Blättlein füll dich und Wörter aus dem Sack

Kolumne In FlagrantiWas? Rezensenten? Bloggeralltag #7

Von Jack T.R. und Tilly Jones

 

Warum auch Rezensenten in einen hohen Musenturm gesperrt werden müssen, aus dem nichts, aber auch rein gar nichts heraus dringt.

 

 

Das Rezensenten-Mysterium, ein Märchen aus Tausendundvier Wörtern. Durchdrungen von Hass und Liebe. Der ewige Kampf um den richtigen Gedankengang. Na gut, das ist vielleicht etwas aufgebauscht, aber so sind Märchen und Legenden nun mal.

Ich will euch heute eine Geschichte erzählen. Setzt euch zu mir, seid still und lauscht meinen Worten, die seit langem niemand mehr gehört hat …

Einst zogen zwei aus, das Rezensieren zu lernen. Mit nichts als gutem Willen in ihren Rucksäcken und Schreibknüppeln in den Händen, stellten sie sich den Gefahren des großen, dunklen Bücherwaldes. Es hieß, dass noch niemand aus diesem Wald wieder herausgekommen war, selbst heute noch verirren sich ahnungslose Lesereisende darin und sind für immer verloren. Niemand geht freiwillig hinein. Die Menschen werden gelockt, verführt von wohlklingenden Worten, von Bildern, die sich in ihren Köpfen bilden.

Auch die zwei Mutigen hier standen am Rand des Waldes und spürten die ersten Zweifel. Die Realität zerrte an ihnen, aber die Buchgespenster waren stärker, und ehe die Zwei sich umentscheiden konnten, waren sie zwischen den dicken Seiten des Buchwaldes verloren. Verschollen und unrettbar in der Welt der gedruckten Buchstaben versunken. Nichts und niemand konnte sie nunmehr retten. Nichts und niemand hätte sie je wieder aus diesem Gefängnis der Tausendundvier Worte befreien können.

Sie liefen durch den Wald, umschwirrt von Figurenvögeln. Riesige Weltenraupen kreuzten ihren Weg und umgarnten sie mit fantastischen Bildern von fremden Gegenden. Die zwei mutigen Frischlingsrezensenten liefen, rannten und schwebten durch die raschelnden Blattseiten, erhoben sich in fremde Höhen, stürzten in tiefe Gräben und erlebten ein Abenteuer nach dem nächsten.

Aber in diesem Wald ist nicht alles eitel Sonnenschein. Es gibt Legenden von nur knapp bestandenen Prüfungen durch böse Feen, Narben von scharfen Wolfszähnen und Flüge auf großen Adlern, bei denen sie sich gerade so vor einem Absturz retten konnten. Von Feuerproben und den Kampf gegen den Wind von Westen.

Es war nicht alles schlecht, oh nein. Neue Freunde wurden gefunden, man unterhielt sich mit Riesen, mit verloren gegangenen Cowboys, tauschte Erfahrungen aus und das wichtigste: Man lernte voneinander.

Nun ging es eine ganze Weile so weiter, und glaubt mir, wenn ich euch sage, dass sie Spaß hatten. Den Zweien gefiel es im verbotenen Bücherwald sogar so gut, dass sie nach einigen Jahren des Umherziehens beschlossen, sich im Herzen der Geschichtsstämme niederzulassen. Sie hatten begriffen, dass die umherfliegenden Geschichten nicht freiwillig im Bücherwald hausten. Sie wollten raus, wollten mehr Menschen ihre Abenteuer ins Ohr flüstern, aber alleine konnten sie das nicht. Sie schafften den Sprung über die unsichtbare Grenze des Unglaubens nicht.

Das tat unseren Abenteurern sehr leid, denn sie hatten all die wilden und unzähmbaren Worte in ihr Leserherz geschlossen. Ihre eigentliche Mission vergaßen sie nie, und deswegen setzten sich die beiden eines schönen Tages hin und fingen damit an, ihre Gefühle und Eindrücke über die wunderbar lieblichen Buchstaben aufzuschreiben. Sie nahmen sie alle auf: Trolle, Gnome, Drachen, Hexen, Geliebte und Zauberer. Sogar Zombies und Mörder fanden bei ihnen ein Heim, in dem sie akzeptiert wurden. Die Zwei betrachteten sogar das Ende der Welt in seinen zahlreichen Facetten, ohne dem Unglauben anheim zu fallen. Sie erkannten die Geschichten an als das, was sie nun mal waren: Eine Auslegung von Möglichkeiten, eine andere Realität, genauso unwahr oder wahr wie alles andere, was sie erlebten.

Nun saßen sie in ihrem kleinen Häuschen mitten im Wald. Tranken Tee mit einem kleinen Mädchen, das ständig seine rote Kappe bei ihnen vergaß, oder aßen mit Vampiren zu Abend. Sie diskutierten mit Hasen über keinen Sex und planten eine Reise, die am 13. Tag starten sollte. Einmal flog einer von beiden mit der Wolkenkönigin, während der andere sich in Scherben und Narben fast verlaufen hätte. Ihr seht, unseren beiden Mutigen wurde es nie langweilig, denn die Abenteuer klopften täglich an ihre Tür, waren mannigfaltig und reizten sie immer wieder aufs Neue.

Nun war es aber so, dass unsere zwei Rezensenten immer fleißig ihre Gefühle aufschrieben. Die Geschichten wollten alle wissen, was von ihnen gehalten wurde. Waren sie wirklich so grandios? Konnten sie den Sprung über die unsichtbare Grenze des Unglaubens wagen und sich der Welt der Blinden und Tauben stellen, um von ihnen gesehen und gehört zu werden?

Die beiden Rezensenten gaben wirklich alles, sie schrieben sich die Finger blutig, saugten sich gegenseitig all ihre Gefühle über die geschriebenen Buchstaben aus dem Herzen und dann passierte das, was passieren musste: Sie schrieben nichts mehr. Sie konnten nicht. All die Beschreibungen der Eindrücke waren dunkel und fad, die Worte glichen sich. Irgendwann wollte nichts mehr herauskommen. So sehr sie sich auch anstrengten, kein Wort fand seinen Weg in die Welt der Ungläubigen. Und was taten die riesigen Weltenraupen? Sie entwarfen weiterhin grandiose Welten, die Buchstabenvögel schwirrten um die Rezensentenköpfe.

Unsere zwei Buchstabenhelden wurden immer verzweifelter, denn sie liebten ihre Arbeit.

Schließlich zogen sie aus und suchten nach einer Legende unter den Legenden: den Musenturm der Rezensenten. Ein wahrlich großes Unterfangen für zwei so kleine, unwissende Menschlein, das kann ich euch sagen. Die Reise war beschwerlich, voller Entbehrungen, und ohne die Hilfe von ihren Freunden, die sich ihnen anschlossen, hätten sie diese wohl auch nie abschließen können.

Letztendlich kamen sie aber zu dem Musenturm. Versteckt hinter Satzgitterranken, getarnt durch kurze Glitzergeschichten und mitten im dunkelsten Teil der grausigsten Monster, die ihr euch vorstellen könnt, stand er: der Turm ohne Tür. Ein Turm, wie ihn noch niemand zuvor gesehen hatte. Er war so hoch, dass seine Spitze die Sonne kitzelte, und so tief, dass im Winter nie geheizt werden musste, denn die Wärme kam aus der Erde herauf. Seine Mauern schimmerten im Licht, schwarzgoldene Blattseiten umrankten die Jahrhunderte alten Steine und lockten kleine Buchstabenschmetterlinge an. Alle Fenster standen offen, und aus ihnen flogen Sätze, so wunderbar melodisch, dass es unseren zwei Mutigen die Tränen in die Augen trieb. Ihre Freunde, die sie begleiteten, wunderten sich, denn sie vernahmen rein gar nichts. Sie sahen eine eingefallene Turmruine und machten sich Sorgen. Aber die zwei Rezensenten wussten, dass sie an ihrem Ziel angekommen waren.

Sie umkreisten den Musenturm, fanden aber keinen Eingang, denn der Turm ist ein Turm ohne Ein- oder Ausgang. Man muss sich den Einlass verdienen. Schlechte Beschreibungen, fehlende Begeisterung und immer gleiche Gefühle waren das Blutgeld, das bezahlt werden musste. Die Zwei gaben alles und die Steine saugten ihre Verfehlungen auf. Neben dem Turm lauerte das Feuer, jederzeit bereit einzugreifen um die Eindringlinge zu verbrennen, wenn sie die Prüfung nicht bestanden. Der Feuermann, auch Loki genannt, beobachtete sie unentwegt, bis er in einer Feuersbrunst zerbarst.

Es wurde still um den Musenturm. Die Fenster schlugen zu, der Himmel verdunkelte sich, und wie aus dem Nichts erschien ein Seil aus Sätzen und Bildern. Es schlängelte sich aus dem höchsten Fenster nach unten, umschlang die leergeschriebenen Rezensenten und zog sie in das Innerste des Turms.

Der Bücherwald nahm sein Leben wieder auf.

Was im Turm geschah, ist eine andere Geschichte, die ich euch heute leider nicht erzählen kann. Es ist schon so gefährlich genug, euch von diesem Wald und seinen Bewohnern zu berichten.

Lasst euch soviel gesagt sein: Den Rezensenten geht es gut. Sie lebten eine Zeitlang im Musenturm, bevor sie ihn wieder verließen und in ihr geliebtes Häuschen zu den geschätzten Weltenraupen und Figurenvögeln zogen. Die beiden und ihre Freunde hatten gelernt, dass man nichts erzwingen kann und dass auch Rezensenten mal in den Turm gesperrt gehören, in dem sie sich voll und ganz auf sich selbst konzentrieren können. Denn danach ist all die Begeisterung, die die vielen bunten Buchstaben und gewobenen Wörter übermitteln, wieder umsetzbar. Die Geschichten finden ihren Weg über die Grenze des Unglaubens. Die zwei Rezensenten können mit gutem Gewissen all die wunderbaren Gedanken ziehen lassen, sodass sie andere Leser betören und in die Welt des gedruckten Wortes locken. Als Unterstützung dienen den Geschichten nur die Eindrücke und Gefühle der zwei Mutigen.

Ihr lieben Zuhörer, seid gewarnt. Schon an der nächsten Ecke kann euch eine Weltenraupe in den Bücherwald ziehen. Haltet die Augen offen und stürzt euch in ein Abenteuer, das ihr nie wieder vergessen werdet!

Es grüßen

Zwei mutige Rezensenten

 

3 Replies to “Blättlein füll dich und Wörter aus dem Sack”

  1. David Pawn

    There they stood, ranged along the hillsides, met
    To view the last of me, a living Frame
    For one more picture! in a sheet of flame
    I saw them and I knew them all. And yet
    Dauntless the slug-horn to my lips I set,
    And blew „Childe Roland to the Dark Tower came.“