektiv „Time after Time“ von Cyndie Lauper grölt – ich freu mich drauf. Ein Quiz wird auch eingebaut. Ein Beispiel: „Bleibt cool für immer.“ Aus welchem Film stammt das?
6. Wieso tust du dir die Härten des Selbstverlegers freiwillig an? (Leserfrage)
Es hat sich einfach so ergeben. Dann kam der Ehrgeiz, es gut zu machen. Vielleicht sogar, es besonders gut zu machen, weil man eben ein Indie ist. Es anderen beweisen ist für mich kein unwesentlicher Antrieb.
7. Wer sind deine ersten Testleser? Und warum dürfen gerade diese Leser deine Worte zuerst genießen?
Da habe ich einen bunten Strauß aus Freunden, Familie und sogar einigen Leuten beisammen, die ich persönlich noch nie getroffen habe. Ich bin jedem Einzelnen sehr dankbar. Da wären Frauen wie Männer, manche schreiben selbst, andere nehmen ein Buch sonst nur zur Hand wenn der Barhocker wackelt. Manche waren an beiden Veröffentlichungen beteiligt, andere wollten mit dem einen oder anderen Werk nichts zu tun haben. Ich meide nur Leute, die dazu neigen, ein Projekt an sich zu reißen. Ich bin nicht dazu da und fühle mich in keiner Weise dazu verpflichtet meine Arbeit zu rechtfertigen oder zu erklären.
8. Hat dich schon einmal ein Treffen mit einem Fan zu einer Idee inspiriert? (Leserfrage)
Fan? Habe ich Fans? Die Leser, die ich kenne, kannte ich vorher schon. Mal sehen, was die Lesungen so bringen. Grundsätzlich verwurste ich jede Person, die mir mit irgendwas im Gedächtnis bleibt, bewusst oder unbewusst. Die Freunde in „Make new Memory“ sind ein wilder Mix aus den Freunden, die ich in meiner frühen Jugend hatte. Ich hoffe sehr, dass jeder, der einen Teil von sich darin wiederfindet, sich geschmeichelt fühlt. Denn genau so ist es gemeint.
9. Kommt es vor, dass Figuren etwas anderes tun oder sagen, als du geplant hast? (Leserfrage)
Das passiert ständig. Driftwood, der Nachtalb aus „Der Sommer der Vergessenen“ führt ein komplettes Eigenleben. Eigentlich ist er es, der mir die Geschichte diktiert. Die daraus resultierenden Haken und Ösen, manchmal Salti, lasse ich gerne zu. Meine Storylines sind dürre Gerippe, halb verhungerte Skelette, die ich beim Schreiben mit Leben fülle. Da passiert viel Unvorhersehbares, was gut ist. Der Schluss von „Make new Memory“ kam mir in dem Moment, wo ich ihn schrieb.
10. Wie hat sich dein Alltag durch das Schreiben verändert?
Ich sitze mindestens fünf Abende in der Woche auf dem Sofa, leicht bucklig, die Katze schnorrt auf meinem Schoss, das Laptop auf dem niedrigen Tisch vor mir. Deshalb habe ich oft Rückenschmerzen – ein einschneidendes Erlebnis. Aber im Ernst: Das Pflegen der sozialen Netzwerke, Ideen notieren, Cover oder Fotos in Auftrag geben, mal bei Qindie aktiv werden, Blogger kontaktieren und bemustern, mal ein Gewinnspiel, die Lesungen vorbereiten, Bücher formatieren und korrigieren, stundenlang den eigenen Namen googeln und zu guter letzt auch mal Schreiben – und Sie so nach Feierabend?
11. Was machst du, wenn du nicht schreibst?
Wenn ich nicht schreibe, mache ich Musik. Ich war schon an verschiedenen Instrumenten in zahlreichen Bands aktiv. Derzeit spiele ich Bass. Die Band – ihr aktueller Name ist High Heel City Ghost scheint mir vielversprechend. Wir verstehen uns hervorragend, was die halbe Miete ist für gute Musik. Ich treibe regelmäßig Sport und bin ein großer Film/Serien-Gucker. Bitte die nächste Staffel von „The Walking Dead“, aber zackig! An den Wochenenden trinke ich gern ein Bier und zucke rhythmisch zu Musik. Ich mag düstere Partys, obwohl ich selbst bestimmt kein Gothic bin.
12. Wie bist du zum Schreiben gekommen? Durch wen oder was?
Ich war auch immer einer, der gerne bereits ein Buch geschrieben hätte. Sie lesen richtig. Ich glaube, dass viele Leute, die sagen „ich möchte auch ein Buch schreiben“ gerne schon eines geschrieben hätten, um die Arbeit bereits hinter sich zu haben. Sonst wüsste ich nicht, was sie davon abhält, wenn sie Lesen, Schreiben und einen Stift halten können. Meine Initialzündung war mein Bruder Roger Grandjean. Er schrieb ein Kinderbuch – die Drachenreise (googeln Sie das Mal, auch seine Kurzgeschichtenbände sind ganz zauberhaft). Moment, dachte ich, ich bin doch der Spezialist für Fantasy in der Familie Grandjean. So begann ich mit „Der Sommer der Vergessenen“. Die Idee dazu kam mir, als ich mit meiner Frau die endlosen Wälder in ihrer Heimat Brandenburg durchstreifte. Ganz wunderbare Gegend.
13. Was liebst du am Schreiben? Was magst du nicht so sehr?
Es ist wie mit allem: Wenn es läuft, dann läuft’s. Ich liebe es, wenn die digitalen Seiten sich füllen als würden mir die Wörter aus den Fingerspitzen fließen wie schwarzes Blut. Bei der Fortsetzung von „Der Sommer der Vergessenen“ ist es natürlich wichtig, alle Fäden und Figuren aus Band 1 wieder aufzugreifen und keine logischen Brüche oder sinnlose Charakterwandel zu kreieren. Da verlasse ich mich in der Regel auf meinen Instinkt, was gut funktioniert. Trotzdem stehe ich manchmal nachts auf um mir eine Notiz zu machen wie: „In Kapitel 4 trägt Driftwood eine Ente als Hut. Checken, ob die Ente in Kapitel 5 weggeflogen ist!“ Na ja, so in die Richtung. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!
14. Wie geht deine bessere Hälfte/Familie mit deinem „Schreibwahn“ um?
Ich habe meiner Frau diese Frage gestellt. „Geduldig“ war ihre Antwort. Das kann ich nur bejahen. Sie hat wirklich viel Geduld mit mir und meinen Leidenschaften. Dafür bin ich sehr dankbar und es bestätigt mir, was ich auch so schon wusste: Ich habe die richtige Frau geheiratet. Mit meinem Bruder Roger, selbst Autor, tausche ich mich regelmäßig aus. Er hat mir prophezeit, dass „Make new Memory“ einen Bestseller wird. Gut, kann ja noch kommen …
15. Was liest du gern? Welches Genre? Gibt es einen speziellen Autor? (Leserfrage)
Lange habe ich ausschließlich Fantasy, Horror und Science-Fiction gelesen. Natürlich die Klassiker wie Tolkien und Eddison, vieles von Clive Barker, an King kommt man ja nicht vorbei, Laymon („Die Show“ fand ich großartig) und vieles aus dem Festa-Verlag (die trauen sich was!). In den Neunzigern dann Douglas Coupland. Aktuell bin ich bei Paul Auster, Haruki Murakami und Bret Easton Ellis. Mein Lieblingsbuch ist „Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit“ von Jón Kalman Stefánsson. Dieses Buch treibt mir die Tränen in die Augen und Schauer um Schauer den Rücken hinab mit seiner wundervollen poetischen Sprache.
16. Wenn du als Autor ein Buch liest, machst du es hundertprozentig als Privatperson oder liest der Autor in dir? (Leserfrage)
Interessante Frage. Seltsamerweise ist mir völlig schnurz, was andere Autoren machen. Okay, das klingt jetzt sehr salopp. Ich möchte damit sagen, dass ich keinerlei Vorbild habe oder jemanden, wo ich sage „So mache ich es auch“, obwohl ich viele Autoren – auch innerhalb von Qindie – für ihre Handwerkskunst bewundere – aber eben nicht beneide. Dementsprechend hat der Autor Funkstille wenn er liest. Viel mehr als Bücher beeinflussen mich Filme, Songs oder Begegnungen.
17. Welches Buch hättest du gerne selber geschrieben?
… lange, lange Denkpause …
18. Welche Kritik hat dich am meisten gefreut oder geärgert?
Rezensionen – Fluch und Segen. Obwohl ich mir einbilde, nicht für den Mainstream zu schreiben, freue ich mich natürlich über positives Feedback. Vor einiger Zeit hatte ich ein erhellendes Erlebnis zu diesem Thema: Ich stieß ich in irgendeinem Forum auf eine „Rezension“ zu „Der Sommer der Vergessenen“. Der Leser schrieb, er hätte es sich in einer Preisaktion gratis auf sein Smartphone gezogen und es immer dann gelesen, wenn er beim Aldi an der Kasse in der Schlange stand. Es hatte ihm nicht gefallen. Was glauben Sie, habe ich da gedacht? Lassen wir das. Seitdem weiß ich, dass der Unterschied zwischen Foren und einer Wand in einer öffentlichen Toilette unter Umständen kleiner ist, als wir es ahnen. Ich für meinen Teil mache Gebrauch von Leseproben, lade nicht alles runter, nur weil es eben gratis ist, und erspare mir und zahllosen Autoren damit viel Kummer. Aber jeder wie er … kann. Mir scheint, mit den Rezensionen ist wie mit falschen Schiedsrichterentscheidungen im Fußball: Sie verteilen sich über die Saison gleichmäßig, sodass es unterm Strich für alle Beteiligten fair bleibt. Sie verstehen schon.
19. Was wird dein nächstes Projekt?
Wenn „Der Sommer der Vergessenen“ beendet ist, geht es weiter mit „Als ich taute mit dem Schnee“, wo ich meiner Leidenschaft für Obskures freien Lauf lassen werde. Die ersten Kapitel sind schon geschrieben und ich freue mich drauf. Dann habe ich eine Idee, die „Wie Mister Mahony New Yorker wurde“ heißt. Auch hier steht die Storyline so fest, wie eine Storyline bei mir eben sein kann. Driftwood, Socke und Kotze werden auch wiederkommen, aber in einem anderen Kontext als in „Der Sommer der Vergessenen“. Ich liebe die Drei über alles!
20. Wo findet man dich im Internet?
Lieber René, vielen Dank für die Beantwortung unser Fragen.