Das Lesen und das Schreiben

Kolumne_allg_01Von Michael Siedentopf

Im fünften Band seiner Romanserie über den Reiseführer „Per Anhalter durch die Galaxis“ lässt Douglas Adams seinen Helden Arthur Dent auf der Suche nach Trost und Rat für den weiteren Lebensweg eine Wahrsagerin aufsuchen. Diese lebt in einer dreckigen, stinkenden Höhle von Fliegen umschwirrt und ernährt sich nach Arthurs Ansicht im Wesentlichen von Abfall. Als sie nach ihrem Rat gefragt wird, drückt sie Arthur ihren Lebenslauf in die Hand und erklärt, diesen zu lesen wäre wichtig, denn man müsse doch wissen, von wem man einen Rat erhält. Dann empfiehlt sie, jede Entscheidung entgegengesetzt zu treffen zu ihrer eigenen, es sei denn Arthur wolle sein Lebensende in einer stinkenden Höhle verbringen.

Natürlich ist Douglas Adams ein satirischer Autor, doch mir scheint, in dieser Szene steckt viel Weisheit.

Warum erzähle ich das? Weil ich mich jetzt dem Thema „Schreibratgeber“ zuwenden und einen Sturm der Entrüstung ernten werde. Ich habe bisher zwei Schreibratgeber gründlich gelesen und einen durchgeblättert, um einen Überblick zu gewinnen. Die beiden von mir gelesenen sind „How to write a damn good novel“ von James N. Frey (im Original) und „Das Leben und das Schreiben“ von King. Durchgeblättert habe ich „Writing Tools: 50 Essential Strategies for Every Writer“ von Roy Peter Clark.

Die Ratschläge Freys sind fundiert, einfach zu verstehen und in einem lockeren Ton geschrieben, der niemals belehrend daherkommt. Seine Analysen basieren offensichtlich auf intensiven Recherchen vor allem von Werken der Weltliteratur. Ich habe bei Amazon geschaut, welche Romane Herr Frey geschrieben hat. Immerhin schließt er seinen Ratgeber mit einem Absatz, in dem er vorrechnet, dass man jährlich einen guten Roman zu Papier bringen kann. Es gibt ein Buch „The White Light“, eine Biographie. Ich kenne es nicht, ich weiß nicht, ob es verdammt gut ist. Zumindest ist es kein Bestseller und nicht so bekannt wie jene Werke, die in dem Ratgeber zitiert werden und ein Roman ist es eigentlich auch nicht.

Ähnliches erlebt man, wenn man nach Büchern anderer Ratgeberautoren sucht. Man findet weitere Ratgeber, aber nur wenige Romane oder Erzählbände. Ein bisschen erinnert das an Leute, die vor Casinos herumlungern und gewinnträchtige Roulettesysteme verkaufen (die es nicht gibt). Man fragt sich, warum sie das nötig haben, warum sie nicht einfach in das Gebäude in ihrem Rücken gehen und die Bank sprengen.

Sollen Sie jetzt alles genau andersherum machen, als James Frey es in seinem Buch vorschlägt? Himmel, nein! Wie ich schon sagte, ist Freys Buch voller großartiger Tipps, wie man die eigene Schreibe verbessern kann. Es ist ein Buch über das Handwerk des Schreibens. Es geht damit, wie es mit vielen Büchern über handwerkliche Fähigkeiten geht. Wenn man es liest, nickt man und sagt, ja, das hört sich vernünftig an. So probiere ich es auch. Dann probiert man es und stellt fest, dass es viel schwieriger ist, als es einem nach der Lektüre erschien.

Ich komme jetzt zum Titel dieses Artikels, der sich an den von Kings Buch anlehnt. King tut genau das, was die alte Dame in der Höhle gemacht hat. Er erzählt aus seinem Leben und dann erzählt er davon, wie er schreibt. Eigentlich ist es gar kein wirklicher Ratgeber, denn er stützt sich bei seinen Erläuterungen im Wesentlichen auf seine eigene Art zu arbeiten. Wenn Sie allerdings bei Amazon nach Büchern von Stephen King suchen, werden Sie fündig. Wahrscheinlich werden viele Leser hier schon fündig, wenn sie hinter sich aufs Regal schauen. Der Mann weiß zumindest, wie man einen Bestseller schreibt. Er hat es bewiesen.

In manchem ist er sehr rigoros. Er hasst Adverbien. Ich meine das so, wie ich es schreibe. Und er ist der Meinung, wenn man ein Sprechtag verwendet, dann nur „sagen“. Er sagte, sie sagte, es sagte. Nur so. Da kann man geteilter Meinung sein.

Das gilt auch für Freys Ratgeber. Sein Credo zu Dialogen ist: „Lassen Sie Ihre Helden nie direkt sagen, was diese meinen.“ Statt: „Schatz, ich habe Hunger.“ schreiben Sie: „Schatz, ich könnte ein Schwein vertilgen.“ Ich halte es da mit Rüdiger Hoffmann: „Kann man machen – muss man aber nicht.“

Einen Tipp, den King den angehenden Autoren gibt und diesen gibt auch Frey, und eigentlich rät Ihnen das jeder Autor, den Sie fragen, ist: Lesen Sie! Lesen Sie viel und alles, was Ihnen in die Finger kommt. Dabei ist es eigentlich nicht einmal wichtig, ob es sich um einen Bestseller, Weltliteratur oder nur einen Groschenroman handelt. Wichtig ist, dass das Buch Emotionen bei Ihnen auslöst. Wenn es gute sind, wenn das Buch Ihnen gefällt, eine Saite in Ihnen zum klingen bringt oder so etwas in der Art, dann versuchen Sie zu ergründen, warum.

Sie können nicht in Erfahrung bringen, ob der Autor intensiv recherchiert hat, wie umfangreich sein Plot vorab war, nicht einmal ob er überhaupt einen Plot hatte, ob er seine Charaktere einem Interview unterzogen hat. Aber Sie werden wissen, ob sie der Detailreichtum der Beschreibungen fasziniert, das Schicksal der Protagonisten berührt oder die Verzwicktheit der Handlung gefesselt hat. Sie werden wissen, ob Lösungen von Konflikten Sie verblüfft oder die Bildhaftigkeit der Sprache sie in ihren Bann gezogen haben. Merken Sie sich das.

Wenn ich jetzt sage, versuchen Sie, das auch so zu machen, heißt das nicht, Sie sollen ein Plagiat schreiben. Nein, Sie sollen nur den Versuch unternehmen, zu erkennen, welche Elemente des Buches Sie besonders beeindruckt haben und sich dies zum Vorbild nehmen. In Schreibratgebern finden Sie handwerkliche Tipps, wie man bestimmte Probleme löst. In fertigen Büchern erleben Sie, wie diese Lösungen auf den Leser wirken.

Lesen Sie auch schlechte Bücher. Nichts ist umsonst, es kann immer noch als abschreckendes Beispiel dienen. Machen Sie es bei Büchern, die Ihnen nicht gefallen, genau entgegengesetzt. Was hat Sie gestört? Warum konnten Sie nach spätestens der Hälfte des Textes nicht mehr weiterlesen oder haben einfach zwei Kapitel überblättert? Natürlich kann es am Genre liegen, aber das zählt nicht. Es geht um Bücher aus den Genres, die Ihnen gemeinhin zusagen. Sie werden, wenn Sie selbst etwas schreiben, hoffentlich nicht versuchen, über ein Thema zu schreiben, das Sie selbst nicht interessiert. Da wird nie ein Buch draus, nicht einmal ein schlechtes.

Lesen ist meiner Meinung nach tatsächlich die einzige Schule des Schreibens, die wirklich funktioniert. Weil Sie unbewusst die Prinzipien aufnehmen, die Ratgeber Ihnen vorgeben. Sie lernen die Sprache kennen, lernen wie sie aufgebaut ist, erkennen früher oder später die versteckten Tricks und Kniffe, die andere Autoren anwenden. Sie werden Stilmittel anderer Autoren sehen und sich an sie erinnern, wenn es erforderlich ist. Zu Beginn werden Sie versuchen, wie Ihr Lieblingsautor zu schreiben, was meist nicht gutgeht, denn Sie sind nicht Ihr Lieblingsautor. Aber Sie werden, wenn Sie gut sind, einen eigenen Stil finden und auch einen eigenen Weg, Ihren Roman zu einem glücklichen Ende zu führen.

Ach, und wenn Sie jetzt hier angekommen sind, lesen Sie meine Vita und schauen Sie nach der Platzierung meiner Bücher bei Amazon, und dann machen Sie alles anders, als ich es getan habe, bloß das Lesen sollten Sie nicht sein lassen.

Michael Siedentopf

 

5 Replies to “Das Lesen und das Schreiben”

  1. Patricia Jankowski

    Ganz herrlich verfaßt, Michael!
    Ich halte es wie du, was Schreibratgeber angeht.
    Und irgendwie auch alles andere.
    Eine sehr unterhaltsame Kolumne!

    1. David Pawn

      Danke!
      Da mein bürgerlicher Name, wie es so schön heißt, über dem Artikel steht: Die Bücher nach denen man schauen sollte sind von David Pawn.

  2. Valentin

    Entsteht da ein satirischer Schreibratgeber? Damit würdest du ganz hoch in die Charts kommen. Und dann würden sich alle an deinen Rat halten und es so machen, wie du, weil du dich dann ja nicht mehr in einer stinkenden Höhle von Abfällen ernährst … Aber könntest du in deinem Palast noch so schön Satire schreiben?

  3. Valentin

    Ich melde mich nochmal – um dir ein wenig zu widersprechen. Oder zumindest der Richtung, die du differnzierst einschlägst und die andere unbedingter vertreten. Nämlich dem „Hauptsache lesen“. Klar, man kann ab und an Schrott sezieren, um zu sehen, wie man es nicht machen sollte (oder auch: wie man es machen sollte, wenn man denn Erfolg haben will – oder schließlich: um sich zu sagen: lieber keinen Erfolg als so was schreiben); aber wer sich als Autor verbessern will, sollte doch vor allem das Beste lesen. Und das sage ich ganz bewusst elitär als gäbe es so etwas. Ein Stück Geschmackssache, sicher. Aber es gibt eben Gründe, weswegen ein paar hundert Autoren aus der Weltliteratur der Epochen hervorstehen – und davon gehört ein Stapel neben den Lesesessel, nicht von der Durchschnittsgenreliteratur, von der man ein oder zwei Muster abkupfern kann.