Über den Geruch von Büchern und andere Sinnestäuschungen [Kolumne]

Von Susanne Gerdom

Eins der seltsamsten Argumente gegen E-Books, das mir in den letzten Monaten begegnet ist – nicht nur einmal, sondern mit erstaunlicher Regelmäßigkeit, lautet:

„Aber ich liebe den Geruch von Büchern!“

OLYMPUS DIGITAL CAMERAAuf Nachfrage, nach was Bücher denn so riechen, kommt immer die gleiche Antwort: Papier und Druckerschwärze.

Ich war in meinem früheren Leben Buchhändlerin. Ich weiß, wonach Bücher riechen sollten: nach gar nichts.

Ich weiß, wonach Bücher riechen können: Nach Staub. Nach Essensgerüchen. Nach Katzenpisse, Moder, Zigaretten, Schimmel, nassem Hund.

Geht mal mit offener Nase durch ein Antiquariat und dann sagt mir das nochmal mit der Liebe und dem Geruch.

Druckerschwärze? Es mag sein, dass in der Viertelstunde nach Entfernen des schützenden Zellophans auch der Geruch von industrieller Fertigung aus den Seiten steigt. Nicht länger, denn wenn da was nach Druckerschwärze riechen würde – anhaltend – dann würden die Buchseiten abfärben wie Zeitungsseiten. Tun sie nicht. Glücklicherweise.

Bücher, ihr Lieben, sind Industrieware wie Streichhölzer, Schuhe, Gummibärchen und Ikea-Schränke. Bücher aus Papier sind eine Verpackungsform des Inhaltes, um den es eigentlich geht. Ich gebe zu, dass es Menschen gibt, die sich Bücher kaufen, um den Wohnzimmerschrank gefällig damit zu schmücken. Schaut her, ein halber Meter Goethe, ein Brett gemischte Klassik, ein Konversationslexikon. Natürlich farblich sortiert, soll ja schön aussehen und zum Sofa passen.

Aber wir, die Leser? Wir kaufen Bücher, damit wir ihren Inhalt inhalieren können. Ich lasse jetzt bewusst das Grenzgebiet des Kunstbuches aus. Coffetable-Bücher sind Dekorationsstücke, keine „Lesebücher“, über die ich hier rede.

Wenn mir jemand vorschwärmt, dass er den neuen Stephen King, die neue Rowling, den neuen Follett als Papierbuch besitzen muss, weil das doch so schön riecht, dann ist der in meinen Augen ein Fall für den Nervenarzt. (Oder er macht sich und mir was vor.)

Großmutter-KolumneNeophobie – die Angst vor dem Neuen. Ja, ihr Lieben, findet euch damit ab. Ihr liebt nicht den Geruch von Druckerschwärze und ihr liebt nicht das Rascheln des Papiers. Ihr habt einfach nur Angst, das Gewohnte durch das Neue zu ersetzen. Nicht mehr. Gutenberg hat sich damals wahrscheinlich auch einiges anhören müssen, als er die bewegliche Letter erfand. Die schönen, handgeschriebenen alten Bücher! Na gut, niemand konnte sie sich leisten, keiner hatte so was zu Hause, es gab eben nur Bücher in Klöstern oder für die ganz Reichen. Aber: Es war das, was man gewöhnt war.

Ihr werdet nicht aussterben, ihr Papier-und-Druckerschwärze-Afficionados. Ihr werdet mit den Vinyl-Fans und den Leuten, die Feuer noch mit dem Feuerstein herstellen (weil das doch viel natürlicher ist) in eurem Reservat sitzen, euch gegenseitig Schallplatten vorspielen, Zunder fürs Feuerchen sammeln und an Büchern riechen. Und weil der schöne Geruch nach Papier und Druckerschwärze so schwer zu konservieren ist, ehe er in Rauchgeruch, Schimmel und Wurstfingeraroma untergeht, gibt es das passende Raumspray fur euch. Wohl bekomm’s. (Aber denkt daran: Diese Aromastoffe sind karzinogen. Sparsam verwenden!)

Und wer wirklich was Schönes riechen will: Geht raus. Riecht an einem Baum.

Susanne Gerdom