Von Ruprecht Frieling
Eine Stewardess schreibt ein Buch, veröffentlicht es mangels anderer Gelegenheit als E-Book und erobert damit in ultrakurzer Zeit Kohorten weiblicher Fans, die sie bald wie die Mücken das Licht umschwärmen. Ein grandioser Erfolg ist diesem ungewöhnlichen Talent, das aus dem Nichts die Bühne der Buchwelt betritt, beschieden. Alle jubeln. Alle sind froh und umarmen sich!
Ein Musterbeispiel für den Mut, selbst aktiv zu werden und das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, sei die Erfolgsautorin, heißt es landauf, landab. Küsschen, Küsschen, jubeln die Leser – und so heißen denn auch die Romane des frisch gebackenen Schreibstars »Holunderküsschen«, »Champagnerküsschen«. Allseits wird kräftig geknutscht.
Schon schießt die frisch gebackene Bestsellerin auf Platz Eins der Verkaufslisten. Selbst etablierte Holzverlage springen auf den fahrenden Zug. Ein besonders geschäftstüchtiges Unternehmen veröffentlicht die Werke des neuen Superstars innerhalb weniger Wochen auf Papier, um am Boom teilzuhaben. Sanft fällt Goldstaub vom Himmel und pudert die Gemeinde. Bussi, Bussi, Bussi!
Die mehrheitlich weiblichen Fans sind inzwischen kaum noch zu halten, es regnet »Likes« und »Gefällt mir«. Amateur-Rezensenten bei Amazon und auf anderen Plattformen überschlagen sich und steigern sich gegenseitig in ihren Rausch vom neuen Superstar. Jede(r) möchte ein Stückchen vom Ruhm und hofft, er färbt ab. Die Erfolgsautorin sieht zudem recht attraktiv aus mit ihren langen blonden Haaren und macht sich gut in den zahllosen Fernsehinterviews, die mit ihr ausgestrahlt werden. Ein Teufelsweib! Leserinnen, die von Sex, Romantik und Abenteuer träumen, während sie im Büro wichtige Papiere bewegen, haben endlich ein Sprachrohr gefunden. Schnell wird ein neues literarisches Genre geboren, um alles auch wissenschaftlich zu untermauern: »Chic-lit« heißt die Küsschen-Literatur.
So liebten sich alle, und würden, wenn sie nicht gestorben sind, noch heute miteinander kuscheln … wäre da nicht eine gewisse Ungeschicklichkeit der schreibenden Flughostess ruchbar geworden: Denn ein Teil der Küsschen-Botschaften ist schlicht und einfach geklaut, abgeschrieben aus den Romanen gestandener Autorinnen, die seit Jahren im Geschäft sind. Zwar bestreitet die Plagiatorin anfangs alles, doch schnell wird ihr das Gegenteil nachgewiesen. Ist sie lediglich blond oder gar eine perfide Lügnerin? Sie versucht es mit Ausflüchten, die fremden Texte seien lediglich »Platzhalter« gewesen, die sie vergessen habe, mit eigenem Wohllaut zu füllen. Doch alle Ausreden werden von Kritikern schnell widerlegt. Und über Nacht wendet sich das Blatt: Blondchens Bestseller platzen wie Seifenblasen. Die bislang treuen Gefolgsleute reagieren sauer. Sie wurden getäuscht! Vorbei ist es mit dem Ruhm der Starautorin.
Das Publikum tobt. Es schreit nach Rache. Ein beispielloser Shitstorm bricht los. Während im Hintergrund findige Anwälte Schadenersatz fordern, wüten im Vordergrund die sich getäuscht fühlenden LeserInnen und machen ihrem Herzen Luft. Die Küsschen-Verteilerin, gestern noch die größte, beste und herzallerliebste Hoffnungsträgerin unerfüllter Sehnsüchte und Träume, wird mit Schlamm und Scheiße beworfen, dass sich die Zeilen biegen. Aus den lieben Liebenden werden harte Hasser, die schlicht vergessen haben, dass sie kurz zuvor noch das Objekt ihrer aktuellen Empörung als Erfolgsgöttin angebetet hatten und sie umtanzten wie die Israeliten das goldene Kalb.
Drang monatelang unreflektiert Weihegesang und Lobpreisung aus allen Ecken, so schäumt aus dem scheinbaren Nichts Unrat über die Charterschlampe. Die macht sich schnell vom Acker und verschwindet über Nacht vom Markt. Ihre Bücher werden virtuell geschreddert, die Hitlisten gesäubert, kein Finger rührt sich mehr für die Saftschubse, die zu bescheuert war, einen eigenen Text zu verfassen. Gnadenlos reagiert der Pöbel: Die Königin wird vom Thron gestoßen, mit großem Trara hingerichtet und in so kleine Einzelteile zerfetzt, dass keine Spur mehr von ihr übrigbleibt.
Ob sie wenigstens weiterhin hoch oben über den Wolken Kaffee servieren darf? Kein Schwein fragt nach. Denn schon betritt der nächste Superstar die Bühne, an den sich die Meute klammert, um von Selbstverwirklichung und einem Leben in Saus und Braus zu träumen, bis er in Ungnade fällt.
Der Geschmack des Publikums ist flüchtig. Sicher ist nur, dass Hassgefühle heute schneller als Liebe aus den Synapsen der Masse strömen. Fast unweigerlich muss sich jeder Prominente damit abfinden, beim kleinsten Fehltritt oder Ungeschick von den eigenen Fans ausgebuht, mit faulen Eiern beworfen oder einem Shitstorm ausgesetzt zu sein.
Das ständige Twittern und Posten von jeder noch so kleinen Regung im 24-Stunden-Takt macht Prominenz nicht nur möglich sondern auch angreifbar und verletzlich. Denn wehe, die neidische Volksseele kocht über und lechzt nach Rache. Dann wird jedes »Like« vielfach zurückverlangt, während die Haut des Delinquenten in Streifen vom Leib gezogen und gegrillt wird.
Der Preis des Ruhms ist in kurzlebigen Zeiten höher denn je. Die (ab)schreibende Stewardess hat ihn gezahlt und könnte nun ein Buch darüber schreiben.
Mail to: frieling@aol.com
Starker Tobak zum Nachdenken. Schon mein alter Deutschlehrer pflegte immer zu sagen: „Wenn Kunst von ‚Wollen‘ käme, hieße sie ‚Wunst“!“
Ob sie es tut, das mit dem Schreiben? Wir werden sehen oder lesen oder nicht.
Auf die Kurzlebigkeit und das Wahrhaftige, das in meinen Augen durch dies alles verstärkt wird! Aber darauf muss jeder erstmal selbst kommen.
Kunst hat doch leider heutzutage längst nicht mehr mit „Können“ zu tun. Die Kunst war es doch eher, mit diesen Plagiaten überhauuupt so lange durchzukommen…..
🙂
Hey erfolgsverwöhnter Steinbeisser,
selten kommt der Erfolg aus dem nichts. Das beste Beispiel ist für mich der Friedhofsgärtner im Steinbruch der Wortfetzen, der selbst an heiligen Arbeiter-Feiertagen rauschhafte Rezessionen, spannende Kolumnen oder lustige Blogs mit leben erfüllt. Na dann – feire noch schön!
(… „Holzverlag“ ist cool… muss ich mir merken…)
(… ich meine ja nur…)
Als Stewardess wollte sie höher steigen, als der Pilot fliegen konnte, da war ein Sturzflug mit Bruchlandung vorprogrammiert. Die Passagiere waren die Verlage und die Bussi Bussi Leser… soll ich jetzt weinen oder gar fremdschämen? Vielleicht liegt es heute an die falschen Vorbilder (Minister a.D. et.al), dass alles was heute möglich ist, auch versucht wird, ohne Skrupel oder Gewissen. Willkommen in eine unflektierte Bussi, Bussi Gesellschaft.
gefälscht wird am laufenden band, sprich minister(In) oder früher die zeitungsjournaille stürzte sich auf die Führertagebücher (nur um ein bißchen ruhm und kohle zu erhaschen, den bildfälschern sei ja noch einigermaßen respekt gezollt, die müssen soo viel mehr wissen: die zeit des künstler, der eine kopie bekommen soll, die materialien(wo bekomme ich die her, die farben, die leinwände, die passenden rahmen, der alterungsprozess….) aber das schreibseln aus 10 büchern ein elftes machen ist mit den heutigen mitteln so einfach…
Wer hoch steigt, kann tief fallen. Das gilt nicht erst seit gestern. Allerdings ist es doch erstaunlich, wie viel die Fans verzeihen, denn Martina ist wieder mitten drin im Geschäft. Jetzt gerkelt sie sich selbst.
‚wie viel die Fans verzeihen‘. Das finde ich auch ganz erstaunlich. Hätte ich so ehrlich gesagt nicht erwartet.