Erst plotten oder gleich schreiben? Oder Wie ich mich schon mal in meiner eigenen Geschichte verheddert habe.

Kolumne_allg_02aVon Patricia Jankowski

Gerade heraus: Ich kann nicht plotten.

Ich habe es versucht, ehrlich! Ich habe die Schneeball-Methode verwendet, ich habe kapitelweise geplottet, Lebensläufe meiner Figuren entwickelt …

Und am Ende war die Geschichte tot, seelenlos. Sie war schon erzählt, wenn auch nur in Stichworten auf Karteikarten.

Ich kann also nicht plotten, auch wenn alle großen Schreibratgeber (die ich gelesen habe) genau dies vorschreiben.

Zum Glück für meinen persönlichen Seelenfrieden fand ich eines Tages „Das Leben und das Schreiben“ vom Altmeister Stephen King, dessen schriftstellerisches Talent ich zutiefst bewundere.

Dieses Buch ist nicht wirklich ein klassischer Schreibratgeber, aber er vermittelt einen recht guten Eindruck davon, wie Mr King arbeitet.

Im Grunde ist es ein Plädoyer für alle Bauchschreiber dieser Welt. All jene Autoren, die ihre Protagonisten kaum kennen, sie dafür in Situationen werfen und sehen, wie sie sich wieder freischwimmen – oder mit Pauken und Trompeten untergehen.

Wie hoch die Erfolgsquote von Bauchschreibern zu Plottern ist, vermag ich nicht zu sagen. Womit hier „Erfolgsquote“ lediglich darauf zielt, wie viele angefangene Romanprojekte tatsächlich abgeschlossen werden und nicht als Totgeburten auf der Festplatte versauern. Ich kenne nicht einmal meine eigene Quote, das würde mich wahrscheinlich nur deprimieren.

Also schreibe ich munter weiter aus dem Bauch heraus.

Wie genau?

Ganz einfach: Ich habe einen Traumfetzen oder vielleicht ein nachklingendes Gefühl, das ein bestimmtes Lied hinterlassen hat.

Ein konkretes Beispiel, das von mir ganz erfolgreich an die Wand gefahren wurde, eben weil ich mich in meiner eigenen Geschichte verheddert hatte – oder vielmehr ihren Umfang überschätzte:

Ich hörte vor einigen Jahren (es muss so 2007 gewesen sein) einen Song von Laith al Deen, der in mir eine Saite zum Klingen gebracht hat. Die Idee zu einer klassischen Heldenreise war geboren, ich wollte etwas Magisches, etwas Epochales schaffen.

Ausgangspunkt waren der junge Ire Aidan und seine Angebetete Briana im Jahr 1086. Ihre Liebesgeschichte wollte ich erzählen, die sich tragisch über 1000 Jahre erstrecken sollte. Ich hatte eine Idee, ich hatte starke Charaktere, einen mächtigen Gegenspieler, ein interessantes Setting und Berge von Hintergrundinformation.

Dann war nach gut 350 Seiten die tragische Liebesgeschichte erzählt, und nun sollte die Heldenreise beginnen. Über 1000 Jahre.

Und genau diese 1000 Jahre standen wie ein Felsmassiv vor mir, kaum zu überwinden, der Gipfel hoch oben in den Wolken verborgen.

Die Motivation – und auch die Inspiration! – ging erst einmal auf Tauchstation. Denn wenn ich für jedes Jahr von Aidans Reise auch nur eine Seite geschrieben hätte, wären 1000 Seiten entstanden! Diese Masse schien mir unmöglich, interessant bewältigt zu werden.

Somit verschwand der Roman in der virtuellen Schublade und dämmerte dort vor sich hin.

Aber jedes Mal, wenn ich etwas von Laith al Deen hörte, klopfte Aidan bei mir an und wies mich höflich darauf hin, dass seine Geschichte noch nicht zu Ende erzählt war.

Ich wies ihn jedes Mal mit einer fadenscheinigen Ausrede zurück, vertröstete ihn auf später.

In der Zwischenzeit hatte ich ein anderes recht umfangreiches Werk beendet, die „Seelenchronik“. Und auch diese Protagonisten waren mit ihrer Geschichte noch nicht zufrieden, sie wollten weitere Abenteuer erleben.

So begann ich im letzten Sommer einen weiteren Roman, der den Werdegang der „Kräuterhexe“ aus der Seelenchronik aufgriff. Famke sollte den Raum für ihre eigene Geschichte bekommen, deren Ausgang in der Seelenchronik für manche Leser unbefriedigt geblieben war.

Auch hier begann ich erneut, aus dem Bauch heraus eine Geschichte zu entwickeln. Zu Famke gesellte sich sehr schnell ein Engel, der sich leicht neben den von Gott vorgegebenen Pfaden bewegte, um sein langweiliges himmlisches Leben mit ein wenig Abenteuer zu füllen.

Nach und nach fanden sich weitere alte Bekannte und neue Figuren ein, die einen munteren Reigen bildeten. Alle auf der Jagd nach einem Artefakt, von dem ich anfangs keine Ahnung hatte, was es überhaupt war. Auch der Engel konnte keine Details erfahren, denn die Akte dessen lag unter Verschluss, von Gott persönlich versiegelt, weil es gegen das Erste Gebot verstieß.

Und da machte es Klick. Da war er wieder, der traurige, getriebene Ire, der immer noch das Ende seiner Geschichte verlangte!

Ich hatte durch eine vollkommen neue Geschichte die Möglichkeit gefunden, Aidans Heldenreise zu einem Ende zu bringen. Der Kreis konnte sich endlich schließen.

Ich hoffe, dass diesmal nicht zu viele offene Fragen bleiben werden.

Gut, ein Plotter hätte sicherlich weniger Arbeit beim Überarbeiten, denn meine galoppierende Bauchgeschichte nahm zwischendurch zwei, drei Mal eine Wendung, die ich beim Überarbeiten angleichen muss.

Aber ich hätte durch reines Plotten niemals dieses grandiose Ende für meine verkorkste Heldenreise gefunden.

Stolperfallen und verknotete rote Fäden, Protagonisten, die überhaupt nicht das tun, was man ihnen zugedacht hatte.

All das wartet auf einen Bauchschreiber. Aber gerade das macht den Reiz für mich aus.

Ich schließe hier mit einem Zitat von Graham Greene: „Es kommt der Moment, in dem ein Charakter etwas tut oder sagt, über das Du nicht nachgedacht hattest. In dem Moment ist er lebendig und Du überlässt den Rest ihm.“

Patricia Jankowski

 

9 Replies to “Erst plotten oder gleich schreiben? Oder Wie ich mich schon mal in meiner eigenen Geschichte verheddert habe.”

  1. David Pawn

    Danke! Danke! Danke! Und ich dachte immer, ich bin (außer Mr. King) der einzige, der nur so schreiben kann. Und es ist auch genau dieses „Alle schon erzählt“, dass mich am Plotten hindert. Wenn ich weiß, wie mein Buch ausgeht, habe ich keine Lust mehr, es zu schreiben. Ich muss mir quasi die Geschichte selbst erzählen. Hin und wieder taste ich mich von Kapitel zu Kapitel vor, versuche wenigstens die nächsten zwanzig Seiten vorzuplanen, aber dann werde ich schon ungeduldig, wenn ich die ersten Zeilen schreibe, wann dieser vorgedachte Text endlich abgearbeitet ist.

    1. Patricia Jankowski

      Danke für deine Erfahrung!
      Ja, man kann beides versuchen, findet aber wohl irgendwann für sich den passenden Weg.

  2. Thomas Gawehns

    Vermutlich kann bin ich gar nicht richtig berechtigt hier eine Meinung zu haben. Bin ja nur ein Autor in Planung. Aber ohne Plot geht bei mir nichts. Selbst bei kleinen Beiträgen überlege ich mir Personen, Handlung, Perspektive und dann erst geht es ans Schreiben.

  3. Romy Wolf

    Sehr schöner Artikel 🙂 Allerdings bin ich dann wohl so eine Art Zwitter, weil ich vorher ziemlich genau plotte, und sich beim Schreiben trotzdem immer noch ungeplante Wendungen ergeben und neue Figuren dazustoßen 🙂

      1. David Pawn

        Ich glaube, so handhaben es die meisten Autoren. Die Nicht-Plotter sind deutlich in der Minderheit. Man hat als Autor ein wenig Minderwertigkeitskomplexe, wenn man das zugeben muss.
        „Was du schreibst vorher keinen Plot?“
        „Mmh.“
        „Mein Gott, was hast du noch zu gestehen? Orangenhaut? Nagelpilz?“

  4. Daniel Dekkard

    Ich bin Hardcore-Konstrukteur. Leute, die aus dem Bauch heraus schreiben und eine tolle, stimmige Geschichte hinlegen, sind für mich dicht am Genie. Das könnte ich nicht.Ich würde mich heillos verzetteln oder mir die zehnfache Arbeit machen, weil ich nur am Umschreiben wäre. Dabei dient der Plot als grobes Gerüst nur der Kontrolle über den Spannungsbogen und ob die wichtigsten Wendungen an der richtigen Stelle sitzen. Das ist für mich übrigens schon der Akt des Schreibens, weil beim Plotten bereits reichlich Ideen fließen. Aber es geht mir wie Romy: Beim eigentlichen Schreiben gibt´s saftige Überraschungen. Und oft fällt einem noch was besseres als das ursprünglich Geplante ein. Biographien zu den Figuren lege ich nie an. Die kommen immer von selbst. Das ist, als wenn ständig Wildfremde an meiner Haustür klingeln und sagen: „Hallo, ich der Herr oder Frau Sowieso. Ich glaube, ich würde mich ganz gut in Ihrer Geschichte machen.“ Dann unterhalten wir uns ein bisschen und wenn´s passt, sage ich: „Ja, kommen Sie rein. Auf jemanden wie Sie hab ich schon gewartet.“
    Das tun die noch mittendrin. Einmal habe ich nach bereits 4 abgeschlossenen Kapiteln aus einer männlichen eine weibliche Figur gemacht. Einfach, weil die entsprechende Dame mich an der Haustür überzeugt hat, dass die Sache dann knalliger wird.

  5. Stefanie Hasse

    Ich bin einfach nur froh, dass ich mit diesem (von den Schreibratgebern aufgestempelten) Problem nicht allein dastehe.

    Ich habe für den Trilogie-Abschluss zum ersten Mal geplottet (man will es ja richtig machen) und auf zehn bis zwanzig Seiten alles schön erzählt.

    Tja, dann kamen die Charaktere… Als ich mich nämlich schön von „Stichpunkt zu Stichpunkt“ hangeln wollte, haben die den Kopf geschüttelt und gesagt: „Vergiss es! Ich mache das jetzt so!“
    Ich war überrascht, hab sie machen lassen, die Geschichte ist besser als sie nach dem Plotten gewesen wäre (und ich habe viele Seiten Papier umsonst bekritzelt!).

    Ich stimme David Pawn zu: Wenn ich alles schon weiß, ist es langweilig und die Lust, die Geschichte zu erzählen, vergeht.

    Jetzt mache ich es wieder wie früher: Ich überlege immer mal wieder, wie es weitergehen könnte, behalte das im Kopf und lasse es raus – Richtungen, aber keine Pläne 🙂