In einer von der plötzlichen Leere des Alltags beflügelten Laune wollte ich jüngst dem Leben einen Satz entreißen, der kennzeichnend für den Gagaismus unserer Zeit steht. Gaga-Sätze werden uns an jeder Ecke um die Ohren gehauen und verwüsten unsere Sprache. Meist stammen sie aus dem Starkdeutsch der Werbetexter, es sind so genannte Werbeclaims, und ich gestehe: In meiner beruflichen Laufbahn schoss ich auch schon mal mit einem Dampfhammer Werbesprüche ins Hirn mancher Empfänger und ließ mich dafür fürstlich entlohnen.
Jüngst reiste ich durch Bautzen, jenes betuliche Kleinod der schönen Oberlausitz, die durch die 1904 fertig gestellte Landesstrafanstalt »Gelbes Elend« berühmt und berüchtigt wurde. Dort lockt ein »Kaufland«, sich mit Dingen des täglichen Bedarfs einzudecken. Gleich neben der »Ein-Euro-Quelle« lungern paffende Berufsjugendliche in »Deutschland lebt«-T-Shirts. Auf den in den Kniekehlen hängenden Hosenböden kleben Losungen koreanischer Kung-Fu-Kämpfer. Leider kann ich deren Kampfrufe nicht wiedergeben, mir fehlen entsprechende Sprachkenntnisse. Es entzieht sich meiner Kenntnis, was auf diesen Hosen steht, und die Knaben, die darin stecken, interessiert es nicht.
Im benachbarten »Family-Shop« durchpflügen Damen mit lilafarbenen Haaren Tröge mit Sonderangeboten. Ihr im Solarium uringelb gebrutzelter Teint könnte die Krebshilfe zu einem Sondereinsatz motivieren. Bietet der Shop vielleicht passende Heilsalben und Tinkturen? Der Laden verführt nämlich ohne Punkt und Komma mit dem großspurigen Versprechen »Alles was das Leben schöner macht«. Das wird fraglos Auswirkungen auf die Schönheit der Käufer haben.
Übergewichtige Kids stillen sich derweil mit zuckrigen Auslagen vom »Sternenbäck«. Dieser Mitgliedsbetrieb der Bäckerinnung verspricht mit dem Slogan »Gut drauf und lecker« die Ausschüttung von Glückshormonen durch Zuckerwerk. Ältere Männer in befleckten Jogginghosen und ausgetretenen Turnschuhen löffeln eine heiße Suppe beim »Wursthorst« und schimpfen auf die Regierung der blühenden Landschaften. Ein Schild wirbt für »Wurst, die immer wieder so wie früher schmeckt«. Zur Stärkung genehmigen sich die Kerle einen kräftigen Schluck aus einer Taschenflasche, auf der die Losung prangt: »Der Korn macht ihn kernig«.
Alle strömen ins »AWG-Modecenter«. Dort haust der selbst ernannte »Erfinder des Einkaufsglücks«. »AWG« bedeutet »Alle werden glücklich« und zwingt mich zum sofortigen Eintritt, denn jeder kann eine Portion Glück gut brauchen. Die Glücksschmiede ruft mit einer Symphonie knallroter Deckenhänger und Stoppschilder. Hundertfach wird darauf bestätigt: »Der Preis stimmt«. Will das Kleiderparadies damit behaupten, dass in anderen Läden der Preis fehlerhaft ist? Herrscht eine babylonische Preisverwirrung, die jetzt endlich durchbrochen wird? Oder möchte der Slogan ausdrücken, dass die Ware ausnahmsweise mal korrekt ausgepreist ist?
Fragend schaue ich auf die im Laden werkelnden Praktikantinnen, die in Kyrill das Wort »Kasachstan« auf dem Rücken ihrer T-Shirts tragen. Sie dürfen sich »Fashion Team« nennen, doch ob sie die philosophische Tiefe der AWG-Philosophie erahnen? Jedenfalls verfüge ich endlich über eine prägnante Definition von Glück: Glück bedeutet, alle möglichen Waren zum »Preis, der stimmt« kaufen zu können. Diesen philosophischen Schatz bringe ich von einem Ausflug nach Sachsen mit nach Hause. Das ist nahezu göttlich. Danke, AWG!
Auf der Zufahrt zur Autobahn stauen sich LKW-Kolonnen. Wie Elefantenherden ziehen sie aus Polen, Tschechien und Russland heran, um sich in den Weiten des Landes zu entladen und Glück zu bescheren. Das Autoradio fleht: »20.000 Quadratmeter Parkett suchen ein neues Zuhause«. – Da muss man doch helfen! Ob ich im Keller noch ein trockenes Eckchen finde für eine Palette obdachloses Laminat und es damit zum glücklichsten Parkett der Welt mache? – Ach, es ist doch so einfach, Glück zu schenken und selbst dabei glücklich zu sein …
ich glaube, dass kannst du besser! (Gesundbrunnencenter)