Kolumne von Simone Keil
Als Marty McFly zum ersten Mal in den DeLorean springt und die Karre auf 141,6 km/h beschleunigt, kann er unmöglich ahnen, was ihn dann erwartet.
Ich weiß, was ich tue, als ich mich in meine IKEA-Boliden-Zeitmaschine mit Schwingfunktion vor den Ofen setze, die Füße auf dem dafür vorgesehenen Fußhocker platziere und den Sicherheitsgurt anlege. Ein wenig nervös gehe ich noch einmal die Checkliste durch:
- Holz nachlegen
- Wasser auf dem Tisch neben mir bereitstellen
Okay, es kann also los gehen. Der Fluxkompensator fluxoiert, ich nehme DAS TASCHENBUCH in die Hand, öffne die Pforte in die Vergangenheit. Ein etwas muffigstaubiger Geruch trübt meine Sinne, das muss eine Auswirkung der Zeitreise sein. Ich starre auf exorbitant kleine Buchstaben, die ich im gemütlichen Flackerlicht des Ofens kaum erkennen kann, taste mehrfach jeden Zentimeter des Pappgehäuses ab und kann ihn einfach nicht finden, den Schalter, der die Beleuchtung aktiviert. Nun steigt ein wenig Angst in mir hoch. Plutonium steht nicht auf der Checkliste. Muss ich womöglich auf ein Gewitter warten, um zurückkehren zu können?
Ich atme tief ein und aus. Keine Panik. Eins nach dem anderen.
Ich löse den Sicherheitsgurt, stelle die Füße vorsichtig auf den Fußboden und nehme einige einschneidende Veränderungen in der Umgebung vor (die Angst kehrt zurück. Werden die Veränderungen Auswirkungen auf die Zukunft haben? Atmen, tief ein- und ausatmen), finde eine Stehlampe, schließlich noch eine letzte passende Glühbirne, berechne den richtigen Leuchtwinkel und platziere die externe Lichtquelle etwas schräg hinter der IKEA-Boliden-Zeitmaschine.
Dann steige ich wieder ein, trinke einen Schluck Wasser (Checklisten sind Gold wert) und nehme DAS TASCHENBUCH wieder zur Hand. Meine Berechnungen waren korrekt (kurz kommt mir wieder das mögliche Plutoniumproblem in den Sinn. Atmen), das Licht trifft auf die Seiten, solange ich mich nicht allzu viel bewege (aber Nackenschmerzen sind Autorinnen ja gewohnt), und ich beginne zu lesen.
Nach einigen fehlgeschlagenen Wisch- und Tippversuchen schaffe ich es, die Seiten relativ flüssig zu wechseln, aber schon nach kurzer Zeit schmerzt mein Daumen vom krampfhaften Offenhalten des beidseitig bedruckten TASCHENBUCHS. Die Menschen müssen doch damals dauernd an Sehnenscheidenentzündungen und Muskelkrämpfen gelitten haben. Wahrscheinlich hat Sissy Hankshaw in Wahrheit zu viele TASCHENBÜCHER gelesen und Tom Robbins‘ Roman war eine gezielte Marketingmaßnahme der TASCHENBUCH-Industrie, um die gesundheitsschädigenden Auswirkungen des nichtelektronischen Lesens zu verschleiern und eine frühzeitige Entwicklung des eBooks zu bremsen. Man kennt sowas ja.
Ich beiße die Zähne zusammen, ich bin Wissenschaftlerin und darf den Schmerz in meinen Fingern zwar protokollieren, muss den Selbstversuch aber trotz allem durchstehen, komme was da wolle. Und es kommt. Vom konzentrierten Starren auf diese unterdimensionierten Buchstaben beginnen meine Augen zu brennen. Leider habe ich den Punkt Taschenspiegel nicht auf die Checkliste gesetzt, so dass ich eine Rötung nur vermuten, nicht aber durch Sichtüberprüfung bestätigen kann. Das Sandpapiergefühl weist aber eindeutig auf eine beginnende Bindehautentzündung hin. Ich presse kurz die schmerzenden Handballen auf die schmerzenden Augen, dehne die schmerzende Nackenmuskulatur, gönne mir einen Schluck Wasser und bringe es zu Ende.
Nach mehreren anstrengenden, schmerzvollen, aber auch durchaus vergnüglichen Stunden ist es vollbracht.
Der Inhalt des TASCHENBUCHS war erfreulich gut, aber die Nebenwirkungen des Lesens doch ziemlich gravierend und ich hoffe, ich werde keine bleibenden Schäden zurückbehalten. Nach einem medizinischen Komplettcheck und einer ausreichenden Erholungsphase werde ich eventuell ein weiteres Selbstexperiment zur Bestätigung meiner Beobachtungen starten, aber nun kommt erst einmal der Augenblick der Wahrheit. Ich modifiziere die Zeitleiste und betätige die Taste zum Einschalten des Fluxkompensators.
Thomas Edison sei Dank, er fluxoiert! Also schicke ich mich zurück in die Zukunft …
Der Reader funktioniert noch, ich habe in der Vergangenheit wohl keine einschneidenden Veränderungen ausgelöst. Zumindest keine, die ich auf den ersten Blick erkennen könnte.
Glück gehabt.
In diesem Sinne: Ein schönes Wochenende.
Also ich habe mir für meine Taschenbücher eine dreidimensionale, körperangepasste App zur Schriftvergrößerung gekauft. Das Ding kennt zwar nur zwei Schriftgrößen: normal und vergrößert, aber es hilft mir, die Augen zu schonen. Allerdings waren meine Bemühungen das Gerät auch zum Aufsuchen des nächsten Buchladens zu verwenden, vergeblich, obwohl es irreführenderweise als Nasenfahrrad bezeichnet wird.