Der Einstieg in dieses Werk ist mir schwer gefallen – sicher kein Wunder, da ich in der letzten Zeit überwiegend Kinder- und Jugendbücher gelesen habe, die sich sprachlich an ein junges, noch leseunerfahrenes Publikum richten. Horus W. Odenthal beschreitet komplett andere Wege. Sein Werk, zumindest der jetzt von mir beleuchtete erste Band der Ninragon-Reihe, ist in einer fast bis an die Grenze des Lesbaren durchgestalteten Sprache verfasst. Wer sich darin einfindet, wird allerdings mit einem beeindruckenden Epos belohnt.
Inhalt:
Eine Gruppe Elfen aus dem Stamm der Ninraé findet einen schwerverletzten Menschen, den sie mit in ihre Heimat, die Festung Himmelsriff, nehmen. Während sie ihn gesund zu pflegen versuchen, allen voran Darachel und Siganche, erzählt ihnen Auric, so der Name des Mannes, aus seinem Leben. Angefangen von seiner Kindheit mit einem brutalen Vater und einer Mutter, die dieser auf einem Kriegszug als Trophäe erbeutet hatte, über seine Ausbildung als Kämpfer der Skrimaren bis hin zu seiner Flucht in das kultivierte Idirium und seine dortige Arbeit als Söldner der idirischen Armee.
Meinung:
Dieser erste Band der Ninragon-Reihe ist nicht leicht zu verdauen. Wer die übliche leichte Fantasykost erwartet, wie man sie gemeinhin bei Verlagen oder Selfpublishern findet, ist hier fehl am Platz. Für dieses Buch muss man sich Zeit nehmen und sich auf eine bewusst verschlungene Sprache mit zum Teil überfrachteten Satz- und Wortkonstruktionen einlassen. Allerdings korreliert die Sperrigkeit der Sätze und Worte mit dem Inhalt des Textes, ist also in meinen Augen kein reiner Selbstzweck. Und auch wenn ich mich persönlich erst einlesen musste, kommt mir die Sprache dem Anspruch des Werkes angemessen vor.
Horus W. Odenthal hat eine komplexe und vielschichtige Welt erschaffen, die aus menschlichen Ländern und zugleich aus Landstrichen besteht, die von Elfen bewohnt werden. Im Text selbst schildert der Autor dies alles allein mit Worten, doch am Ende des Buches verweist er auf eine Weltkarte, die man sich von seiner Website herunterladen kann. Die Karte mag es visuell geprägten Lesern erleichtern, der Handlung zu folgen, auch wenn der Autor die Landschaft, die Bauwerke und Städte so plastisch darstellt, dass ich alles in meiner Vorstellung vor Augen hatte.
Im Unterschied zur Mainstream-Fantasy und zur Esoterik sind Odenthals Elfen keine lieblichen, zarten Wesen, sondern knallharte Kämpfer, die den Menschen – in Gestalt der idirischen Armee – heftig zusetzen. Und damit komme ich zu einem wichtigen Aspekt des Buches: den zahlreichen Kampfszenen. Sie sind in jeder Einzelheit beschrieben. Das muss man als Leser mögen und aushalten – oder die Finger vom Buch lassen. Diese Szenen gehören dazu, zumindest zu den Lebensschilderungen Aurics, der sich von einem einfachen Skrimaren-Schlächter zu einem Offizier der idirischen Armee entwickelt. Entsprechend verändern sich sein Kampfstil und die Schilderungen des Autors. Unblutiger wird das Buch dadurch jedoch nicht.
Hatte ich zu Beginn des Werkes noch mit dem Lesen gekämpft und bei ungefähr einem Drittel des Textes mit dem Aufgeben liebäugelt, bin ich letztlich froh, mich durchgebissen zu haben. Die Person des Menschen Auric ist vielschichtig und sympathisch angelegt, ebenso der Ninra Darachel. Zudem bringt der Autor weitere interessante Aspekte in den Text ein, seien es die idirische Literatur, unterschiedliche Menschen- und Elfenkulturen sowie menschenähnliche Kampfroboter. Die Ideen und Themen des Buches sind wirklich lesenswert. Das Gesamtkunstwerk Ninragon I ist etwas Einzigartiges, Einmaliges, das sich in der Nominierung für den Deutschen Phantastik Preis 2013 zu Recht widerspiegelt.
Ein Wermutstropfen sind für mich zahlreiche fehlende Kommata, die der Lesbarkeit in Anbetracht der schwierigen Sprache gedient hätten. Sollte das Rezensionsexemplar der aktuellen Kaufversion entsprechen, lege ich dem Autor einen Zeichensetzungsprofi ans Herz, der sich mit verschachtelten Satzkonstruktionen und erweiterten Infinitiv-Gebilden auskennen sollte. Natürlich hätte ich gern die eine oder andere allzu sperrige Partizipialkonstruktion aufgelöst, aber ich denke, dass sie zu Odenthals Schreibstil gehört und damit Teil des Werkes ist.
Fazit:
Ein einzigartiges Fantasy-Epos, das seinesgleichen sucht
Rezensiert von Ira Krissel