Von pfiffigen Mädchen und Qindies Star auf der LBM 15: Selma J. Spieweg im Qinterview

Qinterview 3Wann immer wir für Qindie eine Grafik brauchen, wird der Ruf nach ihr laut. Ihrer Arbeit verdankt Qindie das Gesicht. Aber sie kann noch viel mehr. Ihre Geschichten sind so wunderbar wie die Titelbilder, die sie für viele Bücher entwirft. Ihre Illustrationen berühren und bei all den Linoldrucken, Stempeln und übergroßen Pappmascheefiguren aus ihrer Werkstatt könnte man den Eindruck bekommen, ihr Tag hat mehr Stunden als gewöhnliche Tage. Dabei hält sie es wohl einfach nur nicht aus, nicht kreativ sein zu dürfen. Auf fast allen Bildern von der Leipziger Buchmesse des letzten Jahres ist ihr Boris zu sehen, der am Stand von Qindie alle überragte.
Beim Qinterview ließ sie aber leider auf sich warten.

 

Ort: geheimes Qindie-Hauptquartier, vergoldete Türklinken, Bernsteinzimmer. Das Übliche halt.

Der Interviewer wartet auf die Ankunft der Autorin. Zwei Personen betreten den Raum, ein kleines, schmutziges Mädchen in einem viel zu großen Mantel und ein grimmig dreinblickender Soldat, von dessen mechanischen, rechten Arm ein blaues Leuchten ausgeht.

Qindie (Interviewer): Entschuldigung, Sie können hier nicht einfach …

Boris (der Soldat): Selma kann nicht. Raum-Zeit-Kontinuum ist kaputt.

Olga (das Mädchen): Aber dafür sind wir gekommen, ja? Wir beantworten deine Fragen. Ist viel besser. Selma ist fast so schlimm wie Boris, sie redet auch nicht viel.

Qindie: Das war nicht abgesprochen …

Boris: (Zieht missbilligend die Augenbrauen zusammen.)

Qindie: Äh, natürlich, gar kein Problem. Bringen wir es schnell hinter uns. Also, erste Frage: Wer seid ihr? Und was …

Olga: Wir sind ihre Hauptfiguren. Wir sind sogar ihre Ober–Über-Hauptfiguren …

Boris (vor sich hinmurmelnd): Habe ich befürchtet.

Olga: … das ist Boris, er war mal Soldat und ich bin Olga.

Qindie: … und was hat eure Autorin bewogen, ihre Bücher selbst zu veröffentlichen?

Olga (zuckt mit den Schultern, schaut Boris an).

Boris (knirscht mit den Zähnen): Wahrscheinlich ist sie auch eine Anarchistin. (drohend) War es das jetzt mit dem Verhör? Können wir endlich gehen?

Qindie: Äh … fast. Wer sind eure ersten Testleser und warum dürfen gerade die über euch zuerst lesen?

Boris: Ihre Eltern. Weil sie LESEN können.

Olga (flüsternd zu Boris): Da, wo Selma herkommt, können alle lesen.

Boris: Wirklich? ALLE?

Olga: Hat Selma zumindest behauptet. Und ihre Eltern dürfen uns wahrscheinlich zuerst lesen, weil Eltern ja immer die schärfsten Kritiker ihrer Kinder sind.

Qindie (schaut sehr zweifelnd).

Olga (sieht den Interviewer erstaunt an): Was denn? Ist doch so. Und außerdem wollen ihre Eltern immer wissen, wie es weitergeht.

Qindie: Lassen wir das. Die nächste Frage stammt von einer Leserin.

Leserstimme (aus dem Off): Wurde Selma schon einmal von einem Fan zu einer Idee inspiriert?

Boris (schaut sich alarmiert um): Ich höre Stimmen. Schon wieder.

Olga: Natürlich. Besonders aus einer Leserunde auf leserunden.de hat sie sehr viele Anregungen bekommen.

Qindie: Die folgende Frage wurde von einer weiteren Leserin gestellt.

Boris (gekränkt): Warum können die alle lesen?

Leserstimme (aus dem Off): Kommt es vor, dass die Figuren etwas anderes tun oder sagen, als die Autorin geplant hat?

Boris: Ich mache nie, was Stimmen mir sagen. Schließlich weiß ich, dass sie nicht echt sind. Ich bin verrückt, aber kein Idiot.

Olga: Ich mache IMMER, was ich will. Wir haben eine Abmachung mit Selma, sie sorgt für die Bühne, also Landschaft, Berge, Schnee, Maschinen und so was – und Boris und ich machen dann damit, was wir wollen. Selma versucht gar nicht erst, uns da reinzureden. Allerdings sorgt sie viel zu selten für heiße Schokolade. Die mag ich am liebsten, weißt du?

Qindie: Was macht eure Autorin, wenn sie nicht schreibt?

Olga (kichert): Sie zeichnet uns. Oder macht und aus Pappmaschee. Aktualisiert unsere Webseite. Verteilt Flyer. Modelliert unser Buch aus Ton, macht eine Silikonform davon und und gießt es aus Beton. Wir halten sie ganz schön auf Trab. Wenn sie Freizeit haben will, muss sie immer das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Den Rest der Zeit muss sie Geldverdienen. Oder es zumindest versuchen. Darum strengen Boris und ich uns an, ganz, ganz berühmt zu werden …

Boris: (unterbricht Olga): Ich will nicht berühmt werden. Ich will nach Sibirien und von der Welt vergessen werden.

Qindie: Nun wieder eine Leserfrage.

Leserstimme (aus dem Off): Wenn eure Autorin ein Buch liest, macht sie das als Privatperson, oder liest die Autorin in ihr?

Boris (verzweifelt): Hört das mit den Stimmen denn nie auf?

Olga: Rundrum gute Bücher liest sie als Privatperson. Die Autorin kommt erst durch, wenn gehäuft erzählerische Mängel auftauchen.

Qindie: Welche Kritik hat Selma am meisten geärgert?

Boris: Ich mag es nicht, wenn man mich einen Idioten nennt. (Sieht den Interviewer warnend an.)

Qindie (hastig): Würde ich mir nie erlauben.

Boris: Besser ist es.

Olga (darum bemüht ernst und würdevoll auszusehen): Also, Boris und ich, wir haben ja nur gute Kritiken bekommen, über die sie sich gefreut hat.

Boris (bekümmert): Wahrscheinlich traut sich nur keiner. Sie sehen mich, den künstlichen Arm, das Monstrum, dass man aus mir gemacht hat, und die Leser beschließen, lieber den Mund zu halten.

Olga: Ach Boris, glaub mir, die mögen dich. (Zum Interviewer gewandt, hinter vorgehaltener Hand) Ihren Roman »Rattenauge« haben einige nicht gemocht, der war ihnen zu verwirrend. Aber geärgert hat sich Selma darüber nicht. Höchstens weil sie es anscheinend nicht geschafft hat, den Klappentext so zu schreiben, dass sie Leser, für die das nichts ist, das Buch gar nicht erst kaufen.

Qindie: Sie hat sich also nie über eine Kritik geärgert?

Olga: Doch, einmal schon. Sie hatte für das Buch einer anderen Autorin als Extra eine Kurzgeschichte beigesteuert. Ein Leser hatte den Stil des gesamten Buches zerrissen und zu ihrer Kurzgeschichte angemerkt, ihr Erzählstil sei katastrophal und hätte das Niveau eines Schüleraufsatzes.

Aber ist doch auch wahr, was soll man als jemand, der sich seit mehr als 30 Jahren mit dem Schreiben beschäftigt, immer an seinem Formulierungen gefeilt hat, mit diesem vernichtenden Urteil anfangen? 30 Jahre Übung, und noch immer »Schüleraufsatz«? Na, dann wird es auch in den nächsten 30 Jahren nicht besser.

Boris: Das ist so, als wenn dir einer sagt, du seist ein Idiot … nur weil du anders bist, als deine Kameraden.

Olga: Zum Glück folgte im nächsten Satz die Vermutung, die Hauptautorin und Selma hätten den gleichen Schreibkurs besucht. Dabei können die Schreibstile gerade dieser Geschichten kaum unterschiedlicher sein, also nichts, was auf einen gemeinsamen Schreibkurs deutet. Weißt du, Selma nimmt schon viele Kritikpunkte an und denkt über sie nach, manchmal ändert sie Sachen, wie bei »Die Erben des Deserteurs«, was machen zu kurz war und manchmal meint sie, die Geschichte ist in Ordnung, so wie sie ist, da passten nur Leser und Buch nicht zusammen.

Qindie: Welche Bücher liest eure Autorin gerne? Welches Genre?

(Boris und Olga wechseln einen Blick)

Boris: Liest sie unsere Bücher gerne?

Olga (kichernd). Ich glaube schon. Aber ich weiß nicht, ob ihr das recht ist, wenn wir das verraten. (Zum Interviewer): Sie liest gerne Bücher, die nicht zu seicht sind, aber dennoch unterhalten wollen. Bücher, die dazu angetan sind, sie immer wieder zu lesen, weil sie vielschichtig sind und es immer eine neue Nuance zu entdecken gibt. Das Genre spielt dabei keine so große Rolle. Was sie nicht mag, sind Splatter-Geschichten, in denen Grausamkeiten in allen Details beschrieben werden. Und Liebesromane mag sie auch nicht.

Boris (verbittert vor sich hinmurmelnd): Das merkt man.

Qindie: Wie darf ich das versehen.

Boris (hebt den Kopf, verengt die Augen zu Schlitzen): Was geht dich das an? Was soll überhaupt diese ganze Fragerei? Für wen spionierst du?

Olga: Boris, das ist ein Interview, da ist das so, da werden Fragen gestellt.

Boris: Kingt für mich nach einem Verhör. Von mir erfährt der nichts.

Olga: (Beugt sich zum Interviewer, flüstert ihm ins Ohr): Boris hätte gerne eine Frau. Ich glaube, er ist verliebt. In Wassilisa, weißt du? Aber Wassilisa ist verheiratet. Also nicht mit ihm. Mit einem anderem.

Qindie: Daraus schließe ich, es kommt gar keine Romantik in ihren Büchern vor?

Boris (brummt)

Qindie: Kein kleines Fitzelchen?

Boris (brummt)

Qindie: Nicht mal ein Kuss?

Boris (brummend, kaum verständlich): Doch.

Qindie: Entschuldigung, könntest du das wiederholen? Ich habe es akustisch nicht verstanden.

Boris (heftig): Das geht nur mich was an! (leiser): Außerdem könnte es ruhig etwas mehr Romantik sein. (Noch leiser): Aber mich fragt ja keiner. (Noch leiser): Niemand interessiert sich dafür, was ich will. (Fast nicht mehr zu hören): Scheiß Schicksal.

Die Tür geht auf. Eine abgehetzt wirkende Frau betritt den Raum, dann fällt ihr Blick auf die Einrichtung, das Blattgold, das Bernsteinzimmer.

Unbekannte Frau: Ah, das Übliche.

Qindie: Darf ich fragen, wer sie sind?

Unbekannte Frau: Wir waren verabredet. Tut mir leid, dass sich zu spät komme, da war ein unheimlich großer Riss im Raum-Zeit-Kontinuum. Keine Ahnung, wo der so plötzlich hergekommen ist. Ich bin Jacqueline.

Qindie: Jacqueline wie in »Schakkeline, komm wech von die Regale, du Arsch«?

Jacqueline (lächelt gequält): Genau. Und das ist der Grund, warum ich unter Pseudonym veröffentliche. Können wir mit dem Interview beginnen?

Boris (starrt Jacqueline mit weit aufgerissenen Augen an, fragt Olga flüsternd): Das ist unsere Autorin?

Qindie: Wir sind mit dem Interview durch.

Olga (flüstert zurück): Ja, das ist unsere Autorin. Frag sie doch, ob sie im dritten Band nicht ein paar romantische Szenen für dich einbauen kann.

Qindie: Es sind eigentlich nur noch zwei Fragen. Die eine, was ist dein nächstes Projekt?

Jacqueline: Ich arbeite zurzeit am dritten Band meiner »Boris und Olga«-Serie aus dem Colckwork Cologne-Universum.

Qindie: Und als Letztes: Wo findet man dich im Internet?

Jacqueline: Meine Webseite heißt jspieweg.de. Über jspieweg.de/boris kommt man direkt zur »Boris und Olga«-Serie. Dort findet man auch eine Bildergalerie. Unter jspieweg.de/Alexej steht alles über meine Krimiserie …

Qindie: Vielen Dank. Das reicht.

Jacqueline: jspieweg.de/cover ist für Autoren interessant. Ich bin Grafikerin von Beruf und …

Qindie: Ja. Danke. Wir haben es kapiert.

Jacqueline: statt jspieweg.de geht auch farbraum4.de …

Qindie (nachdrüchlich): DANKE! (Murmelnd) Hat nicht jemand gesagt, die redet nicht viel?

Jacqueline: Gern geschehen, nichts zu danken. Ich habe auch eine Autorenseite auf Facebook. www.facebook.com/SelmaSpieweg/. Da poste ich alle Neuigkeiten und Bilder. Wer auf dem Laufenden bleiben will …

Qindie: Ich bedanke mich für das Interview. Findest du selbst hinaus? Ich habe hier gleich das nächste Interview und vorher muss noch durchgewischt werden, Blattgold erneuert. Das Übliche halt.

Jacqueline: Natürlich. Bis bald.

Jacqueline verlässt das Bernsteinzimmer. Boris und Olga folgen ihr. Im Gehen knufft Olga Boris in die Seite.

Olga: Na los, Boris. Nun frag sie schon.

About Florian Tietgen

... trat 1959 als jüngerer Zwilling seinen Bruder auf die Welt, bevor der Arzt entsetzt rief: "Huch da kommt ja noch einer." Seitdem verstecke ich mich erfolgreich in unterschiedlichen Berufen und habe seit 2003 verschiedene Geschichten und Bücher veröffentlicht. Vorwiegend schreibe ich für Jugendliche und Gesellschaftsromane.

3 Replies to “Von pfiffigen Mädchen und Qindies Star auf der LBM 15: Selma J. Spieweg im Qinterview”

  1. Mona

    Was für ein schönes Interview 🙂
    Ich kenne die beiden ja schon aus den ersten beiden Bänden und muss sagen, ihre Rollen sind sehr gut getroffen!

  2. Sabine

    Habe mich selten bei einem Interview so gut amüsiert.
    Und bin sehr froh, dass es mit Olga und Boris weiter geht.