Ich bin ein Hobbit

Kolumne_allg_01aVon René Grandjean

„Sei doch mal ein bisschen spontan“, ereiferte sich ein Freund, „Du denkst zuviel nach. Mach mal was Unvorhersehbares!“

„Meinst Du?“, entgegnete ich, stand auf, und warf ihn aus dem Fenster.

Es ist amtlich, ich bin ein Hobbit. Ich fühle mich in einer strikten alltäglichen Routine geborgen wie in den Armen meiner Mutter.

Ich stehe jeden Morgen, mit Ausnahme der Wochenenden, zur exakt gleichen Zeit auf (5.45h), erlaube mir 10min für die Versorgung der Katze (Raubtierfütterung und Reinigung der Katzentoilette – sag mal, wie viele Katzen haben denn diese Nacht Dein Klo benutzt? Mau!), treffe mich dann mit besagter Katze für 15min auf dem Sofa, wir tauschen uns aus, wie die Nacht war, ich trinke einen Kaffee, sie räkelt sich, dann ab ins Bad (also ich, nicht die Katze, die  beginnt ihre Tagschicht auf dem Balkon), Duschen, Zähne putzen und Föhnen (ich bin ein moderner Mann!), Klamotten liegen auf der Waschmaschine parat, das Frühstück in einer Tupperdose erwartet mich im Kühlschrank (im Idealfall immer im gleichen Fach, kürzlich wich ich davon ab und ging mit einem halben Räuchertofu los. Ich hatte Hunger, er hat geschimmelt). Um 6.40h verlasse ich das Haus, damit ich 6.52h den Zug erreiche … ich denke, Sie wissen worauf ich hinaus will: Ich mag es strukturiert. Es erlaubt mir, faul zu sein, es mir in diesem engmaschigen Planungsgefüge gemütlich zu machen, in dem zu wenig Raum ist, um hinaus zu plumpsen. Der Feind einer solchen sind natürlich Unvorhersehbarkeiten wie Katzenkotze im Wohnzimmer, schlechte Klamottenauswahl am Vorabend oder verspätete Bahnen. Dann, ganz ehrlich, ist der Tag auch schon gelaufen. Ich bemühe mich, das Universum verhohnepiepelt mein Bestreben, da bin ich humorlos. Jetzt könnte man denken, ich bin ein übelst analytischer Mensch, ein Vulkanier, ein Beamter oder Schlimmeres (gut, öffentlichen Dienst räume ich ein), aber weit gefehlt:  Schreiber, Musiker, Sternzeichen Zwillinge, ausgeprägter Individualist und heißblütiger Viertel-Franzose. Ich habe nur einfach mit den Jahren am eigenen Leib erfahren, dass Zuspätkommen Ärger und Repressalien mit sich bringt. Und fange ich früh an mit der Arbeit, höre ich früh auf mit der Arbeit und kann mich dem widmen, was mir wirklich am Herzen liegt. Routine ist Sicherheit. Und was ist der natürliche Feind der Routine? Richtig, der Urlaub.

„Wir müssen mal wieder raus hier, was anderes sehen!“ „Echt jetzt?“

Die schlimmste Zeit des Jahres ist angebrochen. Der Sommer. „Fährst du weg?“  Die Frage wird mir beinahe täglich gestellt, wenn ich erzähle, das ich bald zwei Wochen frei habe.  Die Werbung lässt keinen Zweifel, dass der Moment gekommen ist, seine Füße in türkisblaues Wasser zu tauchen. Mir widerstrebt dieser Automatismus von Arbeit, Urlaub, Arbeit, Urlaub. Da möchte ich einfach nicht mitmachen. Ich mag es auch nicht, wenn Bands zu offensichtlich dem Rhythmus von Album, Promo, Tour, Dornröschenschlaf, dann alles von vorn, folgen. Ist mir zu statisch (ja, ich weiß, das war nach dem ersten Absatz nicht zu vermuten). Vor allem aber möchte ich einfach nicht weg. Ich sage es mal so: Wenn ein weißbärtiger Zauberer des Weges käme und mich mit seinen tiefgründingen graublauen Augen musterte, ich würde ihm meine Pfeife an den Kopf werfen und ins Haus rennen, bevor er mir einen „guten Morgen“ gewünscht hätte.

Oder so:

„Du musst dich mit der Macht vertraut machen, wenn du mich nach Alderaan begleiten willst.“
„Nach Alderaan? Ich kann nicht nach Alderaan. Ich hab hier genug zu tun….es ist so weit weg!“
„Ich höre deinen Onkel reden.“
„Ohh, mein Onkel ist nicht das Problem. Ich habe nur einfach keinen Bock!“

Oder auch so:

„Ich kann nicht nach Hogwarts gehen! Gibt es die Zaubererausbildung nicht als Fernstudium?“

Ich mag nicht verreisen. Hotelbetten, Minibars, sich nicht auskennen, keine Ahnung, wo man hier gut essen kann, wo man abends hingeht, was ist denn das, was du da isst, unverschämte Gebühren am Geldautomat, unbekannte Roaming-Gebühren im Mobilfunknetz, die extra Karten für Touristen mit den modifizierten Preisen – es schüttelt mich. Flughäfen sind generell die Hölle. Wenn ich mich um zwei Uhr morgens aus dem Bett prügeln muss, um den Fünfuhr- Flieger zu erwischen (mal ehrlich, die Piloten sind doch um diese Zeit nicht weniger müde und verpeilt als ich), weiß ich nicht, was noch kommen soll. Klar, Fliegen ist statistisch gesehen so sicher  bla bla bla – dann gute Reise!

Weitgereiste Menschen, die mich mit ihren in der Fremde gewonnenen augenöffnenden Erkenntnissen erleuchten wollen, zwingen mich dazu, in erhöhter Frequenze alkoholische Getränke in mich reinzuprügeln.

„Sieh mal, so sehen Telefonzellen in Muränien aus, ist das nicht interessant?“ „Nein!“

Fotos, Videos und selbst die ausgefallensten Annekdoten werden dem Daheimgebliebenen, also mir, niemals das Gefühl vermitteln, das ihr vor Ort hattet. Muss doch auch nicht. Ich freue mich, dass ihr eine gute Zeit hattet. Tschüss.

Meine Heimatstadt Bonn bietet mir alles, was ich brauche. Dem Unwissenden möchte ich mitteilen, dass nach dem Raub, jawohl, Raub der Hauptstadtwürden hier keinesfalls alles in sich zusammenfiel wie in Mordor nach der Zerstörung des einen Ringes. Es gibt auch mehr als Beethoven, der hier seine Jugend verbrachte (um dann wegzugehen und nie mehr zurückzukehren).

Meine Stammkneipe (es muss nicht immer der gleiche Barhocker sein, aber wenn es sich so ergibt), René, das übliche? Yep!, lass uns hier lang gehen, ich kenne eine Abkürzung, die Konzerte im XY gehen nie vor 22h los, ich gehe mal ins „hier Name der Wahl einsetzten“, mal sehen, ob der „Name eines Freundes einsetzen“ da ist. Mein Kino, mein Rewe, mein Italiener (der, glaube ich, Grieche ist), meine Wohnung, meine Lieben, mein Schatz.

Damit keine Missverständnisse entstehen, ich bin anderen Kulturen gegenüber mehr als aufgeschlossen. Menschen generell finde ich gut. Ihr könnt mich auch alle mal besuchen (ruft aber vorher an!), wegen mir auch Freunde mitbringen, ich koche dann was (ohne Fleisch) und hole Bier am Büdchen, aber bitte: Keine Einladungen, und schon gar nicht mit Übernachtung! Und wer mit Urlaubsbildern kommt, der wird erschossen.

René Grandjean

 

One Reply to “Ich bin ein Hobbit”

  1. David Pawn

    Man muss nicht nach Hogwarts gehen. Man kann die Ausbildung auch im Harz haben. Aber ich vermute, der ist auch schon zu weit von Bonn entfernt.