Die alljährliche Zeit der Ankunft naht, der letzte Monat des Jahres beginnt bald und um es wie bei einem Boxkampf, an- und auszuzählen, gibt es jetzt überall wieder Jahresendkalender.
Und auch bei Qindie erzählen wir jeden Tag eine Geschichte oder bieten ein Buch zum Download an.
Gesammelt und koordiniert hat das Nike Mangold, die selbst erst in diesem Jahr bei Qindie angekommen ist. Das, so dachten wir, ist ein guter Grund, sie näher kennenzulernen.
1. Wer bist du und was machst du in puncto Self-Publishing?
Mein Name ist Nike Mangold, und ich bin Autorin (Prinzessinnen stehlen nicht, Die Orangerie).
2. Was hat dich dazu bewogen, deine Bücher selbst zu veröffentlichen?
Wenn ich selbst veröffentliche, habe ich die Kontrolle über alles und vor allem bleibt nicht ein Großteil des Verkaufspreises bei Handel, Großhandel und Verlag hängen. Ich bin selbst eine Vielleserin, und mein Buchbudget ist immer zu klein. Früher habe ich stapelweise Bücher auf Flohmärkten erstanden und bin in die Bibliothek gepilgert. Dann habe ich booklooker.de entdeckt (einen Marktplatz für gebrauchte Bücher). Und seit fünf Jahren besitze ich einen eBook-Reader und tätige wieder mehr Spontankäufe. Ich denke mir dann immer: Hey, das ist nur der Preis von einer Schachtel Zigaretten, und ich rauche ja nicht. eBooks sind überhaupt die Erfindung des Jahrtausends für mich.
3. Wie sind deine bisherigen Erfahrungen mit Self-Publishing?
Ich liebe den abwechslungsreichen Zyklus von Schreiben, Überarbeiten, Cover gestalten, Veröffentlichen und dem nägelkauenden Warten auf Leserreaktionen und Verkaufsstatistiken.
4. Was findest du beim Self-Publishing problematisch?
Am Cover könnte ich ewig herumbasteln. Gerade hat eine Leserin geschrieben, mein letztes Buch halte „zum Glück nicht, was das Cover verspricht“. Bei einem Gewinnspiel auf Facebook fanden Leser das Cover dagegen „toll“ und „sehr schön“ . Oder wollten die sich nur im Lostopf nach oben schmeicheln?
5. Was erscheint dir nützlich, um das Problem zu beheben?
Vielleicht sollte ich vor der Veröffentlichung eine Umfrage machen.
6. Wieso tust du dir die Härten des Selbstverlegers freiwillig an? (Leserfrage)
Ach, bei der Recherche zu meinem letzten Buch habe ich herausgefunden, dass vor gut hundert Jahren Zehntausende Hamburger in winzigen, dunklen Verschlägen ohne fließendes Wasser und ein eigenes Bett wohnten. Dafür hatten sie Ratten und Kakerlaken. Meine Protagonistin findet irgendwann die akribisch genaue Zeichnung einer Pflanze, und stellt sich vor, dass solch ein Kunstwerk nur jemand machen kann, der in einem warmen Zimmer mit gefülltem Magen an einem Tisch sitzt und sich um nichts sorgen muss. Daran denke ich, wenn ich in Jammerstimmung gerate.
7. Wer sind deine ersten Testleser? Und warum dürfen gerade diese Leser deine Worte zuerst genießen?
Meine Testleser sind sehr unterschiedlich. Einen interessiert nur die Story, eine andere achtet mehr auf den Stil, und einer lacht an Stellen, die ich überhaupt nicht als lustig eingeplant hatte. Sie ergänzen sich also gut.
8. Hat dich schon einmal ein Treffen mit einem Fan zu einer Idee inspiriert? (Leserfrage)
Jeden Tag inspirieren mich Menschen. Im positiven und im negativen Sinn tun Leute ständig Dinge, die ich mir beim besten Willen nicht hätte ausdenken können.
9. Kommt es vor, dass Figuren etwas anderes tun oder sagen, als du geplant hast? (Leserfrage)
Na klar, aber wenn es gar nicht in meinen Plan passt, müssen wir uns noch mal unterhalten, denn die Chefin bin ich.
10. Wie hat sich dein Alltag durch das Schreiben verändert?
Ich sehe weniger fern und spiele weniger am Computer.
11. Was machst du, wenn du nicht schreibst?
Reisen, Geld mit Auftragsarbeiten verdienen und dabei ständig ans Schreiben denken.
12. Wie bist du zum Schreiben gekommen? Durch wen oder was?
Hm, gute Frage, über die habe ich lange nachgedacht. Mein erster Kontakt zu Büchern war in der Schule, weil ich dort lesen gelernt habe. Im Deutschunterricht haben wir Bücher besprochen, und ich habe dabei den Eindruck gewonnen, dass es feste Regeln für das Schreiben und auch das Lesen gibt. So und so hat der Autor das gemacht, dies will er uns damit sagen, und jenes sollen wir denken. Das Lesen hatte dabei ungefähr den Spaßfaktor von einem feinen Essen bei der Großtante.
Aber irgendwann habe ich Bücher entdeckt, die wilder waren und mich direkt ansprachen. Die habe ich gelesen wie im Rausch, und sie ließen mich glücklich zurück, weil ich verstanden hatte, dass in der Kunst alles erlaubt ist. Anarchie! Als Erwachsene mochte ich dann besonders die frühen Kurzgeschichten von T. C. Boyle, in denen probiert er viel aus, und es wird einem nie langweilig.
13. Was liebst du am Schreiben? Was magst du nicht so sehr?
Das Erschaffen neuer Welten mag ich besonders, ich spaziere gerne durch sie hindurch wie durch eine Kulisse. Manchmal muss ich mich zu Disziplin zwingen, um ein stabiles Handlungsgerüst aufzubauen. Schließlich bietet einem die Fantasie ständig unzählige Möglichkeiten an, zwischen denen man sich entscheiden muss. Leider kann man nicht jeder Idee folgen. Ich plane im Vorfeld genau, weil ich mich sonst verliere. Beim Schreiben selbst läuft es dann wieder besser. Wenn mir in dieser Phase unwiderstehliche Einfälle kommen, notiere ich sie einfach für die nächsten Bücher.
14. Wie geht deine bessere Hälfte/Familie mit deinem „Schreibwahn“ um?
Ich verstecke meinen Wahn. Mein größtes Vergnügen ist das heimliche Schreiben. Dabei stehle mich nur mal eben kurz an den Computer und tippe eine Szene weg. Wenn ich dann von fern höre „Was machst du? Schreibst du gerade?“ springe ich auf wie jemand, der beim Pornoschauen erwischt wurde. Dieses Versteckspiel bereitet mir kindische Freude. Ich drifte oft auch in anderen Situationen in den Schriftstellermodus und formuliere Sätze, während ich so tue, als ob ich einer langweiligen Rede lausche oder in einer Warteschlange stehe. Meine Mitmenschen denken dann, ich bin eine Meisterin der Gelassenheit, dabei bin ich nur einfach geistig nicht da.
15. Was liest du gern? Welches Genre? Gibt es einen speziellen Autor? (Leserfrage)
Ich lese quer durch die Bank, aber es gibt einige Autoren, von denen ich alles lese, was herauskommt, z. B. T.C. Boyle, John Irving, Milena Moser, Zadie Smith und Dave Eggers.
16. Wenn du als Autor ein Buch liest, machst du es hundertprozentig als Privatperson oder liest der Autor in dir? (Leserfrage)
Das mache ich als Privatperson, schließlich will ich mich verzaubern lassen. Oft versuche ich aber nach dem Lesen zu analysieren, wie der Autor technisch vorgegangen ist.
17. Welches Buch hättest du gerne selber geschrieben?
„Just Kids: Die Geschichte einer Freundschaft“ von Patti Smith. Und zwar hätte ich nicht nur gern das Buch geschrieben, sondern auch all das erlebt, was sie erlebt hat, und die Menschen getroffen.
18. Welche Kritik hat dich am meisten gefreut oder geärgert?
Gefreut hat mich gerade kürzlich die Kritik einer Bloggerin: „gehört definitiv zu meinen Indie-Highlights des Jahres“. Ärgern will ich mich nicht, darum lasse ich es einfach. Quatsch, so gelassen bin ich dann doch wieder nicht. Mich ärgern manchmal Kritiker, die Selfpublisher pauschal in die Kommt-bei-keinem-Verlag-unter-Ecke einsortieren und belächeln. Aber da hat sich in den letzten Jahren schon viel zum Positiven verändert.
19. Was wird dein nächstes Projekt?
Ich schreibe an einer Detektiv-Serie für Leser, die keine Detektive mögen. Die Hauptfigur, Babajaga, ist eine alternde Punkerin und verachtete das Herumschnüffeln, aber irgendwie muss ja Geld reinkommen. Taktische Ermittlungen und dezentes Beschatten sind nicht ihr Ding. Warum unauffällig ermitteln, wenn es auch einfach geht? Mit Dreistigkeit und Null-Bock-Attitüde löst sie ihre Fälle nebenbei. Was sie eigentlich interessiert: Was machen ihre ehemaligen Mithäftlinge aus dem Jugendknast heute? Und warum ist der Wärter mit den subversiven Tendenzen spurlos verschwunden?
Die Leser sollen Berlin von einer bisher unbekannten Seite kennenlernen.
20. Wo findet man dich im Internet?
Auf meinem Blog oder bei Facebook.
Wir danken dir für das Interview Nike und wünschen dir und allen Lesern eine wunderschöne Adventszeit.
(Oh, jetzt habe ich das Wort doch geschrieben)