Klappe, die Dritte [Kolumne: Der Anfang vom Ende?]

Der Anfang vom Ende KolumneVon Maria M Lacroix

Fast alle dachten, der Mann und der Junge seien Vater und Sohn.

Ein Mann und ein Kind/Teenager. Auf der Flucht? Auf jeden Fall scheinen die beiden etwas zu verheimlichen, da sie – obwohl sie nicht miteinander verwandt zu sein scheinen – gemeinsam unterwegs sind und die Leute glauben lassen, sie wären verwandt oder zumindest den Irrtum nicht aufdecken. Als Leser wird man neugierig. Was hat es mit den beiden auf sich? In was für einer Beziehung zueinander stecken sie und wieso sind sie über einen langen Zeitraum (wieso sonst würde man sie für Vater und Sohn halten?) gemeinsam unterwegs? Man will wissen: Was ist passiert/was wird noch passieren?

Aus: Brennen muss Salem von Stephen King

 

Nun zu den Qindies …

Der Taxifahrer, der Flannery von Livorno nach Quercianelle brachte, war redselig und neugierig wie ein altes Klatschweib. Flannery fühlte auf der gesamten Fahrt an der Küste des Ligurischen Meers entlang seinen Blick im Rückspiegel auf sich gerichtet, während er redete, fragte, gestikulierte.

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber bei mir spult sich beim Lesen dieser ersten paar Zeilen gleich ein Film vor meinem inneren Auge ab. Man sitzt im Taxi, genießt die wundervolle Landschaft, riecht das Meer, hört das Rauschen, spürt die angenehmen Temperaturen und hat einen leicht untersetzten, grauhaarigen, schnurbarttragenden, fröhlich erzählenden Taxifahrer vor sich.

Toller, atmosphärischer Beginn.

Aus: Toskanische Verführung von Franziska Hille

 

Antjes Kopf ruckte bei jedem Schritt nach vorn, als verbinde ein Zahnrad die dürren Beine mit dem Hals. Ohne nach links oder rechte zu blicken, trippelte sie vorwärts. Als sie den Eingang erreichte, lehnte sie sich mit der Brust gegen das Holz. Es quietschte, die Tür schwang nach innen und gab den Durchgang frei.

Hä? Was ist denn das für ein Anfang? Antjes Kopf ruckte nach vorn, dürre Beine mit Hals verbunden? Wtf? Schnell weiterlesen … Antje durchschreitet den Raum, dann kommt eine neue Person hinzu. Schlagworte wie ‚Hühnerstall‘ und ‚Eier einsammeln‘ fallen. Aaaaah, es geht um ein Huhn!

Der Beginn macht neugierig und die detailliert beschriebenen Bewegungen des Huhns sind sehr authentisch. Spannend wird die Eingangsszene geschildert, die beim Leser ein Fragezeichen über dem Kopf erzeugt, um es dann so aufzulösen, dass man schmunzeln muss. Schön und gekonnt gemacht.

So, und jetzt habe ich Hunger auf Brathühnchen.

Aus:  Das Samstagshuhn oder Wie kommt die Margerite in den Brautstrauß von Regina Mengel

 

„Ein Bier noch. Bitte.“

„Nein, Ihr habt schon genug gehabt. Das Zeug bringt Euch eines Tages noch um.“

Behutsam entzog sich die Frau dem Griff des Mannes. Mit einer geübten Bewegung stellte sie den umgefallenen Krug wieder auf den Tisch, während sie mit der anderen Hand das vergossene Bier aufwischte.

Die höfliche, altertümliche Anrede deutet auf ein historisches Setting hin. Für eine bessere Einordung hätte man die Frau vielleicht „Schankmaid“ oder so ähnlich nennen können, aber der Fokus liegt sowieso eher auf den Mann. Es muss einen Grund geben, weshalb er trinkt und es scheint nicht sein erster Besuch im Wirtshaus zu sein, so vertraut, wie die Bedienung mit ihm redet. Für Fans historischer Geschichten ein vielversprechender Anfang.

Aus: Der Wolf und der Geist von J.R. Kron

 

Bernhard war ausgestiegen. Etwas abseits von seinem Dreißig-Tonner an einem Stapel Paletten gelehnt, beobachtete er wie der Kran die zweite der großen Stahlröhren langsam auf die Ladefläche hievte. 

Hier fällt mir eine Bewertung relativ schwer. Ich persönlich würde wohl nicht weiterlesen, weil ich mich mit der Szenerie nur schwer identifizieren kann. Personelle Erzählung aus Sicht eines (Mittdreißiger bis Mittvierziger?) Mannes. Ich stelle mir aber vor, dass ein Krimi oder Verschwörungsroman so beginnen könnte und die Szene ist bildhaft beschrieben.

Aus: Den Zufall hassen von Uwe Liebelt

 

Es regnet. Schon wieder. Ich bin noch nicht richtig wach, als diese Gedanken durch meinen Kopf wandern. Einen Kopf, der sich anfühlt, als wäre er mit Nebel gefüllt. Verdammte Schlaftabletten.

Ich finde den Beginn spannend, da man eine Person beim Aufwachen begleitet, die offenbar nicht ganz da ist und Schlaftabletten nehmen muss. Da das – zumindest hier in Deutschland – nicht unbedingt alltäglich ist (ich glaube, dass Schlaftabletten verschreibungspflichtig sind – kann mich aber auch irren, das „Härteste“ bei mir war bisher Baldrian), muss irgendetwas mit dieser Person sein, dass sie auf Schlaftabletten angewiesen ist. Sei es ein besonders stressiger Job, eine psychische Störung oder ein Suchtproblem. Um diese Fragen zu beantworten, folgt man der Figur weiter in die Geschichte.     

Aus: Trau niemals einem Callboy! von Birgit Kluger

 

Schlussbemerkung:

In dieser Kolumne geht es darum, die Sogwirkung der ersten Sätze zu untersuchen. Was für ein Gefühl vermittelt der Beginn, weckt er Interesse, hat man Lust weiterzulesen? Es geht nicht darum, etwaige Rechtschreibe- oder Grammatikfehler herauszufiltern oder zu analysieren.

Maria M Lacroix