Im März sind wir wieder bei der Buchmesse. Eines unserer Themen dort ist das Lektorat. Für unser Qinterview haben wir uns deshalb mit Elsa Rieger eine Lektorin und Qindepartnerin ausgesucht, der viele Autoren vertrauen. Das liegt ganz sicher daran, dass sie sich gut in die Autoren versetzen kann. Schließlich schreibt sie selbst tolle Bücher. Sie kann Vertrauen aufbauen, weil man ihr immer abnimmt, dass es um den Text geht, um das optimale Ergebnis für die Geschichte. Eine Haltung, die sich auch durch das Interview zieht.
1. Wer bist du und was bietest du als Qindie-PartnerIn an?
Zuerst einmal vielen Dank für das Qinterview meiner Lieblingsvereinigung für Autorinnen und Autoren.
Ich bin Mensch, Frau, ehemalige Buchhändlerin (40 Jahre lang habe ich Bücher geschupft und „inhaliert“), Autorin (ich schreibe seit 20 Jahren) und aufgrund all dieser Erfahrungen biete ich Lektoratsarbeit an.
2. Was macht ein(e) LektorIn?
Im Grunde sollte das Lektorat dem Manuskript die geblümte Kleiderschürze oder den Blaumann ausziehen, es nackt machen, ihm ein Aromabad (je nach Genre gewürzt) verpassen, es salben, und ihm dann das Abendkleid oder den Smoking anziehen, sprich, es ausgehfein machen.
Nun, das ist sehr metaphorisch ausgedrückt, prosaischer bedeutet das, den Text auf Plotlöcher, Logikfehler, langweilige Wiederholungen, ungeschickte Formulierungen, Registersprünge, sofern sie nicht bewusst als Stilmittel eingesetzt werden, zu untersuchen und die AutorInnen darauf aufmerksam zu machen, ihnen Alternativen anzubieten, aus denen sie wählen können, oder durch die sie selbst auf gute Lösungen kommen.
3. Entsteht Kunst nicht gerade aus dem wilden unverfälschten Moment? Nimmt man dem beim Lektorat nicht Individualität und Eigenständigkeit?
Oh doch, zuerst ist es die wilde Lust am Fabulieren, die Leidenschaft, die „aus dem Bauch“ kommt, heißblütig tippen wir drauflos, das soll auch bloß nicht unterbunden oder gestört werden, sonst ist das kreative Moment verloren. Das ist wunderbar und wichtig. In dieser Phase des First Drafts soll sich keine/r beirren lassen! Wie schön, dann nach dem Lachen, Weinen, den Qualen oder des Glücks, welches die Schreiber in der schöpferischen Phase durchleben, „Ende“ darunterzusetzen. Sich ein paar Wochen darauf ausruhen, den Text liegenlassen, durchatmen. Erst dann ist der Blick wieder geschärft und erst dann fängt die rationelle Arbeit am Text an. Da komme dann ich ins Spiel.
Ein gutes Lektorat wäre kein gutes, würde es die Individualität, die Eigenständigkeit des jeweiligen Autors kappen. Ein gutes Lektorat macht das Gegenteil und „erhöht“ Stil und Inhalt eines Manuskripts im Sinne der Autorin.
4. Wie wird man LektorIn?
LektorIn ist kein geschützter Begriff, jeder kann sich so nennen, daher ist es für unerfahrene AutorInnen nicht ganz leicht, den passenden zu finden; es gibt schon viele, die das anbieten.
Ich wurde es, weil Schreibende, die meine Bücher schätzen, mich angefragt haben, ob ich mal ihr Manuskript ansehen könnte. Nun, da habe ich gespürt, dass ich gut mit fremden Texten umgehen kann. Das mag am vielen Lesen liegen, das ich seit meiner Kindheit betreibe. Ich weiß nicht, wieso ich ein Auge dafür habe, ich habe es. Das ist schön.
5. Wie stellst du dich auf die unterschiedlichen Sprachstile deiner Kunden ein?
So wie ich mich auf die verschiedenen Bücher einstelle, die ich lese. Philip Roth schreibt anders als T. C. Boyle, der schreibt anders als John Irving, wieder anders ist der Sprachstil von Joyce Carol Oates und so weiter. Das ist die kleinste Übung.
6. Haben LektorInnen überhaupt Kunden oder haben sie Klienten?
Ich habe eindeutig KlientInnen. Das Manuskript selbst ist ein Klient, es kommt zu mir, der Textärztin, und möchte behandelt werden.
7. Was ist dir bei der Arbeit mit den Autoren wichtig?
Vertrauen, immerhin ziehe ich deren Texte nackt aus, da gehört vonseiten der Autoren viel Mut dazu, fremden Augen eine Erstfassung zu überlassen. Wenn die Chemie zwischen Lektor und Autor nicht passt, geht nix.
8. Gibt es klassische Fehler, die fast jeder macht?
Ja. Ich auch. Also bei meinen Texten. Wir AutorInnen glauben oft, wir müssen den Lesern alles reindrücken, immer wieder erwähnen, weil wir denken offenbar, die haben 10 Seiten später schon vergessen, was vorher bereits deutlich erwähnt wurde. Wir sollten die Leser nicht unterschätzen. Diesen Fehler sehe ich oft.
9. LektorInnen sind nur Verwalter und zerschneiden den AutorInnen die Texte, weil sie auf deren Kreativität neidisch sind. Schon mal gehört?
Ah geh! Nein, das habe ich noch nicht gehört, ich kann es auch nicht glauben, Gerücht! LektorInnen wären schnell keine mehr, würden sie das tun. Es ist ein Job, in dem man äußerst sensibel mit etwas umgeht, das einem nicht gehört. So sehe ich das wenigstens.
10. Wie finden Autoren ihre eigene Sprache und wie kannst du ihnen dabei helfen?
Anfangs schreibt man ja gern (habe ich auch gemacht) als Epigone seines Idols. Ich z.B. habe Philippe Djian (der war übrigens Lektor, dann Buchhändler, ehe er selbst schrieb) glühend verehrt. Seinen Roman: Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen, habe ich wahrscheinlich zehnmal verschlungen. Tja, meine ersten Texte waren lauter kleine Betty Blues.
Am besten findet man die Sprache heraus, wenn man mit den Autorinnen E-Mails schreibt, sich über ihr Manuskript eine Weile austauscht, denn in diesem „privaten, frei von der Leber weg“-Schreiben erkennt man das ganz gut. Das meinte ich auch oben mit „Registersprung“, d.h. wenn plötzlich die Sprache wechselt, die Begriffe nicht passen, das ist nicht so gut.
Sie darauf aufmerksam machen, die gewählte Sprachebene einzuhalten, damit helfe ich ihnen.
11. Gibt es für dich einen Unterschied zwischen Büchern von Self-Publishern und Verlagen?
Ja, leider doch noch recht oft. Nicht immer, denn es gibt ganz tolle SP-Bücher, doch prozentual haben die VerlagsautorInnen mehr Qualität zu bieten. Sollte sich mal ändern.
12. Hast du schon Aufträge abgelehnt, weil ein Text zu schlecht war?
Ja, das Recht nehme ich mir. Ich tue dem Schreiber ja auch nichts Gutes, wenn ich ihn bestärke in seinem Wunsch, ein Buch rauszubringen, wenn er nun mal keine Begabung fürs Schreiben hat. Vielleicht wären Musik oder bildnerische Kunst eher seine Erfüllung? Ich weiß, Schreiben ist leichter, denkt so mancher, das ist kein Aufwand, Laptop her und schon geht’s los. Nur so ist es eben nicht.
13. Kannst du gleichtags ein Buch lektorieren und an einem eigenen schreiben?
Nein. Mag sein, ich könnte es, aber ich will es nicht. Lektorat ist Arbeit und passiert wochentags, meine Texte kommen am Wochenende dran und wenn kein Job ansteht.
14. Wie schaffst du es, bei den verschiedenen Welten (deine Bücher, die deiner Kunden, das reale Leben) nicht durcheinanderzukommen?
Haha, gute Frage, nächste Frage! Nein, Spaß. Ich bin im Sternzeichen Wassermann, das würde mich dafür prädestinieren, in den Wolken zu schweben, zu dichten, zu schreiben, die Welt Welt sein zu lassen, im Wald zu hausen und zu philosophieren. Aber (!) mein Aszendent ist Jungfrau, und es könnte sein, dass mich dieses Sternzeichen erdet, am Boden hält. Noch dazu ist die Jungfrau ein Ass in Organisation. Hm, das wird wahrscheinlich sein. Ok, also ernsthaft jetzt: Ich habe keine Ahnung, wie ich das alles unter einen Hut kriege, ehrlich. Muss mal drüber nachdenken.
15. Wie bist du zur Literatur gekommen?
Durch meine Familie, die Eltern Schauspielerin und Regisseur, überall lagen bei uns meterhohe Stapel von Büchern herum, ich habe alles gelesen, wirklich alles, was mir als Kind in die Hände fiel, allerdings habe ich nicht alles verstanden, wie Henry Miller im zarten Alter von zehn (was meine Eltern erleichterte, dieses Buch „Die Welt des Sexus“ mussten sie dann weggesperrt haben, ich fand es nie wieder in den Stapeln); Hauptsache lesen. Und wie eingangs erwähnt, war ich Jahrzehnte Buchhändlerin, weil ich mich gern mit Literatur umgebe.
16. Wenn Du beruflich so viel lesen musst, liest du dann auch privat noch gern?
Natürlich, einschlafen ohne vorher gelesen zu haben, geht gar nicht.
17. Was machst du, wenn du nicht schreibst, lektorierst oder liest?
Schlafen! Haha. Nein, dann befasse ich mich mit meiner Familie, Mutter, Ziehtochter, Enkeln, gehe mit Freunden aus, ich liebe Kino, unser Haus am Waldrand im Waldviertel, wo ich die Wälder auf langen Spaziergängen durchstreife. Ach, ich habe viel Spaß am und im Leben.
18. Was liest du gern? Welches Genre? Gibt es einen speziellen Autor?
Romane und biografische Romane. Im Moment ist mein Favorit T. C. Boyle, aber es wechselt. Wenn ich gerade Hunger auf einen Autor habe, dann will ich alles von ihm verschlingen.
19. Wo findet man dich im Internet?
Meine Website: https://www.elsarieger.at/
Meine Bücher: https://www.amazon.de/Elsa-Rieger/e/B0047LZYTA/ref=dp_byline_cont_pop_book_1
Wir danken dir herzlich für dieses schöne Interview, Elsa.