Warum auf meinem PC rund hundert Romananfänge schlummern … oder warum meine Muse ein Plagegeist ist.

Kolumne_allg_02Von Katharina Groth

Alles beginnt mit einer spontanen Eingebung, die irgendwo in den Wirrungen meines Gehirns ihren Ursprung findet und so lange drängelt und drückt, bis ich schließlich nicht anders kann. Auf Notizblöcke gekritzelt, in Stichpunkten auf dem Netbook zwischengespeichert, eilig ins Handy getippt. Irgendwo muss sie hin. Die Idee. Da ansonsten alles andere unwichtig wird und ich keinen Kopf mehr für Dinge habe, die mir im Normalfall das Brot auf den Tisch bringen. Nur damit meine Muse schließlich doch mit diesen rasch notierten Satzbruchteilen vor meiner Nase rumhüpft und mich letztendlich doch dazu bringt ein neues Dokument zu öffnen.

Der neue Plot hat alles: diverse Konflikte; einen Hauptprotagonisten, den ich genau vor Augen habe; interessante Nebencharaktere und ein grandioses Setting. Zumindest ist das in meinem Kopf der Fall. Meine Muse schreit: Schreib es auf, so etwas wolltest du schon immer schreiben. Und ein penetrantes Stimmchen in meinem Kopf flüstert mir zu, dass sie Recht hat. Es könnte diese eine Idee sein, der eine Roman.

Die ersten Worte fließen nur so aus mir heraus, hab ich die ersten Sätze doch schon gefühlte hundert Mal im Geist geschrieben. Glücksgefühle durchströmen mich, meine Muse rastet förmlich aus vor Euphorie. Gab es da nicht noch ein anderes Projekt, was eigentlich viel wichtiger ist? Egal. Ein alter Hut. Soll das doch jemand anderes schreiben. Da wird sich doch sicherlich jemand finden oder liebe Muse? Die Muse nickt eifrig und deutet auf das angefangene Schriftstück. Richtig. Weitermachen. So ein neuer Roman schreibt sich nicht von alleine. Und ich habe doch noch so viele Worte im Kopf, die auf das Papier wollen. Und so lasse ich mich von der Muse anfeuern und in meinen neuen Roman treiben. Ich baue Welten und erzähle die Geschichte eines Protagonisten, den es eigentlich noch gar nicht gibt. Stunden fühlen sich an wie Minuten.

Als ich wieder aufschaue, ist es draußen dunkel. Die Muse hat sich neben mir auf dem Schreibtisch eingerollt und schnarcht. Die Plakate, die sie gemalt hat um mich anzufeuern, dienen ihr als Zudecke. Kleine Spuckebläschen platzen im gleichmäßigen Atemrhythmus.

Meine Augen schmerzen und mein Rücken zeugt von der unbequemen Haltung, in der ich gearbeitet habe. Dreißig PC-Seiten habe ich gefüllt und nun fühle ich mich leer. Und wie soll es jetzt weitergehen? Keine Ahnung. Fragend schiele ich zu meiner Muse. Nichts zu machen, schläft bereits tief und fest. Also schlurfe ich erschöpft in Richtung meines Bettes. Die Muse lasse ich liegen, für heute ist sie ohnehin zu nichts mehr zu gebrauchen.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, sitzt die Muse auf meinem Nachttisch, wedelt mit einem Blatt Papier. Ich nehme es ihr aus der Hand. Stimmt. Mein altes Projekt. Natürlich hat es niemand für mich fertiggestellt, die Muse hat gelogen. Über das gestrige Projekt will sie nichts mehr wissen und ohnehin ist das alles meine Schuld. Ich bin schließlich die, die ihre Protagonisten so schändlich vernachlässigt hat.

Ich wühle mich durch meine Unterlagen und es ist als würde ich zu Hause ankommen. Natürlich. Was habe ich da gestern nur gemacht? Hier gehöre ich hin. Das Projekt von gestern? Speichern, lagern und wegschließen. Für schlechte Zeiten. Gute Worte kann man schließlich immer mal gebrauchen.

Und jetzt wieder zurück in die Geschichte, ich habe sie schon vermisst. Bloß den letzten Tag vergessen und verdrängen. Die Muse lacht, schneidet eine Grimasse und sagt: »Ihr Autoren seid schon merkwürdige Geschöpfe.« Ich schnaube und murmel: »Plagegeist.«

Katharina Groth

 

2 Replies to “Warum auf meinem PC rund hundert Romananfänge schlummern … oder warum meine Muse ein Plagegeist ist.”

  1. Betty

    Ui Ui, wie bekannt mir das vorkommt 🙂
    Nachdem ich sehr lange Zeit versucht habe 3 Bücher gleichzeitig zu schreiben, weil meine Muse jeden Tag auf was anderes Lust hatte, habe ich sehr lange mit ihr diskutiert. Jetzt sitze ich seit einem halben Jahr konsequent an einem Projekt und die anderen 15-20 Ideen ruhen. Nur ab und an da quetscht sich eine neue Projetidee oder ein spektakulärer Einfall zu den anderen Ideen durch mein Hirn. Der wird schnell notiert und dann geht es wieder an das aktuelle Buch. Disziplin muss man schon haben als Autor 😉
    Vielmehr störend ist der Hauptjob zum Brötchenverdienst.
    LG

  2. Divina

    Interessant, wie sehr man sich oft in anderen wiederfindet. Oh ja, die Musen sind schon ein paar verrückte Geschöpfe. Mir reden sie auch immer mal wieder etwas ein. Allerdings weiß ich so ziemlich genau: Wenn ich nicht über drei Kapitel hinauskomme, mache ich da auch keinen Roman mehr draus. Vielleicht taugt es noch für eine Kurzgeschichte – irgendwann einmal.
    Meine Muse ist allerdings so verrückt und hat mir mitten in einem Roman nicht nur die Idee für einen anderen in den Kopf gepflanzt, sondern hilft mir tatsächlich dabei, diesen noch fortzuführen. Nun ist der zweite Roman schon erheblich weiter als mein erster – auch ich musste eine Entscheidung treffen, denn parallel arbeiten ging nicht. Aber wenn ich den zweiten fertig habe, werde ich mich wieder an den ersten setzen – garantiert!