Von Jana Oltersdorff
„Wann hast du angefangen zu schreiben?“
„Wann wusstest du, dass du Autor werden wolltest?“
Diese und ähnliche Fragen sind in Autoreninterviews äußerst beliebt und werden auch von den meisten Autoren mit großer Begeisterung beantwortet – oftmals auf ziemlich ähnlich klingende Weise:
„Ich habe schon immer gern geschrieben.“
„Ich schreibe, seitdem ich gelernt habe, einen Stift zu halten.“
Ja. Sicher. Mal ehrlich: Wer weiß denn schon im Grundschulalter, dass er einmal Schriftsteller werden will? Wer schreibt denn tatsächlich schon seinen ersten Roman, sobald er gelernt hat, „einen Stift zu halten“? Na? Na also.
Tatsächlich habe ich genau diese Floskel, nämlich dass ich ja schon immer gern geschrieben hätte, selbst bereits in mindestens einem Interview mit einer Bloggerin verwendet. Peinlich.
Ich habe mir neulich einmal genauer den Kopf darüber zerbrochen, wann es bei mir „Klick“ gemacht hat. Wann wusste ich, dass ich das mit dem Schreiben ernst meinte? Wann fing ich an zu schreiben?
Fangen wir ganz von vorne an: Ich lernte zu schreiben, als ich sechs Jahre alt war – in der ersten Klasse. Ich war froh, endlich lesen zu können und nicht mehr darauf angewiesen zu sein, mir meine Lieblingsbücher von Mama vorlesen zu lassen. Soweit, so gut. Alles ganz normal. Über das Schreiben von Geschichten hatte ich mir damals null Gedanken gemacht. Ich wollte einfach nur lesen und verschlang alles, was zwischen zwei Buchdeckel gepresst worden war und halbwegs den Eindruck erweckte, spannend oder wenigstens interessant zu sein.
An meinen ersten Schulaufsatz kann ich mich aber noch erinnern. Es ging um drei Freunde, die auf dem Dachboden des großelterlichen Hauses eine Truhe entdeckten und unbedingt herausfinden wollten, was darin aufbewahrt wurde. Harmloser Kinderquatsch. Ich bekam eine Eins mit Sternchen, und immer noch weckte das nicht den Wunsch in mir, eine richtige Autorin zu werden.
Als Teenager schrieb ich Gedichte voller Weltschmerz, Liebesgeschwafel und vermeintlichem Tiefsinn. Ich fand es total cool, behielt meine lyrischen Ergüsse aber für mich. Selbst als ich doch einmal ein Gedicht meiner Deutschlehrerin präsentierte und die davon ganz begeistert war, kam ich nicht auf die Idee, mehr aus meinem angeblichen Talent zu machen. Gedichte schreiben – machten das nicht alle irgendwie?
Und obwohl ich, mittlerweile Anfang 20, damit begann, Fragmente von etwas aufzuschreiben, das sich nach und nach zu einem richtig großen Universum voller fantastischer Gestalten entwickelte, sah ich mich nicht als Autorin. Das waren alles nur Gedankenspiele, Bruchstücke von etwas Größerem, das ich selbst nicht ganz überblicken konnte, und es wurde nie fertig – bis heute nicht.
Erst ein Aufruf zum Wettbewerb für „Hobby-Autoren“ weckte in mir den Ehrgeiz, einmal etwas aufzuschreiben mit dem Ziel, es zu veröffentlichen. Das war 2009, ich war 32 Jahre alt. Wahrscheinlich wäre dieser zarte Funke auch direkt wieder erloschen, hätte ich jenen Wettbewerb nicht gewonnen, wäre ich nicht mit meiner Geschichte in meine allererste Anthologie aufgenommen worden. Erst durch diesen Erfolg, diese offizielle Bestätigung, dass ich das mit dem Schreiben wohl irgendwie konnte, kam ich auf die Idee, mehr daraus zu machen, ernsthaft dranzubleiben.
Da hatte es Klick gemacht, war der Funke übergesprungen, da hatte ich endlich Blut geleckt und wollte mehr.
Bis dahin war alles nur Kritzeln gewesen. Seitdem schreibe ich.
Ich sage auch gern, ich schreibe, seit ich 8 Jahre alt bin. Denn in diesem Alter habe ich tatsächlich meinen ersten Krimi geschrieben. Er war inspiriert von den 5 Freunden, füllte ein komplettes Schulschreibheft (so eines mit den Grundschulsicherheitslinien unterteilt in den Bereich für große und kleine Buchstaben und für die Haken des kleinen g, damit nichts über die Linie geht), und existiert leider nicht mehr.
Und natürlich war mir damals nicht klar, ob ich es zum Beruf machen würde, dazu bot die Kindheit zu viel Grauen und zu vieles, das auch noch ausprobiert werden wollte. Mit 8 war ich eher sicher, später eine Tierarztpraxis am Hamburger Schulterblatt 20 tun, obwohl ich nicht weiß, wie ich auf diese Straße und die genaue Hausnummer kam. Ebenso sicher war ich, meine Freundin Birgit zu heiraten, die ich dann aber schon nach der sechsten Klasse aus den Augen verloren habe, nachdem sie weggezogen war.
Ein späterer Architekt sagt vielleicht in Interviews, er habe als Kind schon gebaut. Mit Lego-, Holzbausteinen oder Sand am Strand.
Ich finde die Angabe nicht peinlich. Fangen wir nicht alle über das „Kritzeln“ an, uns und unsere Interessen auszuprobieren? Wenn ein Musiker sagt, er habe schon mit 5 Klavierunterricht bekommen und ein Fu0baller von seinem beginn in der G-Jugend erzählt, findet es auch niemand peinlich.
Ich finde vielleicht heute den einen oder anderen Liedtext peinlich, für den ich mit 15 endlich und extra Gitarre gelernt habe, um ihn zu vertonen, andererseits kann man an ihnen auch gut Entwicklungen ablesen, von christlich-missionarischem Eifer über politischen Protest zum Liebeslied. Den Traum, damit Geld zu verdienen, hatte ich mit 17 und es war mir egal, ob mit Liedern oder Geschichten.
Warum ich ihn nicht verwirklichen konnte, führt hier zu weit. Aber dennoch war es mehr als kritzeln 😉
Sehr schöner Text. Wobei ich mich natürlich frage, ob man überhaupt einen genauen Übergang erkennen kann, ab wann jemand schreibt oder eben nur kritzelt. Einen festen Tag wird man da wohl kaum festmachen können.
Ich wage mal zu behaupten, dass die meisten Autoren nie schon von klein auf Autor werden wollten, sie sind es einfach geworden. Aber ohne gerne zu schreiben, wird das sicherlich nichts. Von daher finde ich die Antwort: Ich habe schon in meiner Kindheit gerne geschrieben, gar nicht so verkehrt – sie entspricht doch der Wahrheit 😉
Trotzdem schön zu lesen, wie du dazu gekommen bist.
Hi Florian, was ich „peinlich“ finde, ist ja auch nicht die Tatsache selbst, sondern die Standardfloskelantwort, die ich ebenso wie viele andere Autoren auf diese Frage gebe. Die ist ja total unkreativ und nichtssagend. Aber deinen allerersten Krimi hätte ich ja zu gern mal gelesen! 😉
Hi Jana, den ersten Krimi hat niemand je gelesen. Ich habe ihn beendet, mich kurz darüber gefreut, dann siegte die Angst, dafür versohlt zu werden. Ich habe das Schulheft Seite für Seite zerrissen, weil die Kraft nicht für das ganze Heft auf einmal reichte, und die Schnipsel in eine öffentliche Mülltonne geschmissen, damit meine Brüder sie nicht finden und mich verpetzen konnten.
Warum ich immer Angst hatte, wenn ich schreibe, etwas Verbotenes zu tun und ob ich wirlich dafür verprügelt worden wäre, kann ich nicht sagen.
Ich hatte auch einen Gedichtband von Goethe immer ganz unten in meinem Schrank versteckt, damit ihn blos niemand entdeckt.
Es sind also nur die Texte erhalten, die ich tatsächlich für die Schule geschrieben habe, einige Schulhefte sind aber später als Requisite im Theater benutzt worden (wir hatten die Feuerzangenbowle gespielt) und auch dort geblieben.
HA! Na dann kann ich ja absolut beruhigt sein!
Ich habe mir schon Sorgen gemacht á la: Uh, ich hab auch schon IMMER gelesen und geschrieben und gemalt und bin immer noch keine Autorin Schrägstrich Künstlerin, sowas aber auch, dabei muss das doch zwangsläufig eintreten – immerhin steht das doch in soooo vielen Autoren und Künstlerbeschreibungen!
Und um Florians Komentar aufzugreifen: Genau und bei Archtiekten auch!
Was sagen eigentlich professionelle Kuhbefruchter … ‚Joa,ich hab immer schon gern meinen Arm irgendwo …’*ach Mensch, jetzt kommt’s National Geografic wieder durch*
Spaß beiseite. Es gibt ein paar Sachen die stimmen aber sie sind leider auch wirklich schon viel zu oft gesagt worden.
Schön, dass du dich getraut hast mal in dich zu gehen und mal ernst den Stich heraus zu suchen.
Ich hab‘ schon einmal ernsthaft an einer KG-Ausschreibung teilgenommen und einen ’niedrigen‘ Platz belegt (also ein Trostgeschenk bekommen) aber damit hat’s bei mir noch nicht gereicht etwas durchzuziehen.
Sollte ich aber jemals doch noch was veröffentlichen, dann überleg‘ ich mir jetzt lieber schon mal was ich (nicht) antworte …
Grüße Key/ Barra
Gerade gestern Abend auf einer Lesung wieder erlebt: Der Gastgeber interviewte die Autorin vor ihrer Lesung und stellte die altbekannte Frage: Seit wann schreibst du und warum schreibst du?
Ihr dürft jetzt alle dreimal raten, was die Antwort war. 😛
Hinterher hab ich mich mit ihr noch drüber unterhalten und von meiner Kolumne erzählt. Wir haben beide herzlich gelacht, und sie nahm sich vor, sich mal eingehender mit dieser Frage zu beschäftigen, um beim nächsten Mal eine passendere, einfallsreichere, authentischere Antwort zu geben. 🙂
Hallo Zusammen,
vielleicht sollte man es mal anders herum angehen:
Woher kommt denn diese „Standardfloskel“? Ist es wirklich eine Floskel? Oder sagt sie nicht etwas ganz typisches aus, nämlich, dass die, die sich ernsthaft ans Schreiben wagen, meist schon im Kindesalter damit begonnen haben?
Weil man hier etwas verwirklicht, was schon immer in einem drin steckte, die Freude am fabulieren und schreiben.
Vielleicht sollte es also eher stutzig machen, wenn jemand sagt: Als Kind habe ich eigentlich nie gerne geschrieben. Ich kam erst drauf, als ich einen Roman gelesen habe, den ich richtig schlecht fand und da dachte ich: Das kannt du besser! Oder ähnlich.
Natürlich kommt man als Kind kaum auf die Idee, Autor oder Schriftstellerin zu werden, in Deutschland schon zweimal nicht, denn da galt und gilt teilweise noch heute: Zum Schriftsteller muss man geboren werden, das ist kein Beruf, den man lernen, kann. Entweder man ist ein Genie oder man ist es nicht.
Welches Kind denkt schon, es sei ein Genie?
Wer ein Künstler werden will und dazu gehören ja auch die Autoren, den muss die Leidenschaft treiben, denn das Geld kann nicht locken, auch die Berühmtheit nicht, denn das alles schaffen nur ganz wenige.
Nur wen es wirklich zum Schreiben treibt, der tut sich diese Mühsal an, nicht nur zu schreiben, sondern auch die Verlagssuche, die vielen Absagen, den Herzschmerz, wenn andere über das Werk mit harten Worten Gericht sitzen. Das Klinken putzen, selbst wenn es veröffentlicht wurde. Denn eröffentlicht heißt noch nicht verkauft, nicht rezensiert, und schon gar nicht gerne gelesen.
Nein, ich bin sicher, dass bei vielen, wenn nicht gar den meisten, die zum Schreiben finden, der Drang dazu schon in der Kindheit aufgetaucht ist. Und somit ist es nicht wirklich eine Floskel, sondern die Realität, dass dort oft der Ursprung liegt und sich kein besserer Zeitpunkt ausmache lässt.
Auch ich sage heute, ich habe schon als Kind angefangen. Mit ungefähr 9 Jahren habe ich meine ersten Geschichten erfunden. Kein Aufsätze in der Schule, die habe ich selten gemocht, nein, solche, die ich gerne gelesen hätte. Gekritzel? Für mich nicht. Denn ich habe nicht nur geschrieben, ich habe mich über meine Ideen gefreut und gerne gelesen, was ich gechrieben habe. Fantasygeschichten, Abenteuergeschichten, Geschichen, die lustig waren und solche, die sogar traurig ausgingen. All diese Geschichten habe ich in der berühmten Schublade gesammelt, bis ich tatsächlich rausgewachsen war und sie mir zu kindlich vorkamen. Da habe ich sie in den Müll geworfen, was ich heute noch bedaure.
Und es gab Phasen, in denen ich nicht oder kaum geschrieben, in denen ich zwar was angefangen aber nicht fertig gestellt oder in denen ich nur Ideen skizziert und gar nicht erst angefangen habe.
Und ich bin sicher: All diese „Kritzeleien“ sind wichtige Übungen auf dem Weg zur Autorin gewesen, ganz nach dem Motto: „Früh übt sich, wer ein Meister sein will.“ Denn Schreiben lernt man letzlich nur durch das Schreiben.
Kein Kind ist in irgendetwas ein Genie, doch wer schon früh den Ball kickt, übt Ballgefühl und kaum ein Fußballstar wird wohl erst als Erwachsener damit angefangen haben, kaum ein Musiker seine Liebe zur Musik erst als er nach dem Abi nicht wusste, was er werden sollte.
Bei ihnen werden wir also vermutlich die Floskeln finden: Ich habe schon als Kind gerne Ball / Fußball gespielt / schon als Kind gerne musiziert usw.
Freuen wir uns, wenn wir auf Autoren treffen, die bereits als Kind fürs Schreiben brannten, denn die sind vermutlich diejenigen, die es auch weiterentwickelt haben und bereit sind, sich weiterzuentwickeln.
Viele Grüße
Rosemarie Benke-Bursian
http://www.rosemarie-benke-bursian.de