Von Regina Mengel
Wie Pilze sprießen sie aus dem Boden: neue E-Book-Verlage und Plattformen, die Nachwuchsautoren suchen. Das ist nicht verwerflich. Ich verstehe gut, dass Verlage nach neuen Wegen suchen und auch, dass nach einer Phase des (möglicherweise zu lange andauernden) Tiefschlafes nun eine Art blinder Aktionismus einsetzt. Allerdings habe ich an manchen Konzepten so meine Zweifel.
Zweifel vor allen Dingen an der Wertschätzung gegenüber den AutorInnen.
Gerade heute lief mir folgendes Werbebanner über den Weg.
GRATIS LESEN? Okay … obwohl sich mir auch dazu so manche Frage zur Wertigkeit von Büchern und geleisteter Arbeit von Autoren aufdrängt, aber das ist ein anderes Thema.
Aber GRATIS SCHREIBEN? Hallo? Wer hat denn da den Schuss nicht gehört?
Zuerst entlockte mir die Anzeige ein Schmunzeln, doch je länger ich mich über den Marketingstrategen wunderte, der sich dieses Banner ausgedacht hat, umso mehr Ärger kroch meine Speiseröhre herauf.
Lieber EGMONT LYX Verlag, meint ihr das ernst? Und wenn ja: Wie soll ich das bitte verstehen als AutorIn, die das Schreiben von Romanen ernsthaft betreibt? Wird mir hier tatsächlich das GRATIS SCHREIBEN als tolle Möglichkeit verkauft? Als Privileg, das ich auf eurer Plattform genießen kann?
Um es ganz offen zu sagen, ich empfinde das als Schlag ins Gesicht, als herablassend und herabsetzend. GRATIS SCHREIBEN durfte ich immer schon, ich tue es täglich in meinem Arbeitszimmer. Ich strecke meine Zeit, mein Geld und meine Hoffnung vor, arbeite viele Monate an einem Buch, alles in der Erwartung, wenn das Buch fertig ist, mit den Erlösen aus dieser Vorleistung, meine Frühstücksbrötchen bezahlen zu können und womöglich sogar meine Miete. Und nun kommt ihr daher und erklärt mir großzügig: Auf der Plattform Lyx Storyboard darf ich als Autorin GRATIS SCHREIBEN?
Yeah, was mich das freut. Da mag ich am liebsten … Nein, ich sage es nicht, ich denke es mir nur.
Vielleicht, lieber EGMONT LYX Verlag, denkt ihr einmal darüber nach, wie sich NachwuchsautorInnen fair fördern lassen, stattmit dem vergifteten Privileg GRATIS SCHREIBEN zu dürfen und ein vollständiges Buch, nicht etwa nur eine Leseprobe („Der Text (Manuskript) muss abgeschlossen sein, …“), kostenlos der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um dadurch in einem Wettbewerb möglicherweise einen E-Book-Vertrag zu gewinnen. Wow – sogar inklusive professionellen Korrektorats („Bestandteil des Verlagsvertrags sind u. a. ein professionelles Korrektorat und ein E-Book-Cover …“). Nicht einmal ein Lektorat sind euch diese Bücher wert?
Klar, ich muss das Angebot nicht annehmen, auf dieser Plattform zu veröffentlichen – zwingt mich ja keiner. Und ich werde selbstverständlich auch keinen Gebrauch davon machen. Ich habe meine Lektion gelernt, ich habe gelernt, wie ich meine Bücher – mal besser, mal schlechter – an die Frau oder den Mann bringe. Gelernt habe ich aber auch, dass es da draußen eine Vielzahl junger AutorInnen gibt – jung an Jahren und/oder Erfahrung –, die von Erfolg träumen und dafür leider nur allzu oft bereit sind, die Früchte ihrer Arbeit kostenlos herzugeben oder – sogar noch schlimmer – für eine Veröffentlichung zu zahlen, selbst in unseren Zeiten, in denen Self-Publishing in aller Munde ist.
Bin ich eigentlich die Einzige, die von seriösen Verlagen erwartet, dass diese mit AutorInnen verantwortlich umgehen? Dass sie Wertschätzung für das aufbringen, was aus unseren Herzen und Hirnen aufs Papier gesickert ist? Wo sind nur die Zeiten hin, in denen die Druckkostenzuschuss-Verlage für die Abzocke zuständig waren? Ist die alltägliche Ausbeutung schon so sehr zur Gewohnheit geworden, dass man uns die traurige Tatsache des brotlosen Künstlers nun auch noch als Privileg verkauft?
Okay, jetzt sag ich’s doch. Da mag ich am liebsten kotzen!
Auf der Leipziger Buchmesse bin ich – als ich eh gerade am Lyx-Stand vorbeilief – auf einen der Anzugtragenden Herrn zu gegangen und fragte ihn, weshalb es Fantasy derzeit eigentlich so schwer hätte und ob man als neuer (deutscher) Autor überhaupt noch Chancen bekäme. Er musterte mich mit abschätzigem Blick von oben bis unten (aber vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet) und fing an von Lyx-Storyboard zu sprechen und was für tolle neue Chancen das für einen aufstrebenden Autor bedeuten würde …
– Man würde direkt von Lesern entdeckt werden
– Hätte einen Fuß in einem renomierten Verlag und
– dürfe sich mit dem Lyx-Ebook-Siegel „schmücken“.
„Aha“, erwiderte ich, „wie Neobooks in Lyx, also?“
„Nein!“, entrüstete er sich, „bei NB würde ja ein Lektorat entscheiden, hier wären es die Leser … direkter … frischer … innovativer!“
Aha, als wie NB in Lyx, nur in Sch*** 😉 (Das dachte ich nur, sprach es nicht laut aus!)
Als ich ihm sagte, dass meine Manuskripte von meiner Agentur vermittelt werden und die eigentlich an derartigen Plattformen kein großes Interesse hätten, schien er dann doch etwas mehr Respekt für mich aufzubringen. Er fragte sogar nach einem Visitenkärtchen.
Das zeigt leider zu deutlich, wie geringschätzig Autoren behandelt werden, v.a. wenn man noch am Anfang steht 🙁
Was ist die nächste Phase? Zahlen Sie ein, dann dürfen Sie schreiben? Das furchtbare ist, dass es gewiss Leute geben wird, die da mitmachen. Sie PROMOTEN damit GRATIS einen Verlag, der ihnen nichts gibt, denn neben der Arbeit am Buch, die gratis abgeliefert wird, kommt noch die Werbewirksamkeit für den Verlag hinzu, der so Leser auf seine Site lockt, die dann ganz andere Titel kaufen. Das geht über normale Ausbeutung weit hinaus. Da scheinen selbst Druckkostenzuschussverlage beinahe seriös im Vergleich.
Ja … gut gebrüllt. Ich hatte die Ehre diese Plattform in der Entstehungsphase begutachten zu dürfen. Es war alles ganz geheimnisvoll, ich sollte immer sagen was ich denke, und irgendwann, als bei mir der Groschen fiel, hab ich die Macher spontan beglückwünscht: Sie haben es geschafft, eine Plattform für all die Verzweifelten zu machen, die wie die brennenden Seelen in der Hölle nach jedem Strohhalm grifen, wo Verlag draufsteht. Und dazu müssen sich die Leute dort nichtmal anstrengen! Sie lassen einfach die Schwarmintelligenz die Auswahl machen, und schauen sich dann nur noch an, was oben schwimmt. (Oha, wir wissen alle, was manchmal oben auf Wasser schwimmt) Nein, von Egmont Lyx total toll eingestielt. Für alle Autoren und Schreiberlinge, die da mitmachen ein Armutszeugnis. Aber Armut bringt eben nicht das Beste im Menschen hervor.
Danke, Regina. Du hast so recht! Hinter dieser und ähnlichen Aktionen anderer Verlage verbirgt sich meiner Meinung nach der Versuch, die wachsende Woge der selbstständiger und selbstbewusster werdenden Selfpublisher aufzuhalten, die über die traditionelle Verlagswelt hereinbricht. Man möchte die Talente „abfischen“, ohne selbst großen Aufwand zu treiben. Kritische Zungen gehen noch einen Schritt weiter – wer sich auf solchen Plattformen abmüht, „gratis zu schreiben“, ist in dem Moment (sehr) beschäftigt und wird zumindest in seinem Bemühen, als SPler und quasi Konkurrent des traditionell Verlages erfolgreich zu werden, behindert. Letzteres wollte mir nicht sofort einleuchten, aber inzwischen sehe ich es ähnlich.
Hallo Regina,
vielen Dank für deine offenen Worte.
Wir haben uns direkt mit der Agentur in Verbindung gesetzt, um dieses Banner deaktivieren zu lassen. Das Wording des Banners wurde bereits überarbeitet.
Beste Grüße, Egmont LYX Verlag
Ganz grandioses „Konzept“ und eine Unverschämtheit eines etablierten Verlags, hier so dummdreist um die Ecke zu kommen. Bei Klein- und Kleinstverlagen mit Sympathiebonus kann man über so etwas nachdenken, aber von einem großen Publikumsverlag zu lesen, „schreib uns mal was für lau, Du hast dann bei uns potentiell einen Fuß in der Tür“ … man fasst es nicht. Man sieht aber wieder mal, was die größeren Vertreter der Branche von Autoren halten. Man denkt offenbar, die haben den Intelligenzquotienten eines halben Meters Ikea-Bücherregal.
Und was für eine Konsequenz liest man im Kommentar vom Verlag? „Wir werden das Banner ändern!“. Sinnvoll wäre es gewesen, das Konzept zu überdenken, jetzt nur mit virtueller Farbe am komplett misslungenen Banner rumkritzeln und den Fehlgriff auf einen Agentur zu schieben zeugt von Evolutionsresistenz (aber das ist wohl eine branchenimmanente Krankheit).
Hihi, Regina,
ich habe schon ungefähr vor zwei Wochen abgekotzt – ich glaube, es war unter einem Werbe-Post zu Lyx bei Pat McCraw … Traurig, dass immer mehr Verlage ihre eigentliche Aufgabe, in Vorlage zu gehen und Risiko zu einzugehen, trickreich auf Leser und/oder Autoren abwälzen wollen, denn damit untergraben sie ihren eigenen Daseinszweck ja nur umso schneller. Druckkostenzuschussverlage waren jahrelang die Schmuddelkinder der Branche, weil sie Autoren abzocken. Jetzt machen sich renommierte Verlage selbst zu Schmuddelkindern, indem sie auch noch die Leser hinters Licht führen (wie die Münchner Verlagsgruppe mit ihren „100 Fans“) oder eben Autoren mit „Wettbewerben“ locken, um sich selbst die Arbeit der Vorauswahl von Manuskripten zu ersparen. Wer schon als Self-Publisher einigemaßen erfolgreich ist, der darf hoffen, vom Droemer-Knaur-Verlag (via neobooks) „entdeckt“ zu werden. Na danke! Wer schon so weit gekommen ist, dass er deren Aufmerksamkeit erregt hat, der ist hoffentlich nicht so dumm, dann noch auf so ein Angebot hereinzufallen!
Und jetzt eben Egmont – peinlich, peinlich. Man mag ja von Self-Publishing und Amazon halten, was man will – an ihrem Untergang sind die Verlage (fast) ganz allein schuld …
Liebe Regina,
ich hatte in meinem kleinen Schreibratgeber u.a. auch auf Egmont-Lyx Storboard hingewiesen. Aber dieses Werbebanner kannte ich bis dato noch nicht. In der nächsten (3.) Ausgabe werde ich den Hinweis auf diese Plattform wieder rausnehmen. Ich empfinde es nicht nur als eine Gedankenlosigkeit, sondern auch als Frechheit und schlichtweg Arroganz gegenüber allen Debutautoren. SO NICHT EGMONT-LYX!
Hallo zusammen!
Der Slogan „Gratis lesen & schreiben“ ist nicht auf den Mist einer Agentur gewachsen, sondern taucht bei LYXstb an einigen Stellen auf. Ich denke aber, es gibt hier eine „Zielgruppen-Verwechslung“ in der gesamten Diskussion. Wir sprechen mit LYXstb Leute an, deren Texte bis dato kein Geld einbringen, die sich und ihre Texte ausprobieren wollen.
Wir haben über die Formulierung „Gratis lesen & schreiben“ lange diskutiert. Es ging uns einerseits darum, Zweck, Funktion und Nutzen der Plattform zu kommunizieren; andererseits darum, klar zu machen, dass der gesamte Dienst kostenlos ist. Und gerade für angehende Autoren ist der Zweck ja, auf eine aktive, interessierte Leserschaft zu treffen, deren Feedback ihnen hilft, sich zu verbessern. Wer mit seinen Texten bereits Geld verdient, ist bei uns vermutlich nicht an der richtigen Adresse – wir sprechen bewusst Leute an, denen eigene Vertriebswege fehlen oder deren Manuskripte gerade noch entstehen und noch nicht publikationsreif sind. Wer nach einer guten Community für seine Texte sucht, wird bei uns fündig!
Ich hoffe, das klärt einige der Punkte, die hier aufgekommen sind. Es geht uns nicht um Ausbeutung, sondern darum, neue Wege des Crowdsourcing zu beschreiten, gute Stoffe zu finden (die vielleicht auch von etablierten Agenturen gar nicht vertreten werden) und Leser und Autoren zusammen zu bringen. Wenn es noch Diskussionsbedarf gibt, schreibt mir gerne eine Mail, eine PM auf FB oder lasst uns auf einer der nächsten Veranstaltungen sprechen!
Viele Grüße und frohe Ostern
Dennis Schmolk
Portalmanager LYX Storyboard
d.schmolk (at) egmont-vg (dot) de
„Wir sprechen mit LYXstb Leute an, deren Texte bis dato kein Geld einbringen, die sich und ihre Texte ausprobieren wollen.“
Seriously? Es sollen also nur unbekannte Autoren ausgebeutet werden, bekannte nicht? Die Ausreden werden nicht besser. Facepalm deluxe gold!
Also wie Wattpad?
Und diverse andere Plattformen dieser Art, inkl. fanfiction.net 😉
Sehr geehrter Herr Schmolk,
aus „Leute an, deren Texte bis dato kein Geld einbringen, die sich und ihre Texte ausprobieren wollen“ also sprich Autoren, die noch ganz am Anfang stehen, könnten aber durchaus bekanntere Autoren werden. Allerdings dann nicht mehr mit dem bei LYX eingestellten MS. Das ist dann auf immer „verbrannt“ für Agenten und andere Verlage. Also nicht nur gratis gelesen, sondern für die überwiegender Mehrzahl der eingestellten Texte auch noch „umsonst“ geschrieben.
Bei der von Ihnen angestrebten „Zielgruppe“ handelt es sich in der Tat um (Hobby-) Autoren, die vom normalen Geschäftsbetrieb und den vorherrschenden Spielregeln aus genau diesem Grund keine Ahnung haben. Solange Sie also nicht ausdrücklich auf ihrer Seite in der Art darauf hinweisen („Ein bereits einmal im Internet veröffentlichter Text wird von den meisten Verlagen und Agenturen nicht mehr angenommen“) ist es in der Tat nicht akzeptabel.
Es gibt und gab eine Menge geschlossener Schreibgruppen, wo genau das praktiziert wurde und wird (z.b. Fiction Writing) – Testleserschaft, Feedback und Hilfestellung durch die Gruppe, allerdings OHNE kommerziellen Hintergrund und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Diese Texte eignen sich dann sehr wohl noch, um seriösen Verlagen angeboten zu werden.
Mit freundlichen Grüßen
Elke Pistor
Hmmm. Da laufen zwei Wirklichkeiten stramm aneinander vorbei, fürchte ich. Es ist, als würde die eine Hälfte (Verlag) über Ananas reden und die andere (Autoren) über Kaninchen. Man kann grob beides in eine organische Richtung verorten, aber die Berührungspunkte sind ansonsten nicht auszumachen.
Ich fürchte, dass viele Verlage überhaupt keinen Blick für die andere Seite haben, was über die Einordnung der AutorInnen als TextlieferantInnen hinausgeht. Und schon gar keinen Blick dafür, dass auch autorenseitig die reine „Veröffentlichung“ auf irgendeiner Webplattform ja nichts Neues, Bahnbrechendes ist, das passiert schon seit Jahren überall. DAS ist nur für die etablierten Verlage „Neuland“. Das merkelt halt gewaltig, ganz gewaltig.
Der Joker sagt es am besten: „Wenn du in etwas gut bist, dann tue es nie umsonst.“ – Keiner hat was zu verschenken, auch (und gerade) Autoren nicht.
Hat die Generation Praktika also auch unsere hoffnungsvollen Nachwuchsautoren erreicht?