Vom Schreiben, vom Lieben und vom Schreibenlieben oder Der perfekte Liebhaber

Muffins – sensibel, sexy, seriös

Kolumne von Simone Keil

Ich bin total verliebt. In meine eigene Romanfigur. Das fühlt sich an wie ein Sonnenaufgang am Meer in einem dieser Schundheftchen. Meeresrauschen, fröhliches Vogelgezwitscher, kein Wölkchen trübt den himmelblauen Himmel. Die Palmen wiegen sich sanft in einer lauen Brise und am Horizont flammt die Sonne herzförmig ihrem beeindruckenden Untergang entgegen.

Muffins KolumneZurück zum Thema. Ich bin verliebt. In meine Figur. Er ist uralt, hat nicht einmal einen richtigen Namen und müffelt. Aber wenn ich lese, was er, bzw. ich, oder besser wir, geschrieben haben, dann möchte ich ihn in den Arm nehmen und gemeinsam mit ihm weinen, bis wir unsere geheimsten Gedanken kennen, ohne sie jemals ausgesprochen, ohne sie tatsächlich gedacht zu haben.

Böse Zungen behaupten, Schreiben sei generell Seelenstriptease, Schreiber verkappte Exhibitionisten und die eigenen Figuren personifizierte Neurosen, die man aufs Papier kotzt, um sie loszuwerden. Meinetwegen, gut, bin ich ein alter müffelnder Mann. Aber warum sollte ich mein Müffelich aus mir raus schreiben, um mich dann stante pede in Müffelmich zu verlieben?

P (so heißt die Figur. Immerhin) liebt Nina Simone. Möglicherweise liebe ich ihn, weil er Musik von jemandem liebt, der meinen Namen im Namen trägt? Liebt er überhaupt nur deshalb Nina Simone, weil ich von Anfang an unterschwellig von P geliebt werden wollte?

Allein diese Fragen sagen mir: Lass es, halt einfach mal die Klappe oder praktiziere Denken und Schreiben wenigstens ein einziges Mal in der richtigen Reihenfolge und – um Himmels willen – schreib nicht auch noch öffentlich darüber. Aber, nun ja, Schreiberinnen wie auch Schreiber sind sich ja bekanntlich für nichts zu schade, wenn es darum geht, Aufmerksamkeit auf sich lenken zu können.

Wenn man sich als Autorin in seine Figur verliebt, kann das nur bedeuten, dass man durch und durch narzisstisch ist. Aber ist es nicht gerade dieser Narzissmus, der einen zwingt, das Beste aus sich herauszuholen? Der einen immer weitermachen lässt, antreibt, sich zu verbessern, zu lernen, niemals stecken zu bleiben? Die Liebe frisch zu halten, indem man immer wieder etwas erschafft, das sich zu lieben lohnt?

Vielleicht würden viel weniger beschissene Bücher geschrieben und weniger Beziehungen in die Brüche gehen, wenn die Protagonisten sich selbst etwas mehr lieben würden, an sich arbeiten, neue Impulse suchen, die die Beziehung erhaltenswert machen.

So ist das wohl mit P und mir und allen Ps, die ihm nachfolgen werden. Die perfekte Beziehung, weil man sich miteinander weiterentwickelt, sich neu erfindet. Und sich jedes Mal wieder zum ersten Mal verliebt.

In diesem Sinne: Ein schönes Wochenende.

Simone Keil