von Tilly Jones
Als Leser kann man in verdammt viele Welten reisen und tausend Leben leben. Als Pirat einen Schatz suchen, als Ritter auf dem Schlachtfeld kämpfen oder sich von einem Monster retten lassen und dann in ewiger Liebe bis zur letzten Seite existieren. Die Geschichte gibt eine bestimmte Richtung vor und wir als Leser folgen ihr. Als Rezensent natürlich auch. Ich möchte mal behaupten, dass ich, seitdem ich Rezensionen schreibe, die verschiedensten Genres gelesen habe. Auch solche, die ich privat vielleicht nicht gelesen hätte. Aber eines haben sie doch alle gemeinsam. Der Mann ist der Held. Das Monster bekommt die Frau. Die Frau wird gerettet, egal ob vom Monster oder vom Held, ist im Grunde nämlich ein und derselbe. Allerdings ist mir eine Sache noch nie untergekommen …
Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich „Die Schöne und das Biest“ geschaut. Natürlich war ich hin und weg von der Liebe und dem überschwänglichen Kitsch im Film. Das böse, böse Gruselmonster und die superhübsche Frau, die Funken flogen, es knisterte und ZACK das Monster hatte seine Braut. Fantastisch. Na gut, so schnell ging es dann vielleicht doch nicht, aber verzichten wir mal auf die Einzelheiten, denn jeder kennt doch wohl „Die Schöne und das Biest“. Egal, ob als Buch, Film oder aktuell als Serie. Es läuft immer auf das Gleiche hinaus. Monster angelt sich hübsche, kluge Frau. Warum? Weil er tief in seiner Monsterhaut ein guter Kerl ist. Da stören auch Fell, Hörner oder Gruselatem nicht.
Wir Frauen schmelzen am Ende dahin, die Männer verdrehen genervt vom Liebesschmalz die Augen. Macht nichts, wir wollen die Romantik, wir wollen gerettet und erobert werden. Wir wollen schmachtend in den Armen unseres Helden (wahlweise Monster) liegen und uns durch und durch als Frau fühlen. Was wäre diese Geschichte, wenn die Schöne am Ende sagen würde:
„Ne du hör mal zu. Lass uns Freunde bleiben. Ich schick dir ´ne Freundschaftsanfrage auf FB. Bis denne“.
Winke winke und weg ist sie. Ein grauenvoller Gedanke, oder? Oder!?
Leider funktioniert meine Gedankenwelt nicht so einseitig. Ich dachte weiter, meine Fantasie ging mit mir durch und ich stellte mir selbst die Frage (die ich übrigens euch jetzt auch stelle):
Frauen können auf den Mond reisen, die Chefin von Hunderten von Angestellten sein und überhaupt findet man Frauen doch heutzutage in jedem „typischen Männerjob“.
Warum, verdammt noch mal, gibt es also keine Monsteriene? Wo ist die Biestin, die den Mann erobert? Wo ist die Emanzipation innerhalb der Monsterwelt?
Stellen wir uns dieses Szenario doch einfach mal vor. Die gruslige Biestin lebt zurückgezogen in einem dunklen Schloss. Ein hübscher, junger Mann kommt auf vielen Irrwegen letztendlich dort an und merkt, dass mehr hinter der Monsteriene in Pink steckt. Er bemüht sich, sie aus ihrer Höhle zu locken und am Ende leben sie glücklich bis irgendwer was anderes sagt. Ist das so abwegig? Ernsthaft? Warum?
Kann eine Frau nicht gleichzeitig monstermäßige Instinkte haben und dennoch Handtasche und Stöckelschuhe tragen? Einmal pro Woche rennt sie ins Nagelstudio, denn schließlich wollen Krallen auch gepflegt sein. „Shopping für die Biestin von heute“, denn ich kann mir gut vorstellen, dass es ein Knaller wäre, für die Frau von heute reißfestes Monstermaterial herzustellen. Kann es nicht mal die Frau sein, die dem Polizisten mit ihren übermenschlichen Möglichkeiten bei seinen Fällen hilft? Kann es nicht die Biestin sein, die ihn rettet?
Und genau da sehe ich das Problem. Das typische Frauenbild ist hinüber, sobald die Frau als Stärkere aus dieser Gleichung hervorgeht. Welcher Mann will sich denn bitte von einer Monsteriene retten lassen? Er kuschelt sich danach in ihre muskelbepackten Arme und schmachtet ihr vernarbtes Gesicht an. Dann springt sie von Haus zu Haus und schleppt ihn in ihre modern eingerichtete 3-Raum-Wohnung, nebst Katze, Pflanzen und großgeblümter Tagesdecke auf dem Himmelbett. Natürlich verführt sie ihn danach, bis es zum heißen Höhepunkt kommt. Sie bringt ihm morgens den Kaffee ans Bett und … irgendwie sind nun die Rollen vertauscht. Seltsamer Gedanke, wenn man ihn weiter denkt.
Alles in allem vollkommen unvorstellbar, oder? Oder!?
Ist es wirklich unmöglich, dass das weibliche Monster einen Mann rettet und sie sich am Ende des Tages in seine Arme kuschelt? Dass er die Schulter zum Anlehnen bietet und glücklich ist in der Beziehung, obwohl sie stärker ist (sie kann schließlich LKWs umher werfen)? Auch wenn sie das Monster ist, sich bei ein bisschen Aufregung in eine megastarke Furie verwandelt (nein, liebe Männer, ich rede nicht von der Realität … ) und den Herzschlag von einer Maus in 100 km Entfernung hört, kann der Mann sie dennoch retten. Vor sich selbst, vor der Einsamkeit, vor Vorurteilen. Warum sollte es immer die Frau sein, die den monsterhaften Mann rettet, es ist andersrum genauso möglich. Wenn er gerettet wird, kann der Mann dennoch die Frau am Ende des Tages verführen. Obwohl sie vielleicht grünleuchtende Augen hat, kann die Monsteriene sich dennoch an den Mann kuscheln und ihn anschmachten, ganz einfach, weil er ihr persönlicher Held ist. Es ist möglich, dass er am Morgen den Kaffee ans Bett bringt, dass er sie vor grabschenden Möchtegern „Sexiest Man Alive“-Typen rettet, in dem er klar sein Revier absteckt – Auch oder gerade weil sie den Pöbel mit einem Wedeln ihrer manikürten Hand in Grund und Boden rammen könnte.
Gibt es überhaupt schon weibliche Monster innerhalb von Büchern? Und ich meine nicht die liebe Tante von nebenan, die sich als männermordendes Monster entpuppt. Sondern genau die Monsteriene, wie ich sie oben beschrieben habe. Das weibliche Pendant zum Monster in „Die Schöne und das Biest“.
Woran liegt es also nun, dass der Mann das Monster ist und die Frau ihn anschmachtet, nachdem er sie gerettet hat? Geht das typische Bild der Frau wirklich verloren, wenn sie sich in einen pinken Hulk verwandelt?
Tja … ich denke, irgendwie leben wir alle in einem Klischee mit der typischen Rollenverteilung. Vielleicht dauert es noch ein paar Jahre, bis ein ganz mutiger, junger Schreiberling (egal ob Mann oder Frau) sich hinsetzt und die Frau in ein Monster verwandelt, die ihren Mann findet, indem sie ihn rettet.
Sollte sich nun jemand dazu berufen fühlen, genau so eine Geschichte zu schreiben, ich würde mich freuen, schließlich bin ich als Leserin und als Rezensentin immer auf der Suche nach neuen Geschichten. Ach, und für Buchempfehlungen mit weiblichen Monstern bin ich auch offen. 😉
Liebe monsterhafte Grüße
Tilly