Der Ball ist rund, das Tor eckig, eine Medaille hat zwei Seiten, und wenn ich das sage, zahle ich 5 € ins Phrasenschwein. Das sind Allerweltsweisheiten, feste Redewendungen, die sich in unseren Wortschatz so sehr eingenistet haben, dass der Wahrheitsgehalt, durch den sie die Popularität erlangen konnten, darüber verloren gegangen scheint.
Vor genau einer Woche veröffentliche Bernd Fleisig, alias spiegelbest, alias Buchpirat, alias Troll bei Qindie seine Kolumne „Was ein Pirat den Autoren zu sagen hat“ oder so ähnlich.
Und obwohl viele deutlich erkannten, er hätte ihnen gar nichts zu sagen oder jedenfalls nichts von Relevanz, war die Aufregung groß.
Ich möchte mich mal nicht mit spiegelbest, den Inhalten, Vorschlägen, die dabei herausgekommen sind, beschäftigen, sondern mit einem Phänomen, das ich nicht nur in diesem Zusammenhang, sondern allgemein auf Facebook, in Foren oder anderen sozialen Netzwerken beobachte.
Und die haben etwas mit diesen Allerweltsweisheiten zu tun. Genauer mit der Medaille und deren zwei Seiten.
Als Autoren leben wir (wenn auch nicht im materiellen, sondern im unterhaltenden Sinne) genau davon. Die Welt ist nicht ein- oder zweidimensional, nicht einmal die Menschen, die darauf leben, sind dies, sondern höchstens die Papp- oder Papierkameraden auf Plakatwänden.
Für einen Krimiautor liegt die Spannung vielleicht in einem Mordmotiv, bei dem der ermittelnden Kommissar und der Leser am Ende bei der Auflösung bedauern, den Täter verhaften zu müssen und nicht das Arschloch, das er getötet hat. Und schrieben wir Romane, in denen die Täter nur böse sind, die Opfer nur gut, schlügen die Leser uns diese Langeweile mit Recht um die Ohren.
Nicht einmal die Frage, was böse ist, was gut, lässt sich immer klar beantworten. Und selbst, wenn eine Tat böse ist, kann der Mensch, der sie begangen hat, jemand mit großem Einfühlungsvermögen sein. Die Brüche in Menschen und Dingen sind täglicher Bestandteil unserer Arbeit. Wir Autoren wissen darum und somit auch um die Spannung, die daraus entsteht.
Aus Bösem kann Gutes wachsen, aus Gutem Böses, „das Gegenteil von gut ist gut gemeint“, das sind auch so Phrasen, Schnellschüsse, vielleicht mal hübsche Bonmots gewesen, die aber nur dazu werden konnten, weil sie so einleuchtend sind. Dazu muss ich nicht idealistische Diktatoren nehmen, die in ihrem Wahn die Welt zu verbessern, Diktatur und Unterdrückung schufen. Dazu muss ich nicht Orwells „Farm der Tiere“ bemühen und dazu muss ich auch nicht die großartigen Werke bemühen, die wir den grausamen Lebensläufen ihrer Autoren zu verdanken haben.
Das alles würde ich für spiegelbest als unangemessene Erhöhung empfinden, aber die Rigorosität, mit der gewertet, geurteilt und gehandelt wurde, fand ich zum Teil sehr schade.
Die Entschlossenheit, mit der manche gingen, hat mich nicht nur Qindies wegen traurig gemacht, sondern der Kollegen wegen, die ich schätze und die gegangen sind. Ich hätte mir so sehr gewünscht, sie würden nicht wegen einer Entscheidung, die sie als Fehler sehen, sofort eine tolle Idee über den Haufen werfen, anstatt sich auseinanderzusetzen. Wenn ein Freund eine Dummheit begeht, vielleicht sogar eine Straftat, kündige ich ihm dann immer gleich die Freundschaft?
Natürlich, da sind Gefühle im Spiel, selbst bei Qindie und Piraten, selbst in der Interaktion untereinander. Da schmerzen Verletzungen, reale oder geglaubte Chancen, da juckt die mangelnde Akzeptanz für geleistete Arbeit, mit der man sich als Autor auch immer (hoffe ich doch) identifiziert. Da fühlt sich der eine oder andere nicht mitgenommen und fragt sich, ob er künftig mitgenommen wird.
Ich kann verstehen, wenn jemand sofort geht, aber ich bedaure es und ich halte es vor allem nicht für richtig. Denn das „Wir“ entsteht aus dem Streit darum, aus den Konflikten um die Gestaltung, aus den zwei Seiten, die erst zusammen die Medaille ergeben, aus dem Runden, das erst, wenn es ins Eckige trifft, zum Erfolg führt.