Lieber Bono,

Kolumne_allg_01awir kennen uns jetzt schon ganz schön lange. Sind es wirklich schon fast dreißig Jahre?

Ich erinnere mich erstaunlich lebhaft an unsere erste Begegnung. Das muss um 1987 gewesen sein. Ich war dreizehn, Du siebenundzwanzig, und Dein Familienname lautete noch Vox.

Es war die Zeit, wo in meinem Elternhaus ein kleiner Schwarz-Weiß-Fernseher mit Zimmerantenne im Esszimmer neben der Küche stand. Es war die Zeit von The Joshua Tree, und der erste Song Deiner Band, den ich bewusst hörte, war With or without you. Ich habe sofort gespürt, dass das mit uns was Besonderes wird. Das Video war anders als alles was ich kannte. Dass es zum Teil Schwarz-weiß war, habe ich natürlich nicht gemerkt, alle Videos waren in meiner Glotze Schwarz-weiß. Es war seine Ästhetik, die den Unterschied machte. Deine andächtigen Bewegungen, die erdrückende Schwere der dunklen Kulisse, das Spiel mit Licht und Schatten. Du trägst eine Weste, das Haar stramm im Zopf, und eine Gitarre auf dem Rücken, die Du bis zum Ende des Liedes nicht spielst. Das hat mich damals ganz kirre gemacht (macht es jetzt wieder), und ich wette, das hast Du so geplant.

Ihr seid die einzige Band, die Ihren Arsch erfolgreich von den Achtzigern in die Neunziger rübergeschafft hat (und dann sogar noch ins neue Jahrtausend!). Natürlich existieren noch mehr Bands jener herrlichen Ära, von den Simple Minds bis zu Spandau Ballet, aber von denen spielt keine mehr in eurer Liga (in der außer Springsteen auch streng genommen keine(r) was zu suchen hat!).

Viele mögen Dich nicht. Auf Nachfragen erfuhr ich, dass es die Leute stört, dass Du ein weinerlicher Stadionprediger bist, ein Haufen Scheiße oder ein verfickter Weltverbesserer (Verzeihung, ich zitiere nur). Das rückt Dich nahe an Jesus, der wurde auch ans Kreuz genagelt, weil er die Menschen dazu bringen wollte, nett zueinander zu sein (frei zitiert nach Douglas Adams).

In meinen Augen machst Du alles richtig. Dass Du nebenbei Milliarden verdienst, finde ich völlig okay. U2 ist eine Klasse für sich, und viele Haderer werden mir zustimmen, wenn der traurige Tag kommt, an dem ihr euch selbst zu Grabe tragt. Dann wird die Musikpresse euch den wohlverdienten Platz neben den Beatles zugestehen, weil ihr über Jahrzehnte die Musik geprägt habt (jede wirklich erfolgreiche Band klingt spätestens auf ihrem zweiten Album wie ihr!), und das nicht nur künstlerisch.

Viele werden in den kommenden Wochen „Bono, Du Heuchler“ in ihre IPhones tippen, denn wer die Welt zu einem besseren Ort machen will, der darf nicht erfolgreich sein (der lebt im Wald, wirft mit Steinen und verweigert sich allem, um damit genau so auf den Arsch zu fallen wie Generationen von Hippies und Freaks vor ihm).

Ich mag Apple nicht besonders, weil es eine Firma ist, die kultisch verehrt wird, und das nervt mich, denn es ist doch nur eine Firma (wenn auch eine innovative), aber euren Deal mit ihnen finde ich schlau, und über das kostenlose neue Album habe ich mich sehr gefreut. Natürlich werde ich es mir trotzdem kaufen, als CD oder Platte, in meinem Lieblingsplattenladen Mr. Music, weil eine gebrannte CD im Regal so hässlich aussieht. Ich wette, das hast Du gewusst, Du alter Fuchs?!

Euer Frühwerk, das ich erst entdeckte, als ihr schon Cowboyhüte trugt, fand in War seinen Höhepunkt, seine Perfektion (und beinhaltet mit Sunday bloody Sunday euren ersten großen Hit). Ein mächtiges Album: das Schlagzeug rumpelt, als wäre es im Badezimmer aufgenommen, The Edge hatte seinen Delaysound endgültig gefunden (für Unwissende: Ein Delay ist vereinfacht ein Effektgerät, das Echos erzeugt), seine unverwechselbare Art aus Akkordvermeidung und Melodie, Adam bereitet die wummernde Bühne, auf der die Gitarrentöne umherspringen wie Knallfrösche. Du, Bono, warst wieder wütender, lauter, trauriger und größer als alle zuvor!

Dann habt ihr getan, was ihr später noch oft tun solltet: Ihr treibt es auf die Spitze, macht ein Album, wo ihr eine Essenz aus eurem vorhergegangen Schaffen mit so viel kreativem Ehrgeiz kombiniert, dass das Ergebnis schwer zu schlucken ist. Das war in diesem Fall The Unforgettalbe Fire (das natürlich – natürlich – natürlich auch große Momente hat), und dann bemerkt ihr euren Irrtum, beschließt, dass es Zeit ist, weiterzuziehen, fackelt hinter euch alles ab und fangt woanders von vorn an. (Der Rest rennt hechelnd hinterher.)

The Joshua Tree. Mann, Alter, echt jetzt mal: Danke! Vom Artwork bis zum was weiß ich ein Meisterwerk. Ihr habt eine eigene Musik erschaffen, eine Kombination aus Rock, Pop, New Wave, Gospel und Blues. Würde mir jemand erzählen, dass er eine Band kennt, die so klingt, ich würde Haus und Hof darauf verwetten, dass sie scheiße ist. Nicht bei euch, da hat es Seele, und ich habe keine Ahnung, wie ihr das macht. The Joshua Tree brannte so heiß, das ihr beinahe verglüht wärt, doch mit Rattle and Hum seid ihr wieder zu Menschen geworden (übrigens viel besser als man sagt, dieses Album. Hören Sie mal Heartland!). Trotz erster Plätze in den Charts, der Gaul war totgeritten, die Krempen eurer Cowboyhüte waren vom raren Wüstenregen aufgeweicht und hingen euch über Augen und Ohren. Es war Zeit für eine Rückkehr nach Europa. Und nach einer Bauchlandung auf allerhöchstem Niveau rappelt ihr euch auf wie Rocky Balboa und zeigt es allen so richtig. Wo eben noch Bodenständigkeit angesagt war, erdige Songs in der amerikanischen Songschreiber Tradition macht ihr jetzt genau das Gegenteil. Achtung Baby! Ein bis ins Detail produziertes Bastardwerk (manche sprechen von überproduziert – das gibt es nicht!). Innerhalb von fünf Jahren zwei Alben für die Ewigkeit aufzunehmen, die unterschiedlicher nicht sein können, das lässt mich in Demut erstarren. Wie ist es möglich, dass ihr beides so unfassbar gut macht? Das nachfolgende Zooropa mag ich fast noch lieber, weil es so völlig irre ist, und man hört den Spaß am Experiment, den ihr bei der Aufnahme hattet. Hier geschieht bereits vieles, wofür die Indie-Szene bald Radiohead lobpreisen soll, aber Indie wolltet ihr sowieso nie sein, die Szene war euch stets zu konservativ, zu starr, und die verstanden eure Superlative sowieso nicht. Wegen mir hätte das Experiment Zooropa weitergehen können, aber wie naiv von mir, darauf zu hoffen: Pop hieß das finale Album dieser Phase, und das war es dann mit U2 in tanzbar, mit Versatzstücken aus Elektro, Trabant, Rave, Disco, Dadaismus, Irrsinn und Mauerfall … schade!

Die folgenden Alben holten viele Fans zurück, die euch eure eigene Neuerfindung der frühen Neunziger verübelt hatten. Wir hatten alle einen Beautiful Day, doch liegt der letzte große Hit jetzt eine Weile zurück (Vertigo?), und ich wette, das macht Dich ganz irre. Bleib am Ball! Strebe weiter danach, alles noch eine Nummer größer zu machen als zuvor (es ist bestimmt einsam da oben, wenn man immer nur die eigenen Rekorde bricht? Was treibt Dich an außer Deinem überdimensionalen Ego?).

Ich könnte nachvollziehen, würdet ihr nach so vielen Jahren altersmilde und müde nur noch das eigene Erbe verwalten und lediglich touren bis zum Ende des Universums. Du könntest auch nur der Sänger von U2 sein, bestimmt nicht der schlechteste Job – bist du aber nicht. Umarme weiter vor laufenden Kameras Kackvögel wie George W. Bush, wenn es der guten Sache dient. Nehmt weiter Alben auf, steckt Prügel ein, ihr werdet am Ende immer als Sieger vom Platz gehen. Mann, Du musst Eier haben, so groß wie Wassermelonen!

Als ich mit einem Freund irgendwann in den Neunzigern eine Aufzeichnung eures Auftrittes auf der Loreley sah, es muss aus den Achtzigern gewesen sein, Du marschierst mit einer weißen Fahne durch die Ränge, war ich peinlich berührt. Dafür möchte ich um Entschuldigung bitten, denn heute weiß ich, es können nie genug weiße Fahnen geschwenkt werden.

Außer Frage steht, dass Du ein Pfau bist, ein eitler Fatzke, ein Narziss und Selbstdarsteller. Aber wer das nicht aushält, dem ist vielleicht nur zu eng in seiner eigenen kleinen Existenz. Du bist ein Rockstar!

In tiefer Zuneigung

René Grandjean

 

One Reply to “Lieber Bono,”

  1. Patricia Jankowski

    Huch, warum lese ich die Kolumne erst jetzt?
    Auch ich bin ein unverbesserlicher Anhänger von U2, von Bono Vox. Vieles hier sprach mir aus der Seele.
    Vielen Dank dafür!
    In meiner Reha vor fünf Jahren spielte ein Physiotherapeut in seinen Stunden immer Springsteen oder U2, was mir sehr gefallen hatte. Er war bei dem Konzert auf der Loreley dabei, so 82 oder 84, wenn ich mich recht entsinne.
    Da merkte ich erst, wie viel älter als ich er war 😛
    Der Musikgeschmack war der Gleiche, universell und alterslos.