Von Nikola Hahn
„Ich habe bis zur letzten Zeile überlegt, was der Titel eigentlich bedeuten soll“, hörte ich unlängst eine Kundin in einem Buchladen seufzend sagen. „Wahrscheinlich nichts“, mischte ich mich ein und erntete einen ungläubigen Blick. „Also hören Sie mal! Der Autor wird sich schon etwas dabei gedacht haben! Und das Buch war ja auch wirklich spannend.“
Ich war zu feige, ihr zu sagen, dass der Autor wahrscheinlich gar keine Chance hatte, sich etwas dabei zu denken, denn Buchtitel werden – so steht es nett im sogenannten Normvertrag – vom Verlag unter werbe- und verkaufspolitischen Gesichtspunkten festgelegt. Wie das in der Praxis aussieht?
Als ich meinen ersten Verlagsvertrag unterschrieb, war das Buch noch nicht ganz fertig, aber beim Titel war ich mir sicher: Das Glashaus. Eine Metapher für die Zerbrechlichkeit nicht nur des Glücks, sondern auch der Wahrheit. De facto nahm die Geschichte ihren Anfang und ihr tragisches Ende in einer alten Orangerie, deren unterirdisches Gängelabyrinth ein schreckliches Geheimnis hütete. Im Verlag war man angetan von meinem Titelvorschlag, alles paletti. Bis irgendwann meine Lektorin anrief. Man habe nun doch einen anderen Titel gewählt. Die Detektivin. Ich war so geplättet, dass ich erst mal gar nichts sagte. Und dann nur noch: Um Gottes willen, nein! Einen Tag erhielt ich Zeit, einen Alternativvorschlag zu machen, aber der müsse, so die Vorgabe, mit Die anfangen und mit –in enden. Wahrscheinlich werden Sie jetzt schmunzelnd an all die Mörderinnen, Totenwäscherinnen, Päpstinnen und ähnliche Kreationen denken, die eine Zeitlang die Buchläden überschwemmten. Mir war nicht zum Lachen, sondern eher zum Heulen zumute. Klar, dass mir nichts Passendes einfiel, aber es war ohnehin zu spät, denn die Programmvorschau, so erfuhr ich anderntags, war längst gedruckt.
Jahre ist das her, und man gewöhnt sich an alles. Heute sehe ich den Titel durchaus mit Schmunzeln, auch wenn mir immer mal wieder angekreidet wird, dass meine Recherchen nur zwischen den Buchdeckeln korrekt seien: Eine Detektivin anno 1882 könne ja nur einer verkappten Feministin einfallen. Auch gewisse Anspielungen, wie Emil und die Detektive, nehme ich mit einem Schulterzucken. Schlimmer wiegt ein ganz anderer Verlust: Ich lese seit meiner Kindheit, und für mich war ein Buchtitel immer etwas ganz Besonderes, die Seele, die Essenz der Geschichte: hier fädelte sich der rote Faden ein, der mich hineinzog in das Abenteuer zwischen den Buchdeckeln. Ich fühlte mich als Leserin getäuscht, verraten und schwor mir, nie wieder ein Buch nach dem Titel zu kaufen.
Apropos: Mein zweiter Roman bekam den Titel Die Farbe von Kristall. Eine Geschichte über die verschiedenen Facetten der Wahrheit. Es hat mich wahrlich einiges an Nerven gekostet, das gegen Der letzte Akkord zu verteidigen.