Auszug aus dem Kurzroman „Sommerglut – Der verhinderte Urlaub“ der Romansammlung Erotische Jahreszeiten von Divina Michaelis:
Sophia schimpfte wie ein Rohrspatz.
„Warum muss mir immer so etwas passieren?“, schrie sie und trat mit dem Turnschuh gegen den Reifen ihres alten Passats. Dann marschierte sie im Stechschritt zum gegenüberliegenden Straßenrand, warf einen Blick in den Graben, in dem das verendete Reh lag, um anschließend wieder zu ihrem Wagen zurückzugehen und sich den Schaden an ihrer Frontpartie anzusehen. Dabei war sie nun schon so langsam unterwegs gewesen, dass alle anderen sie überholt hatten. Und was hatte es ihr genützt? Nichts!
Im Licht der Mittagssonne, das von oben durch die Bäume strahlte, konnte sie einen starken Knick in der Motorhaube sehen. Der Stoßfänger war ziemlich weit eingedrückt, die Lampe hing schief in ihrer Halterung. Und zu allem Überfluss verlor der Wagen noch eine Flüssigkeit, die über die Straße lief. Es roch nach Alkohol. Scheibenreiniger oder Kühlwasser? So wirklich sicher war sie sich nicht, was von beidem das sein konnte, doch als sie die Motorhaube öffnete, um nachzusehen, war der Behälter mit Scheibenwaschwasser noch voll. Sie befürchtete das Schlimmste.
Hilflos lief sie um das Fahrzeug herum, das sie mit Warnblinkanlage am Straßenrand abgestellt hatte. Natürlich wusste sie nicht, wo sie sich gerade befand, und selbst wenn, hätte es ihr auch nichts genützt. Ihr Mobiltelefon lag trocken und sicher in der heimischen Schublade. Seit Beginn ihres Urlaubs ging einfach alles schief.
Eigentlich war geplant, dass sie in den drei Wochen, die sie noch Ferien hatte, die ersten beiden davon mit ihrer Freundin Jana zusammen in den Niederlanden verbringt. Dafür hatten sie sich einen Bungalow gemietet. Sie freute sich auf die neuen Bekanntschaften, die sie dort machen würde. Und vielleicht war auch noch der eine oder andere niedliche Holländer dabei, den sie vernaschen könnte.
In ihrer letzten Woche wollte sie dann ins Ruhrgebiet fahren, da sie sich dort endlich einmal ein Musical ansehen wollte, dass in diesem Jahr seinen letzten Auftritt in Deutschland haben würde. Ihre Freundin hatte bereits nach dem Hollandurlaub keine freien Tage mehr, folglich blieb ihr nichts anderes übrig, als alleine zu fahren. Und es blieb ihr nur noch dieser Teil der Ferien, da sie gleich im Anschluss ihre Ausbildung begann, und dann war mit Urlaub erst einmal nichts mehr.
In der ersten Woche wurde sie bereits am zweiten Tag krank. Nichts war mit neuen Bekanntschaften und süßen Jungs. Hohes Fieber zwang sie ins Bett und die Kreuz- und Kopfschmerzen machten sie beinahe wahnsinnig. Da sie Jana den Spaß nicht verderben wollte, schlug sie jedes Angebot, vorzeitig nach Hause zu fahren, wieder aus. Es ging ihr zudem so schlecht, dass sie glaubte, die Fahrt auch gar nicht überstehen zu können.
Dafür nervte ihre Freundin sie nun wirklich jeden Tag damit, dass sie wohl besser das Hotel stornieren sollte, das sie bereits für ihre letzte Ferienwoche in Bochum gebucht hatte. Doch davon wollte sie nichts wissen. Klar, vernünftiger wäre es gewesen, dennoch wollte sie das Musical auf keinen Fall verpassen.
Am Ende der ersten Woche war sie letztendlich so genervt, dass sie dem Drängen ihrer Freundin nachgab und mit ihr den Heimweg nach Hamburg antrat. Mit einer Paracetamol überstand sie die Fahrt schließlich auch einigermaßen.
Nachdem sie dann also endlich wieder zu Hause waren, tat sie alles dafür, sich auszukurieren, schonte sich, wo es nur ging. Dafür ließ sie sogar Staubsauger und Wäsche liegen und übersah großzügig die immer dicker werdenden Staubflocken unter dem Bett.
Und tatsächlich war sie zuletzt wieder soweit hergestellt, dass sie sich auf den Weg in den Ruhrpott machte – bis ihr das Reh vor die Motorhaube sprang, und auch diesem Teil ihres Urlaubs ein Ende setzte. Dummes Tier!
Im Verlauf der weiteren Geschichte bietet ihr ein Mann seine Hilfe an und nimmt sie mit zu sich nach Hause, wo sie mit seinem vorurteilsbeladenen Sohn aneinanderrasselt, was für sie ziemlich verwirrend ist. Aber ich will hier ja nicht zu viel verraten.
Was war nun wirklich passiert?
Im Juli 2011 reiste ich mit meiner Familie, das heißt mit meinem Mann und meinen beiden nicht mehr ganz so kleinen Töchtern, nach Holland, um in einem Ferienpark Urlaub zu machen. Urplötzlich warf mich hohes Fieber und die oben beschriebenen Symptome von einem Tag zum anderen um, so dass ich weder reisefähig war noch irgendetwas anderes machen konnte.
Natürlich drängte ich meine Familie dazu, dass wenigstens sie sich amüsieren sollten. Erst am vorletzten Tag unseres Urlaubs ging es mir mit Hilfe von Tabletten wieder so weit gut, dass ich die ungefähr sechsstündige Fahrt nach Hause halbwegs aushielt. Meine Familie konnte sich aufgrund meines Elends sowieso nicht so amüsieren, wie sie es sonst tat, also war es für sie kein Problem, dass wir einen Tag früher fuhren. Ich liebe meine loyale Familie!
Die Stelle der nervenden Freundin, die die folgende Reise absagen wollte, nahm mein Mann ein. Denn tatsächlich war ein Hotel in Bochum für eine Woche später gebucht, von dem aus wir nach Oberhausen zu dem Musical „Die Hexen von Oz“ fahren wollten. Dieses Musical hatten wir bereits im Jahr zuvor gesehen, und es hat uns dermaßen gut gefallen, dass wir es vor dem Absetzen des Stückes noch einmal anschauen wollten.
Eben weil ich begierig darauf war, dieses Musical wenigstens noch ein einziges Mal zu sehen, schonte ich mich zu Hause bis zum Gehtnichtmehr und war letztendlich eine Woche nach unserem ersten Urlaubs-Fiasko reisebereit. Die Koffer waren gepackt, mir ging es gut und ich freute mich wie ein Schneekönig auf ein paar schöne Tage in Bochum mit dem entsprechenden Höhepunkt.
Unsere Jüngste sollte derweil in einem Sprachcamp ihre Englischkenntnisse auffrischen. Die Fahrt zum Camp und die nach Bochum waren in einem Abwasch zu erledigen, da es auf der Strecke lag, wenn man nicht Autobahn fuhr.
Nun hatten wir gerade unsere Tochter abgesetzt, mein Mann tankte noch einmal seinen Passat voll und meinte scherzhaft: „Ich hab ihm mal etwas richtig Gutes gegönnt. Dann sollten wir auch schneller da sein.“ In Wahrheit fuhr er allerdings recht langsam durch das waldige Gebiet – so langsam, dass wir ständig überholt wurden, was uns aber auch nicht weiter störte.
Plötzlich sah ich aus dem rechten Augenwinkel ein Reh auf die Straße springen – genau vor unserem Auto. Mein Mann bremste sofort, aber weder er noch das Reh hatten eine Chance. Das Tier schlidderte getroffen quer über die Straße, versank im gegenüberliegenden Graben und wir saßen erst einmal vollkommen perplex in unserem Auto und versuchten das Erlebnis zu verarbeiten. Dann stiegen wir beide aus.
Während mein Mann versuchte, den Schaden an seinem Wagen zu beurteilen, sah ich nach dem Reh. Ihm war leider nicht mehr zu helfen, es war tot. Als ich dann zu meinem Mann zurückging, fluchte er wie ein Berserker. Eine Menge Flüssigkeit lief aus und erst als ich meinem Göttergatten sagte, dass es nach Scheibenwaschwasser roch, beruhigte er sich etwas.
Um es kurz zu machen: Wir riefen die Polizei, die den Unfall aufnahm und uns dann wieder alleine ließ. Entgegen der Befürchtung meines Mannes war das Auto immer noch fahrbereit, wenn auch nicht mehr bis Bochum. Folglich stornierten wir das Hotel, fuhren wieder nach Hause und brachten den Wagen in die Werkstatt.
Der Schaden am Auto, der mehrere tausend Euro betrug, war für uns gar nicht mal das Schlimmste an dem Ganzen. Der Schreck sitzt uns bis heute in den Knochen. Er sorgt dafür, dass wir bewaldetes Gebiet noch vorsichtiger durchfahren als vorher, auch wenn wir wissen, dass uns das nicht wirklich helfen kann, wenn ein Reh ein weiteres Mal beschließen sollte, genau vor unseren Wagen zu springen.
Dieses Erlebnis war die Ursache, warum ich überhaupt diese Geschichte geschrieben habe. Im Kurzroman habe ich natürlich so einiges abgewandelt, denn es sollte ja eine erotische Geschichte werden, eine, die auch ein gutes Ende nimmt. Die Rolle des neuen Passats, der in der Realität gefahren wurde, übernahm mein alter, siebzehn Jahre alter Wagen, den ich schweren Herzens ein paar Jahre vorher verkauft hatte. Ähnlichkeiten gibt es also im ursprünglichen Hergang und dem Auto, nur die Personen sind Fiktion und ebenfalls die folgenden Handlungen. In Wirklichkeit war ich auch noch nie in Celle, dem in der Geschichte nachfolgenden Handlungsort, und musste viel recherchieren, um die Umgebung glaubhaft darzustellen. Aber der Unfall ist tatsächlich auf einer Straße vor Celle passiert. Es hätte also sein können … ;o)