Die Sache mit dem Herzblut

von Jana OltersdorffKolumne_allg_02

Liebe MitautorInnen und LeserInnen, ist euch das auch schon mal passiert? Ihr seid mutig oder wahnsinnig genug, den hochmotivierten, jedoch noch recht unbeholfenen Schreibversuch eines angehenden Neu-Autors zu kritisieren, indem ihr ihm so diplomatisch wie möglich mitteilt, dass sein Text eben genau das ist: ein hochmotivierter, aber noch recht unbeholfener Schreibversuch. Ihr gebt euch sogar die Mühe, ihm ein paar konstruktive Vorschläge mit auf den Weg zu geben, zum Beispiel die Sache mit der Adjektivitis, oder ihr weist ihn freundlich darauf hin, dass die Tastatur auch eine Taste zum Schreiben großer Buchstaben besitzt – aus Gründen und weil sich der Text dann einfach besser lesen lassen würde.

Ihr würdet nun natürlich erwarten, dass der so kritisierte Autor in Ruhe in sich geht, sich seinen Text noch einmal unter diesen Gesichtspunkten anschaut und den einen oder anderen Vorschlag nicht nur überdenkt, sondern sogar tatsächlich umsetzt. Wenn ihr völlig übergeschnappt seid, erwartet ihr wahrscheinlich auch noch ein mehr oder weniger überschwängliches „Dankeschön“, denn immerhin habt ihr doch helfen wollen. Außerdem hat besagter Autor sogar darum gebeten, ihm Feedback zu seinem Schreiberguss zu geben.

Und was bekommt ihr? Jedenfalls keinen Dank. Im Idealfall herrscht erst einmal Schweigen im Wald. Aber wer von uns lebt schon in einer idealen Welt? Wenn nicht der Autor gleich selbst auf die Barrikaden steigt, tun es mindestens ein paar seiner Freunde, Fans oder ein paar KollegInnen, die sich komischerweise von eurem Kommentar persönlich angegriffen fühlen.

Was ihr euch herausnehmt? Wie ihr so schulmeisterlich daherkommen könnt? Ob ihr die Schönheit der Botschaft in diesem Text vor lauter Literaturkritikerambitionen überhaupt noch erkennen könnt? Als wenn ihr keine Fehler machen würdet! Jeder hat mal klein angefangen! Was eigentlich euer Problem sei? Ihr seid doch eh bloß neidisch!

Letzteres „Argument“ liebe ich ja auch ganz besonders. Aber noch viel besser funktioniert jenes Wort, das früher oder später in so einer Diskussion immer fällt und das mittlerweile dafür sorgt, dass sich bei mir die Nackenhaare aufrichten:

Herzblut!

Ich kann es nicht mehr hören. Das. Ist. Das. Totschlagargument. Überhaupt.

Herzblut. Die Autorin habe doch ihr ganzes Herzblut in die Geschichte gesteckt. Das müsse man doch wertschätzen! Was will man darauf antworten?

Moment mal.

Im Grunde erwarte ich von jedem Autor, dass er Herzblut in seine Arbeit steckt. Wenn damit nämlich gemeint ist, dass man sich die größtmögliche Mühe gibt, um den bestmöglichen Text zu schreiben, zu dem man in der Lage ist – inklusive mehrerer Durchgänge wegen Überarbeitung, Streichung, Erweiterung, Korrektur etc., dann bin ich 100 Prozent d’accord. Aber dazu gehört doch auch, dass man sich mal von Gleichgesinnten, Schreibenden mit mehr Erfahrung oder Lesern mit ihren ganz eigenen Ansprüchen sagen lässt, was die vom eigenen Geschriebenen halten, und zwar offen und ehrlich.

Ich lerne doch nicht aus Lobhudeleien, so gern ich die auch für meine Texte bekomme. Ich lerne aus Kritik, aus Verbesserungsvorschlägen, aus Erklärungsversuchen, warum mein Text nicht so funktioniert, nicht so wirkt, wie ich mir das vorgestellt habe. Da kann ich doch nicht die beleidigte Leberwurst spielen, mich auf die Hinterbeine stellen und „Herzblut!“ schreien. Aber genauso laufen derlei Unterhaltungen oft ab:

  • Ich hab da was geschrieben. Schau mal, wie findest du es?
  • Ja … okay … Das liest sich schon mal nicht schlecht, mir gefällt die Grundidee. Aber dass du mit der Beschreibung des Wetters beginnst, ist langweilig und leider ein ganz abgedroschenes Klischee, das solltest du ändern. Und was hältst du davon, vor jeder wörtlichen Rede einen Absatz zu schalten?
  • Wie bitte?! Also wirklich! Ich habe das mit all meinem Herzblut geschrieben! Wie kannst du mich nur so fertig machen???
  • Aber ich wollte doch nur …
  • Herzblut!!!

Vielleicht sollten wir die Idee mit dem Bullshit-Bingo mal auf die Welt der schreibenden Zunft übertragen. „Herzblut“ würde da auf jeden Fall einen Platz auf der Liste verdienen und wäre vermutlich immer einer der ersten Begriffe, die man durchstreichen kann.

Beinahe jedes Mal, wenn ich mich dazu hinreißen lasse, zum Beispiel in einer Facebookgruppe einen Text, der mit dem Hinweis „Schaut mal, das hab ich geschrieben, wie findet ihr es?“ gepostet wurde, zu lesen und mir ein paar Gedanken dazu zu machen, bekomme ich solche Reaktionen. Mir ist meine Zeit dann auch fast zu schade für derartige Diskussionen, die weder mich noch den Autor, der angeblich Feedback haben wollte, weiterbringen. Das mache ich mittlerweile nur noch für befreundete AutorInnen, für meine Mit-Qindies oder wenn ich ganz offiziell als Lektorin beauftragt werde. Denn eigentlich mache ich das sehr gern – mit Herzblut, versteht sich.

+ Jana Oltersdorff +

8 Replies to “Die Sache mit dem Herzblut”

  1. Patricia Jankowski

    Herzlichen Dank für diese mit Herzblut geschriebenen Zeilen!
    Mir ist in all den Jahren, in denen ich selbst Textarbeit betreibe, mehr als einmal meine mit sehr viel Zeit erarbeitete Kritik böse um die Ohren geflogen.
    Den Vogel abgeschossen hat ein Freund, der sich durch meine Kritik persönlich so beleidigt gefühlt hat, dass er mir die Freundschaft kündigte.
    Tut weh, ist aber leider nicht zu ändern.
    Auch ich investiere meine Zeit inzwischen nur noch in Texte von Menschen, die mit meiner Kritik umgehen können und wollen.
    Alles andere ist Verschwendung meines eigenen Herzbluts.

  2. Astrid Vollenbruch

    Das war einer der Gründe, warum ich vor zehn Jahren das Kritikforum „Federfeuer“ gegründet habe. Wer wirklich Kritik haben möchte, ist dort jederzeit willkommen – wer nur gepriesen und bejubelt werden will, nicht.

  3. Markus

    Nails it! Ist immer das gleiche Drama mit den verkannten Genies. Da schwingt halt die v.a. aus der Romantik weitervererbte Haltung mit, dass Inspiration und eben das genannte „Herzblut“ alles sei, worauf es bei der Kunst ankäme. Das Kunst auch was mit Können zu tun hat, wird dabei halt gerne vergessen … alles verkannte Genies, selbst wenn sie keine zwei geraden Sätze hintereinander bekommen… *seufz*

    Ich war ja selbst etliche Jahre als Autor, Kritiker und zuletzt auch Moderator auf wortkrieger.de (damals noch kurzgeschichten.de) unterwegs und habe dort genau diese Diskussion ebenfalls quasi täglich und bis zum Erbrechen geführt. irgendwann hat man es dann einfach satt und lässt sie links liegen, jene, die schon meinen alles zu wissen und alles zu können, und nur die Welt verstehe sie nun mal einfach nicht…

    Ja, als ich dereinst dort meine ersten Texte der Kritik stellte, war das wie ein Sprung in ein Haifisch-Becken – aber ein notwendiger! Es war hart, aber ich habe auch viel dabei gelernt. Wenn ich als Künstler egal welcher Gattung nicht lerne, mit (konstruktiver!) Kritik umzugehen, nehme ich mir halt jede Chance auf Weiterentwicklung. Entweder man versteht das irgendwann oder bleibt eben auf ewig das verkannte Genie. Ist dann wahrscheinlich auch kein Verlust für die Kunst… 😉

  4. Jara Thomas

    Ähm … Weshalb bittet man denn andere, die eigenen Texte zu lesen?

    Wenn ich jetzt mal von mir als Autorin ausgehe, doch deshalb, weil ich Rückmeldungen und (konstruktive) Kritik möchte. Wer andere bittet, ehrlich zu sein, darf niemals nur mit Lob rechnen.

    Natürlich tut Kritik auch weh. Ja klar! Tut sie immer! Mit einer Veröffentlichung öffnet man sich eben – das steckt in dem Begriff schon drin. Und dann ist man an der Stelle auch verletzbar – klar! Nicht zuletzt deshalb schreiben wohl auch so viele und veröffentlichen eben nicht, weil sie die Kritik fürchten.
    Einige Autoren bezeichnen ihren Roman als ihr ‚Baby‘. Das wird dann vielleicht ähnlich empfunden, als wenn man einer Mutter sagt, ihr Baby sei hässlich … oder so … (Ich weiß, Vergleiche hinken …)

    Aber ich möchte mich als Autor doch verbessern (deshalb eben „konstruktive Kritik“, wovon ich bei Dir ausgegangen bin, Jana – bitte nicht falsch verstehen) und mit meinem Roman unterhalten. Die Leser sind vermutlich mit ‚Herzblut‘ nicht so sehr zu beeindrucken, als vielmehr mit schönen und gut lesbaren (dazu gehört für mich eben auch unbedingt die Groß- und Kleinschreibung) Geschichten. Dann muss ich das auch aushalten.

    Ich hab meine Freundin gebeten, sich nicht für jeden Kritikpunkt bei mir zu entschuldigen (sooo viele WhatsApp-Nachrichten … ;-)). Das ist natürlich doof, wenn sie rät, einen Satz zu streichen, auf den ich gerade besonders stolz war! Ich kann ja außerdem immer noch entscheiden ob ich dem, was sie kritisiert folgen will.

  5. Maja Ilisch

    Wie mein Vater immer sagt: Das Gegenteil von Kunst ist gut gemeint. Und spätestens ab dem Moment, wo ich erwarte, dass jemand mein Buch mit Geld bezahlt und nicht nur mit (im Zweifelsfall vergeudeter) Zeit, schulde ich diesem Leser das bestmögliche Buch, das der nur irgendwie bekommen kann. Aber so sehr ich gerade auch unter meinem Lektorat ächze, schwitze und fluche: Wenn ich Herzblut geben will, gehe ich zum Roten Kreuz.

  6. Divina

    Ein anderer Autor, der bereits mehrere fehlerbehaftete Werke im Verkauf hat, kommentierte die angebrachte Kritik noch nicht einmal mit „Herzblut“, sondern nannte seine Werke Kunst – und als solche wäre sie nicht zu kritisieren.

    Nun ja, man kann es sehen, wie man will. Der Autor kann es letztendlich nennen, wie er mag, ob nun Kunst, Herzblut oder dem Leser sogar noch den Hinweis geben, dass gefundene Fehler behalten werden dürfen … Wenn er es nicht schafft zu überzeugen, erledigt sich das meist irgendwann von selbst. Leser kaufen nämlich nur dann gerne, wenn die angebotenen Bücher in allen Punkten überzeugend sind.

    Schade nur, dass andere Selbstverleger, die sich wirklich Mühe mit ihren Büchern geben, durch solche Menschen einen schlechten Ruf erhalten.

  7. Jenny

    Kritik tut meistens ein bisschen weh. Wenn ein Leser Stellen zerpflückt, die man selber ganz besonders gelungen findet, verspürt man einen Stich ins Herz. Ich denke, das ist normal. In Zeiten von Facebook und Twitter wird leider häufig (ohne nachdenken und sacken lassen) aus allen Rohren geballert:
    Wer das nicht versteht, ist dumm! / Ich schreibe, wie ich denke = das ist mein Stil. / Da steckt mein ganzes Herzblut drin! usw. sind beliebte Reaktionen auf gut gemeinte Hinweise.
    Diese Trotzkommentare könnten easy vermieden werden – einfach eine Nacht drüber schlafen, dann sieht die schlimmste Rezi der Welt gleich nicht mehr so beängstigend aus. Aber ganz ehrlich, wenn mein Buch 3 x 4 Sterne geerntet hat und dann plötzlich eine 2 Sterne-Rezi dazukommt, nagt das immer mehrere Tage an mir. Habe ich nicht gut genug überarbeitet? Waren meine Testleser nicht ehrlich? Ist der Plot an sich nicht gut genug? Habe ich mein schriftstellerisches »Können« völlig überschätzt?

    ABER: Wenn die Kritik meines Erachtens nicht gerechtfertigt ist, kostet es mich meine gesamte Willenskraft, keinen bissigen Kommentar zu verfassen. Um meinem Ärger Luft zu machen, habe ich eigens dafür eine Liste angelegt, (nur für mich) in die ich solche Wutkommentare hineinschreibe. Sie ist zum Glück sehr kurz. Niemand bekommt diese Zeilen je zu Gesicht und ich fühle mich trotzdem ein klein wenig befreit.
    Besser kann ich‘s nicht, aber vielleicht erlange ich eines Tages die Gelassenheit, die ich im Moment an anderen Menschen noch beneide.

    1. Katharina Gerlach Post author

      Es ist eben nicht jede/r Leser/in Teil meiner Zielgruppe. Also kann mein Buch gar nicht jedem gefallen. Sobald ich das akzeptiert hatte, waren 1 und 2 Sterne Rezis kein Problem mehr. Ich schreibe ja nicht für die ganze Welt, sondern für die, denen meine Bücher gefallen.