Wie man Kopfkino erzeugt

Kolumne_allg_02aVon Michael Siedentopf

Jeder Autor, der seinen Schuss Angostura wert ist, weiß, dass sprachliche Bilder das Salz in der Wunde einer guten Geschichte sind. Allerdings geistert immer noch die Vorstellung durch die Hirne mancher angehenden Schriftsteller, Metaphern, Allegorien, Gleichnisse, Oxymorone und andere rhetorische Figuren würden dafür verwendet, das Bild, welches der Leser sich von Personen, Orten oder Situationen in der Geschichte machen soll, zu vertiefen.

Das ist falsch, grundfalsch. Sprachliche Bilder sollten dem erfahrenen Autor ausschließlich dazu dienen, zu beweisen, wie wortgewandt er ist. Vergessen Sie alle guten Ratschläge und erschlagen Sie den Leser mit dem Rahmen, der ihr sprachliches Bild trägt. Glauben Sie niemals, es wäre korrekt, auch nur einen einzigen Satz zu Papier zu bringen, der sagt, was er meint. Zweifeln Sie nicht an der Fähigkeit des Lesers auch verzwickteste Bilderrätsel zu entschlüsseln.

Wenn Ihre Heldin ihr Haar lang und offen trägt, lassen Sie es wie verspielte Ziegen an den Hängen ihres Kopfes niederspringen, um sich an dem klaren Quell ihrer Achsel zu laben. Aha, die Dame schwitzt stark, erkennt der Leser sofort.

Vergessen Sie auch alles, was Sie je zum Thema „abgegriffen“ gehört haben. Wie Frauen altern auch Metaphern nicht, sie werden reifer. Und ein Bild, das schon hunderte Autoren vor Ihnen verwendet haben, kann so schlecht nicht sein. Schließlich müssen Sie weder das Laufrad noch den Fahrstuhl neu erfinden, selbst den Aufzug nicht. Bedenken Sie, wenn ein Gegenstand abgegriffen ist, kommt das von häufiger Benutzung und er wird so oft angegriffen, weil er ein nützlicher, praktischer Gegenstand ist. Oder haben Sie je von einer abgegriffenen Zuckerzange gehört?

Lassen Sie die Sonne niemals am Himmel, dort stört Sie nur die weidenden Wolkenschafe, lassen Sie sie in all ihrer Pracht und Gewalt wieder und wieder auf Häuser, Meere und Wälder stürzen, ohne bleibende Brandspuren zu hinterlassen.

Augen sind trainierte Wanderer. Während Nasen nur laufen, wandern Augen mal hier, mal dorthin, immer auf der Suche nach Szenen, auf die man sie werfen könnte. Auch andere Körperteile werden gern völlig losgelöst dargestellt und dies nicht nur in Horrorschinken. Arme sind zum Beispiel geübte Flieger.

Lassen Sie sich nicht einreden, Ihre Metaphern wären doppeldeutig, oder gar Sie würden Stilblüten verfassen. Wenn Sie sich davor fürchten, verwenden Sie einfach das Wörtchen „fast“. Man kann Ihnen nicht nachsagen, Sie hätten behauptet, Ihr Held sei ein behaarter Schrank oder ein quaderförmiger Bär – nur fast. Das heißt, er hat die berühmten drei Haare auf der Brust und legt sich einmal pro Woche auf die Hantelbank.

Schrecken Sie nicht davor zurück, Dinge so zu formulieren, dass der Leser am Ende des Satzes sich fragt, wie er in so ein Ungetüm hineingeraten konnte, denn er wird sich das nicht fragen, vielmehr wird er, wie Jona, sich glücklich schätzen, dem Leviathan entkommen zu sein.

Denken Sie geradlinig. Versuchen Sie niemals die volle Bedeutung des eigenen Bildes zu erkennen. Sie wollen eine plüschige Umgebung beschreiben, in der nur frisch Verliebte und Katzen sich wohlfühlen können? Lassen Sie Ihre Charaktere eine Wolke betreten. Jeder kann sich das vorstellen. Wolken sind wattig und weiß – und außerdem unvorstellbar nass, aber das muss nicht jeder wissen.

Wenn Sie nicht sicher sind, dass Ihre Leser ein Bild auch richtig gedeutet haben, erläutern Sie es. Das ist eine bewährte Technik, die Jesus schon in der Bibel immer wieder angewandt hat. Erst erzählt er ein Gleichnis und dann erklärt er den Dösköppen an seiner Seite noch einmal ausführlich, was er damit sagen wollte. Genau so sollten Sie es auch handhaben. Wenn Sie also schreiben, jemand käme zur Tür herein und sehe aus wie ein Sack Lumpen, den man gerade aus dem Fluss gefischt hat, schreiben Sie am Ende des Absatzes unbedingt noch: Paul war klatschnass. Oder Ilse oder Georg oder Bellomax.

Um den Text für den Leser beeindruckender, nicht verständlicher, das kann nicht Ihr Sinnen und Trachten sein, zu machen, kombinieren Sie Substantive mit passenden Adjektiven. Adjektive sind umso passender, je stärker sie im Kopf bereits mit dem zu beschreibenden Gegenstand verknüpft sind. Gut sind z. B. endlose Ewigkeiten, verwirrende Labyrinthe und runde Steinkreise, letztere vor allem in mythischen Sagen.

Wenn es für ein Objekt oder eine Situation keine bewährte Metapher gibt, die Sie einsetzen können, dann müssen Sie kreativ werden. Dabei sind Ihrer Phantasie keine Grenzen gesetzt. Sie können alles schreiben, was sich der Leser nur vorstellen kann, besser noch, was er sich nicht vorstellen kann. Lassen Sie Stimmen hölzern oder papiern werden. Schreiben Sie von donnerndem Klirren oder von einer Kälte, die einem den Schmalz aus den Ohren tropfen lässt. Lassen Sie Ihre Heldin einem munteren Fisch gleich über die Straße hüpfen, um in einem altersmilden Pub zu verschwinden, dessen Dachsparren sich unter der Last der Jahre wie Schiefertafeln biegen. Schlagen Sie mit der flammenden Keule Ihrer Sprache nach den primitiven, bildlosen Sätzen und hämmern Sie das Muster Ihrer Gedanken in sie hinein, denn nur so beweisen Sie Ihre Befähigung zu wirklicher Literatur.

Hüten Sie sich vor Autoren, die Sie eines Besseren belehren wollen. Das sind Neider, Querulanten-Indies. Diese werden ewig auf der Makulatur sitzen bleiben, die sie verfassen, weil ihre Werke nicht jene Bildgewalt haben, die wirkliche Bestseller auszeichnet. Sprache ist eine Waffe, nein, viele Waffen. Hüten Sie sich, das Stilett zu wählen, wenn Ihnen die große Kanone zur Verfügung steht, mit der Sie Ihren Gegner, Verzeihung, Leser erschlagen können.

Michael Siedentopf

 

One Reply to “Wie man Kopfkino erzeugt”

  1. Valentin

    „Erschlagen Sie Ihre Leser!“ – so lässt man sich gerne erschlagen 🙂 Großes Autorenkino! Und hilfreich, um bei Qindie angenommen zu werden (da wissen alle, worauf Herr S. achtet) – für den Verkaufserfolg eher wenig relevant.