Weltfrieden oder Wie meine Oma sich ein Motorrad strickte und damit über den Titicacasee flog [Kolumne: Muffins]

Von Simone Keil

Wenn man sich mal ein paar Jahre im Dunstkreis mehr oder minder lebendiger Menschen herumgetrieben hat, dann wird einem vieles klar. Vor allem, vielleicht nicht als erstes, aber doch sehr bald, folgender Aspekt: Der erwachsene Mensch ist humorbefreit.

Muffins KolumneSelbstverständlich sind damit alle Menschen und Menschinnen gemeint, genauso, wie ich hier nicht meine Meinung, sondern die Meinung aller Kolibris, Delfine, Einzeller und die Meinung von Frau Merkel wiedergebe. Und nein, dieser Text ist nicht lustig, er ist nicht einmal lustig gemeint.

Meine Oma war eine herzensgute Person und der Ruhepol in unserer Familie. In jeder Minute ihrer recht kärglichen Freizeit strickte sie. Das Stricken war für meine Oma weit mehr als ein Hobby, es war ihre Passion. Sie entdeckte ihre Leidenschaft fürs Stricken im Jahre 1948, als der Lieferwagen meines Opas auf einer Fahrt nach Berlin plötzlich liegenblieb und sie den gerissenen Keilriemen nach einigem Hin- und Herüberlegen schließlich nachstrickte. Sie tat das so detailverliebt und das Ergebnis war von solch hoher Qualität, dass Opa Theo von diesem Tag an nur noch Omas selbstgestrickte Keilriemen verwendete.

Als der Lieferwagen dann ein Jahr später endgültig den Geist aufgab, handelte Oma Hilde sofort und strickte einfach einen neuen. Und was soll ich sagen, plötzlich wollte jeder eins von Oma Hildes selbstgestrickten Fahrzeugen haben.

Sie strickte Autos, LKW, Motorräder, Boote und war die erste Frau der Weltgeschichte, die auf einer pinkfarbenen Harley (selbstverständlich selbstgestrickt) den Titicacasee überflog.

Nach dieser reifen Leistung rekrutierte die NASA meine Oma für ein unheimlich geheimes Geheimprojekt. Der Absturz von Apollo 11 hat sie in eine kurze, aber heftige Sinnkrise gestürzt, aus der sie nur entkommen konnte, indem sie sich eine Rettungsleiter strickte, Opa Theo diese an seinem neuen LKW anbrachte und Oma damit herauszog.

Als Oma Hilde 1988 samt ihrem aus echter Wolle selbstgestrickten U-Boot bei einer Erkundungsreise des Marianengrabens verschwand, waren wir erschüttert. Oh nein, wir glaubten nicht eine Sekunde lang, dass Oma Hilde ertrunken sei, aber wir konnten auch einfach nicht glauben, dass sie uns so mir nichts, dir nichts sitzen lässt.

Erst ihre Weihnachtspostkarte besänftigte uns und brachte uns ihre Entscheidung etwas näher.  Oma Hilde hatte einfach die Nase vom Stricken voll und wollte mal was anderes sehen und erleben. Tja, so kann‘s gehen.

Ich vermisse Oma Hilde immer noch wie Bolle, aber ihre Lebens- und Strickgeschichte hat mich vieles gelehrt. Erstens: Ich will nicht stricken lernen. Zweitens: Rosafarbene Schurwollreifen mögen auf den ersten Blick cool aussehen, aber bei Schnee sind sie einfach scheiße. Drittens: Man muss Humorlosigkeit als das akzeptieren, was sie ist: Eine Krankheit, die von den Krankenkassen endlich als solche anerkannt werden sollte.

Jedem Menschen, der sich für unheimlich eloquent hält, würde eine Fahrt auf einem von Oma Hildes Motorrädern nicht nur die Frisur versauen, sondern auch Dinge ins Gedächtnis rufen, die man allzu leicht verdrängt, wenn man gar zu erwachsen wird. Welche das sind? Wem das nicht klar ist, der sollte einfach mal die Augen fest zumachen, sich zurücklehnen und sich erinnern, wie es war, als Gummiboote noch fliegen und Grashüpfer noch singen konnten.

Ich habe es übrigens endlich geschafft, einen von Oma Hildes selbstgestrickten Heißmuffinballons mit Teig zu füllen und es ist Zeit abzuheben.

In diesem Sinne ein schönes Wochenende.

Simone Keil