Schreibt der gut?

Kolumne_allg_01aVon Robert Odei

Ich habe vor kurzem den ersten Band von „Game of Thrones“ gelesen. George Martin hat einen wirklich interessanten Schreibstil. Mit Charakterisierung und Tiefenschau hält er sich kaum auf. Es gibt auch keine wirkliche Vorstellung/Einführung der Charaktere. All dies wird allein durch die Dialoge und Handlungen der Figuren transportiert. Wo es nötig ist, schildert er die Gedanken und Gefühle seiner Figuren, was aber eher verstreut vorkommt. Dennoch kommen alle Charaktere unglaublich realistisch rüber. Möglicherweise deshalb, weil wir sie als Leser aus einer gewissen Distanz betrachten, so wie wir auch echte Menschen wahrnehmen. Das ist wirklich interessant, da ich immer davon ausgegangen bin, die greifbarsten Charaktere entstünden dadurch, dass der Autor sie für den Leser „seziert“. So habe ich es zumindest von Stephen King entlehnt. Dass das genaue Gegenteil ebenfalls funktioniert, kam mir gar nicht in den Sinn.

Einige Zeit zuvor habe ich die Barock-Trilogie von Neal Stephenson gelesen. Alle dreitausend Seiten in einem Rutsch (natürlich zwischendurch geschlafen). Auch er benutzt diese stark distanzierte Erzählweise. Vermutlich ist es anders nicht möglich, solche Mammutwerke auf die Beine zu stellen. Gingen die Autoren bei ihren Figuren zu sehr ins Detail, würden die Geschichten in ihrem Umfang wohl ausufern. Ich fürchte, so erging es Robert Jordan mit seinem „Rad der Zeit“. Ebenfalls ein Mammutwerk, das allerdings im Mittelteil unter der Durchcharakterisierung jeder einzelnen Figur leidet. Die Geschichte selbst bleibt da manchmal auf der Strecke.

Aber was macht nun „Game of Thrones“ so faszinierend? Zu einem großen Teil liegt es wohl daran, dass die Geschichte kaum durch unnötige Schilderungen ausgebremst wird. Ein Resultat dieser Erzählweise ist das sehr hohe Erzähltempo. Man steigt direkt in die Geschichte ein und wird von der Neugier auf den Fortlauf der Geschichte wie an einem Angelhaken weitergezogen. Man will immer noch ein bisschen weiterlesen, um zu sehen, was als nächstes passiert. Diese Eigenschaft macht echte Pageturner aus. Jetzt muss man aber bedenken, dass George Martin in „Game of Thrones“ keine bahnbrechend neue Geschichte erzählt. Es geht um höfische Intrigen, adlige Familienbeziehungen und Ritter. All dies wurde bereits in anderen Geschichten erzählt, nur schafft es George Martin, dies alles viel frischer und greifbarer rüberzubringen. Ich habe lange überlegt, wie er das hinkriegt. Klar, er erzählt es einfach besser. Nur was bedeutet „besser Erzählen“? Wie kriegt man das hin? Ich schätze, dies ist die Frage, die sich alle Autoren stellen (sollten).

Liegt die Lösung vielleicht darin, alles wegzulassen, was den Leser nerven könnte? Vielleicht geht es gar nicht darum, möglichst viele (interessante) Aspekte in die Geschichte hereinzuholen, sondern vielmehr darum, jedwegen Ballast herauszuhalten? Raus mit langen Schilderungen; nicht zu sehr ins Detail gehen; den Leser nicht frustrieren, indem man zu lange an einer Szene hängt. Ist dies die korrekte Herangehensweise?

Hm, weiß nicht.

Andersherum gefragt: Welche Art der Schilderung macht mich zu einem guten Erzähler? Vielleicht muss die Welt, in der eine Geschichte spielt nur komplex genug sein, dass ich als Autor kaum mit dem Erzählen nachkomme? Entsteht dadurch Rasanz? Vielleicht geht ja Weltentwurf vor Charakterisierung? Geht Handlung vor Bedeutung? Oder muss tatsächlich alles genau aufeinander abgestimmt sein? Zumindest diese Frage kann ich mit nein beantworten. Dies mag zwar auf Kuchenrezepte zutreffen, doch beim Erzählen einer Geschichte kann dies nicht die Lösung sein, sonst wären ja nur die Schriftsteller gut, die das genaue Mischverhältnis aus Charakter- und Handlungsschilderung erreichen.

Was also ist gutes Erzählen?

Mag es schlussendlich gar nicht um den Inhalt gehen, sondern nur um die Präsentation? Irgendwo habe ich mal gelesen, Stephen King könnte auch seine Einkaufsliste veröffentlichen, und die Leser würden sie ihm abkaufen. Wer sich jetzt bereits in der Schlange stehen sieht, sollte sich fragen, weshalb eigentlich? Was genau erwarten wir denn von einem guten Erzähler, dessen neue Erzählung wir noch nicht kennen?

Meine persönliche Antwort auf diese Frage (und man mag mir gerne widersprechen) ist Varianz und Unvorhersehbarkeit. Genaugenommen führt Varianz zu Unvorhersehbarkeit. Wenn eine Geschichte abwechslungsreich genug ist, wird der Leser den Fortgang nur schwer vorhersehen können und wird somit in einer ständigen Erwartungshaltung verharren, weil er einfach wissen muss, worauf die Geschichte denn nun hinausläuft. Und dies gilt ebenfalls für die Charakterisierung einzelner Figuren. Wenn wir von Anfang an wissen, wer Gutes tun wird, und wer Böses, verlieren wir als Leser die „Erwartungsstarre“. Nichts ist langweiliger als Vorhersehbarkeit. Das ist meine Antwort, und jeder Autor sollte seine eigene finden.

Bleibt nur die Frage: Muss man als Schriftsteller gar nicht gut sein, um genial zu sein?

Robert Odei

 

3 Replies to “Schreibt der gut?”

  1. David Pawn

    Vielleicht gibt es gar nicht DEN guten Erzähler. Mag sein, was der eine für genial hält, ödet den anderen an. In vieler Hinsicht wird, was ein guter Erzähler ist, vom Leser abhängen – von dem was er erwartet, welche Vorlieben in Bezug auf Geschichten er hat. Will er eine rasante Parforcejagd durch die Handlung oder lieber eine sanfte Führung. Will er sich selbst ein Bild von den Figuren machen oder alles vorgekaut auf dem goldenen Teller serviert bekommen. Es gibt viele verschiedene Autoren und viele unterschiedliche Stile. So ist für jeden was dabei. Wichtig ist vor allem, dass es in sich gut gemacht ist, sich an den selbstgewählten Stil hält, denn wer springt, mal so, mal so erzählt, wird es am Ende keinem Recht machen.

  2. jutta beer

    Ja, doch, man muss. Aber um Erfolg zu haben ist es nicht unbedingt notwendig, wenn man die Masse mit den Storys füttert, nach denen sie gieren.