Die 100 wichtigsten Anzeichen für Irrsinn

Kolumne WerbungVon Regina Mengel

So! Jetzt ist es amtlich! Ich drehe langsam durch!
„Das war ja zu erwarten“, würde meine Mutter sagen.
„Sind wir nicht alle ein bisschen irre?“, sagt wahrscheinlich mein Mann.
„Vielleicht liegt es gar nicht an dir“, könnten Menschen sagen, die mich nicht kennen.

„Ha!“, sage ich. „Natürlich liegt es nicht an mir.“ Die spinnen doch alle da draußen. Ich muss mir wirklich abgewöhnen, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Besser, ihr tut es mir gleich. Andernfalls werden wir noch alle verrückt oder mondsüchtig, sind uns selbst nicht mehr genug, suchen DIE ANDEREN in uns oder bekämpfen eben die 100 wichtigsten Anzeichen für Irrsinn.

Aber von vorn.

Wie lange ist es eigentlich her, dass irgendein Mensch das 2-in-1-Shampoo erfunden hat? Shampoo und Conditioner – oder war zuerst das Shampoo und Duschbad in Einem da? Egal. Hey einen Haarwaschgang einsparen, wow, was für eine Revolution. Heute frage ich mich, was dieser Mensch, der wohlmeinend uns armen Stressgeplagten ein wenig mehr Zeit hat schenken wollen, heute über seine tolle Erfindung denkt?

Danach erinnere ich mich an Geschirrspültabs, die bereits den Klarspüler enthielten. Wieder was gespart. Geld? Keine Ahnung. Zeit? Na klar, die 20 Sekunden, die es dauert, den Klarspüler in die Geschirrspülmaschine zu schütten. Und Kilogramm gespart, die man nicht in den Einkaufstüten nach Hause tragen musste.

Dann gab es die Zahnpasta, die nicht nur Karies sondern auch Zahnstein bekämpfte. Oder doch nur die Neubildung verhinderte?

Und die Gesichtscreme, die nicht nur Fältchen milderte, sondern auch freie Radikale bekämpfte. Zu den Waffen Brüder!

Kaugummi war plötzlich nicht nur zum Kauen da, es neutralisierte die Mundflora. Oder war es die Fauna? Oder das Klima? Auf jeden Fall sparte man sich das Zähneputzen nach dem Essen.

Irgendwann – ich beobachtete es zuerst bei den Geschirrspültabs – setzte bei der 2-in-1-Wirkung so eine Art Inflation ein. Möglicherweise hat dieser Effekt auch Ähnlichkeit mit einer Atomspaltung, Karnickelsex oder Bakterienvermehrung unter einer Sonnenbank. Wie auch immer, jedenfalls setzte eine rasende Vermehrung ein.

Heute haben meine Geschirrspültabs bereits eine 12-fach Wirkung. Multifunktionstabs. Und gerade las ich von einem 13-in-1-Produkt, jetzt mit Einweichfunktion. Wahrscheinlich liegt es an meiner Spülmaschine, dass ich im Ergebnis keinen Unterschied sehe, zwischen – sagen wir mal – 7-fach Wirkung und 12-fach Wirkung. Wie muss ich mir das eigentlich vorstellen? Löst sich mein Geschirrspültab in 12 Stufen auf? Oder kann das Ding gar alles auf einmal? Multitasking auf spülmaschinisch? Übrigens … Wer mir alle 13 Wirkungen aufzählen kann, der schicke mir eine Mail an geschirrspuelmittel@freenet.de. Unter allen Einsendern verlose ich die Betriebsanleitung meiner Waschmaschine und eines meiner Bücher, dasjenige mit der 50-fach Wirkung.

Die Gesichtscreme von heute bekämpft die 7 wichtigsten Anzeichen für Hautalterung. Was für eine Entwicklung. Statt 7 Tiegelchen brauche ich nur noch mit einem Plastiktöpfchen mein Badezimmer zuzumüllen. Wer jemanden kennt, der vorher 7 verschiedene Cremes sein eigen nannte, der kann mich ruhig auch mal anmailen. Verrückte soll es ja überall geben. Vielleicht taugt derjenige – wahrscheinlich ist es eher eine diejenige – ja als Protagonist(in) für den nächsten Roman.

Eigentlich dachte ich der Höhepunkt wäre nun mit meiner Zahncreme erreicht, die neuerdings ebenfalls über eine 7-fach-Wirkung verfügt. Wobei das in diesem Fall zumindest mal positiv ausgedrückt wird. Meine Zahnpasta ist nämlich nicht dagegen, sie ist dafür: Für die 7 Zeichen schöner Zähne. Immerhin drückt sie wenigstens nicht aufs Gemüt.

Nun allerdings stand ich gestern im Supermarkt vor einem Plakat mit – ja, mit was denn? Was glaubt ihr, welches Produkt sich hinter dieser Beschreibung verbirgt? Ich zitiere von der Homepage des Herstellers:

„Persönlichkeit
Lifestyle leben oder Lifestyle gestalten.
Trends entdecken oder Trends entwickeln.
Spaß genießen oder Spaß vermitteln.
Inspiriert sein oder Inspiration sein.
Das Leben genießen – als Beginn eines Tages oder Ende einer Nacht.
Es ist die Vielfalt an Möglichkeiten, die das Leben so besonders macht. Verschiedene Lebensarten, unterschiedlichste Perspektiven und täglich neue Herausforderungen.
Gelebt von Menschen, die in … einen verlässlichen Begleiter finden, der die Frische
und Energie liefert für alles, was Dich erwartet.“

Na, erkannt? Eine Damenbinde, ein Tampon, ein Energiedrink, eine Klamottenmarke, ein Parfum, ein Duschbad? Mein Gott, möchte ich rufen. Das sind ja gleich 10 Wirkungen in einem – das geht doch nicht! Kann es so ein Produkt überhaupt geben? Ein Produkt für alle, das glücklich macht, womöglich noch kreativ, Spaß auch, Inspiration, Perspektive, eine Vielfalt an Möglichkeiten … Das Ding kann doch nicht in Gold aufzuwiegen sein. Es könnte natürlich sein, dass die Realität nicht so viel mit der Werbeaussage gemeinsam hat. Aber immerhin grinst mich ein Fußballer an und hält den Daumen hoch für dieses Lifestyleprodukt der Extraklasse.

Gut, dass ein Fußballer für Kaugummi wirbt, ist irgendwie konsequent. Beim Kaugummikauen kann man nicht viel falsch machen und besser als Werbung für insolvente Stromversorger oder sonstige politisch nicht ganz so korrekte Produkte ist so ein Kaugummiwerbevertrag auf jeden Fall.

Aber wurscht. Der Werbestratege, der sich diese Kampagne hat einfallen lassen, der ist wohl auch nur mit der 10-fach Wirkung von gesundem Menschenverstand zu bekämpfen.

Und nun? Erkennt ihr mein Dilemma? Ich schreibe Bücher. Zum Lesen. Ein 1-in-1-Produkt. Meilenweit entfernt vom Multifunktionstab. Kriege ich Mehrfachwirkung in meine Bücher? Und wenn ja, welche? Erst lesen und dann den schiefen Tisch damit abstützen? Oder als Einwickelpapier für Kartoffelschalen verwenden. Aber was ist mit den E-Books. Daran kann man doch nur Verzweifeln. Irgendwelche nützlichen Ideen? Dann schreibt mir einfach an die obige Mailadresse. Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht gemeinsam hinkriegen. Denkt dran, ich brauche wenigstens eine 20-fach-Wirkung, alles drunter ist doch Schnee von gestern.

So, Freunde des gepflegten Irrsinns, ich mach’ mich dann mal wieder an die Arbeit. Ich wünsche euch weiterhin: Fröhliches Irrsinnbekämpfen!

Ach, eines noch. Wenn heute noch einmal dieser Schrottsammler an meinem Fenster vorbeifährt und mir mit „Muss – I – denn“ die Ohren vollklingelt, dann bewerfe ich die Mistkarre mit meinen Geschirrspültabs. Oder ich springe einfach aus dem nächstbesten Fenster.

Regina Mengel

 

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