Wir reisen nach Hamburg zum Tor der Welt. Aber wir besuchen nicht den Hafen, obwohl das einer der Lieblingsorte unseres Gastgebers ist, sondern in die Nähe des Flughafens. Und es entsteht ein kleiner Bruch, aber vielleicht gehört auch das zur Weihnacht, dass es so viele Unterschiede gibt.
1. Wo bist du aufgewachsen und wie habt ihr dort Weihnachten gefeiert?
Ich bin in Hamburg geboren und dort zwischen Flughafen, Gefängnis, Alster und Friedhof aufgewachsen. Unsere Weihnachtsfeiern haben sich – soweit ich mich erinnere – im Laufe der Jahre verändert, nur eines ist fast immer gleich geblieben. Als wir sehr klein waren, wurde der Baum von unseren Eltern an Heiligabend geschmückt, während wir in unserem Zimmer warten mussten. Ich weiß gar nicht, ob ich mich richtig daran erinnere, denn meine Eltern hatten beide Berufe, bei denen man an diesem Tag vormittags noch arbeiten musste. Meine Mutter war Blumenbinderin, mein Vater Filialleiter in einer Schlachterei. Aber für die zweite Wohnung, in die wir nach der Einschulung gezogen waren, erinnere ich diese verschlossene Tür. Aus der ersten Wohnung erinnere ich mich nur an den Wohnflur mit riesigem Podest vor dem Fenster, auf dem der Tannenbaum stand. Nicht, wann er geschmückt wurde. Ich erinnere mich, dass der Weihnachtsmann den Mantel meiner Oma trug und ich in einem Jahr tatsächlich eine Rute geschenkt bekam, weil ich immer so ein „obsternatsches“ (oder jähzorniges) Kind war.
Ich weiß zum Beispiel nicht mehr, ob wir Gedichte aufsagen mussten, später mussten wir aber Weihnachtslieder auf dem Akkordeon spielen, wie es hieß, zur Freude unserer Oma, aber ob die sich wirklich gefreut hat, weiß ich nicht. Es liefen immer die Weihnachtslieder im Radio, manchmal eine Schallplatte mit Weihnachtsliedern von Heintje, die uns Kinder fragte, warum wir nicht so tolle Kinder waren, die ihren Eltern Freude machten, manchmal auch Nana Mouskouri oder Mireille Mathieu.
Solange der Weihnachtsmann die Geschenke brachte, tat er das vor dem Essen, als später die Geschenke persönlich übergeben wurden, fand die Bescherung nach den Essen statt.
Erst Jahre später nach der Konfirmation hatten wir uns alle für den christlichen Glauben entschieden und gingen sowohl am Nachmittag als auch gegen Mitternacht in den Gottesdienst, oft auch, weil irgendeiner von uns eine Aufgabe übernommen hatte – etwa beim Krippenspiel oder bei der Lesung der Weihnachtsgeschichte oder im Chor.
Den zweiten Weihnachtstag haben wir dann mit den Geschwistern und Eltern meines Vaters und mit deren Kindern gefeiert. Da kam, wenn ich mich richtig erinnere, nie ein Weihnachtsmann, sondern es war von Beginn an klar, wer die Geschenke brachte. Dieser Tag lief nie ohne politische Diskussionen ab. Wir waren die einzigen Linken im CDU-Umfeld. Aber irgendwie freuten wir uns auch immer auf diese Auseinandersetzungen.
Zweimal gab es bei uns Blinddarmentzündungen zum Weihnachtsfest. Als wir noch Kindergartenkinder waren, hatte meine Mutter eine, ich kann mich aber nicht mehr erinnern, ob sie zu den Tagen noch im Krankenhaus war.
Mit 8 Jahren hat es dann mich erwischt. Und da der Blinddarm schon drei Tage durchgebrochen war, als ich ins Krankenhaus kam, musste ich 6 1/2 Wochen dort bleiben – auch die Weihnachtstage. Und obwohl er schon entsetzlich nadelte, sorgte meine Oma dafür, dass der Tannenbaum bis zum 18. Januar stehen blieb, zwei Tage nach meiner Entlassung.
2. Gab es Rituale für den Heiligabend und den ersten und zweiten Weihnachtstag?
Der Karpfen war durchaus so ein Ritual, wenn es andere gegeben hat, erinnere ich mich nicht daran. Es gab Regelmäßigkeiten. Zum Beispiel sind wir mit dem Kaffee oder dem Dessert immer vom Ess- ins Wohnzimmer gewechselt, als begönne erst damit der gemütliche Teil. Auch die Kerzen (meistens echte) wurden erst dann angezündet.
Später gab es das Ritual, dass wir mit den anderen Jugendlichen aus der Kirchengemeinde nach dem Mitternachtsgottesdienst zusammen bis in den Morgen bei einem von uns Weihnachten gefeiert und dort auch übernachtet haben. Das ist eine meiner tollsten Weihnachtserinnerungen.
3. Was habt ihr gegessen? Hast du ein Rezept für uns?
Bis auf ganz wenige Ausnahmen gab es beim Essen eine strikte Teilung am Tisch. Die Frauen und mein Vater aßen „Karpfen blau“, mein Onkel und wir Fondue. Und noch heute wundere ich mich darüber, dass man sich am Karpfen länger genussvoll aufhalten kann als beim Fondue.
Für „Karpfen blau“ gibt es sicher viele Rezepte im Internet. Ich habe keines, ich weiß auch nicht, wie meine Mutter ihn immer gemacht hat. Ich mochte ihn als Kind nicht und mag ihn heute immer noch nicht. Und je häufiger mir jemand beim Schlürfen genussvoll vorseufzt, dass ich gar nicht wisse, was mir entginge, umso grässlicher wird er für mich.
Heutzutage gibt es aber den Karpfen nicht mehr. Meistens bin ich Heiligabend mit meiner Mutter bei meinem Onkel und dessen leider sehr kranker Frau und es gibt etwas Einfaches. Gulasch- oder Ochsenschwanzsuppe zum Beispiel. Letztes Jahr gab es eine Tomatensuppe mit in Gin eingelegten Cherrytomaten.
Am ersten Weihnachtstag sind wir dann entweder bei der Familie meines jüngeren Bruders oder er bei uns. Es gibt Rinderfilet oder einen anderen Braten, im letzten Jahr Pašticada, Rotkohl und Rosenkohl, Spätzle und Kartoffeln (im letzten Jahr natürlich Gnocchi statt der Spätzle).
Dazu wird ein Rinderschmorbraten mit Speck und Nelken gespickt und 3 Tage in einer Mischung aus Rotwein und Rotweinessig, gwürzt mit einem Lorbeerblatt, Piment, Knoblauchzehen, Salz Paprika und Pfeffer eingelegt.
Der Sud wird in einer Schüssel aufgefangen, der Braten abgetrocknet. Zwiebeln, Suppengemüse, Fleischtomaten, ein paar Datteln, Oliven und Backpflaumen werden in einem großen Schmortopf angeröstet, der Braten von allen Seiten angebraten und dann auf das Gemüse gelegt. Den Sud erst in die heiße Pfanne gießen, von dort mit den Röststoffen über das Fleisch in den Schmortopf, in dem es auf geringster Stufe 3 bis 3 1/2 Stunden köcheln darf. Zum Schluss wird das Gemüse durch ein Sieb passiert, das Fleich in Scheiben geschnitten in diese Soße gelegt und noch ein paar weitere halbierte Backpflaumen dazu getan.
4. Welche Rolle spielten Geschichten oder die Weihnachtsgeschichte?
Ich erinnere mich tatsächlich nicht daran, ob sie überhaupt eine Rolle spielte, solange wir klein waren. Später spielte sie natürlich eine große Rolle, auch wenn wir sie uns zwischen den Gottesdiensten zuhause nicht auch noch mal vorgelesen haben.
5. Welche Rituale hast du in dein Erwachsenenleben übernommen?
Keine. Ich schmücke zwar meine Wohnung mit ein paar Kleinigkeiten, einem Adventsstern und vielen Kerzen, habe aber keinen Baum.
6. Welche Bücher verschenkst du zu Weihnachten?
Ach, eigentlich müsste ich hier so viele Bücher nennen, die es Wert wären, sie zu verschenken, aber ich muss leider gestehen, so viele kann ich nicht verschenken. Ich darf nicht zu viel verraten, aber es wird eines von Elsa Rieger dazwischen sein, eine Märchenerzählung von Katharina Gerlach, es wird ein Buch von Meir Shalev dabei sein und unsere Anthologie wird auch verschenkt.