Patrick Kessler über das Buch:
Zwei junge Männer treten aus einer stickigen Bar in die kalte Nacht hinaus. Es ist früher Samstagmorgen, kaum jemand auf den Straßen unterwegs. Die zwei lassen die Bar und ihre Freunde hinter sich und machen sich auf den Weg zum Bahnhof. Dort angekommen entdecken sie einen Mann, der blutend am Boden liegt. Was dann geschieht, entzieht sich jeder Erklärung: Sie treten den am Boden Liegenden tot. Und verlassen ungesehen den Tatort. Ihre blutigen Schuhe sind der einzige Beweis für ihre Tat, alle anderen Spuren werden vom Regen weggewaschen.
Im Zentrum dieses Buches steht nicht die Aufklärung der Tat. Es ist klar, wer wen getötet hat. In „Menschen, die passieren – #2: Zur Sache“ wird auch nicht erklärt, weshalb die zwei jungen Männer zutraten, als sich ihnen die Gelegenheit bot. Ihre Motive und Beweggründe werden höchstens nebenbei beleuchtet und angedeutet. Die Spannung dieses Buches entsteht daraus, dass man die beiden dabei beobachtet, wie sie mit den Konsequenzen und Nachwirkungen ihres Verbrechens umgehen. Damit ähnelt das Buch Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“, in dem kein Kriminalfall gelöst, sondern ein Täter mit seiner Tat allein gelassen wird. Mit einer Tat, die ihn nicht mehr loslässt und mit der Zeit zermürbt.
In „Zur Sache“ ist das soziokulturelle und philosophische Setting jedoch ein anderes als in „Verbrechen und Strafe“. Und es sind zwei Täter statt nur einem. Markus und Criss haben den Unbekannten gemeinsam getötet, aus Freunden sind Komplizen geworden. Die Dynamik der Handlung wird vom Konflikt der beiden bestimmt. Es ist vor allem Markus, der sich vor Criss fürchtet. Criss ist ein nervöser und labiler Charakter, drogenabhängig und verzweifelt, Markus erwartet jederzeit, dass Criss sie und ihre Tat verrät. Die Situation eskaliert immer mehr, weshalb Markus sich entschließt, Criss loszuwerden. Er weiß nur noch nicht, wie.
Die Charaktere, die in „Zur Sache“ auftreten, sind bereits aus dem ersten Buch der Reihe „Menschen, die passieren“ bekannt. In der #1 „Personenminiaturen“ feiern sie alle gemeinsam in ihrer Lieblingsbar, es ist eine ganz gewöhnliche Wochenendnacht. Markus und Criss sind Feiernde unter Feiernden, gleiche unter gleichen, nichts deutet darauf hin, dass sie nur wenige Minute nach dem Verlassen der Party jemanden umbringen werden. Ihr Verbrechen macht die beiden zu den Protagonisten der #2, die anderen Charaktere treten nur noch als Nebenfiguren auf. Trotz dieser Verbindung und Kontinuität, die zwischen der #1 und #2 besteht, funktioniert „Zur Sache“ als vollkommen eigenständiges Buch. In ihm herrscht eine andere, viel kältere und klarer Stimmung, und es spricht ein anderer Erzähler. Der Text zeichnet sich aus durch seine feinen psychologischen Beobachtungen und seine präzise und knallhart direkte Sprache. Man muss Markus und Criss nicht beim Feiern beobachtet haben, um von ihrer Tat und ihrem Kampf gegeneinander lesen zu können.
Gratisdownload beendet