In einer der prächtigen Moscheen Istanbuls wurde mir unlängst erklärt, die Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft seien keine »Mohammedaner«, wie ich formuliert hatte. Das sei herabwürdigend, hieß es. Korrekt sei die Bezeichnung »Muslime«. – Kein Problem, es muss einem doch nur gesagt werden, ich selbst glaube an die Macht des Wortes statt an Götter.
In meiner Autobiografie stand in einem Nebensatz, dass ich anno Tobak unter anderem »Eskimos« besuchte. Inzwischen entschuldige ich mich in aller Form für diese Herabwürdigung, es waren selbstverständlich »Inuit«, denen mein Interesse galt.
Dass ich spanische Gitanos in einer Reportage als »Zigeuner« bezeichnete – obwohl sie selbst sich so nennen –, hat mir in einem Internet-Forum den giftigen Vorwurf eingehandelt, ich sei »Antiziganist«. Zwar weiß ich bis heute nicht, was an dem Begriff »Zigeuner« Verwerfliches sein soll. Aber es schickt sich inzwischen, wohl besser von Sinti und Roma zu sprechen, will man unbeschädigt durchs Sprachlabyrinth eilen. Ich habe meine damaligen Gesprächspartner übrigens gefragt, ob ich jetzt auch bei ihnen zur Fahndung ausgeschrieben sei, weil ich das Unwort zu Papier gebracht hätte. Sie lachten herzlich und boten mir einen guten Schluck Roten an. Wir sangen später gemeinsam das Auftrittslied des Zsupán »Ja, das Schreiben und das Lesen« aus der zeitgemäß umgetauften Johann-Strauss-Operette »Der Sinti- und Roma-Baron«
In diesem Zusammenhang fällt wohl jedem das Kinderlied »Zehn kleine Negerlein« ein, das derzeit ersetzt wird mit »Zehn kleine stark Pigmentierte«. Oder das wunderschöne Märchen von »Zwerg Nase«, das künftig »Der Kleinwüchsige namens Nase« heißen wird und damit in bester Gesellschaft steht mit »Schneewittchen und die sieben Kleinwüchsigen«. Wilhelm Hauff und die Gebrüder Grimm, ihres Zeichens Sprachwissenschaftler, rotieren vermutlich in ihren Gräbern.
Nun ist der Reglementierungswahn gegenüber der schreibenden Zunft keine Erfindung der Neuzeit. Berühmt ist die Prüderie des 19. Jahrhunderts. Der englische Schriftsteller Frederick Marryat (»The Phantom Ship« und andere Seefahrerromane) musste sich den Vorwurf gefallen lassen, er habe den Begriff »leg« (»Bein«) in Bezug auf eine Dame gebraucht, das sei unschicklich. Selbst ein Hühnerbein durfte im Englischen lange Zeit nicht als »leg« bezeichnet werden – bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nannte man es »drumstick« (»Trommelschlegel«). Ein Bruststück wurde als »white meat« (»weißes Fleisch«) bezeichnet, und selbstverständlich war auch das Wort »breast« tabuisiert.
Noch strengere Sprachzensoren als die Engländer unter Königin Viktoria waren aber die Amerikaner. Warum heißt der Hahn im Amerikanischen nicht »cock« sondern »rooster«? – Weil die älteren Wörter »cock« und »stones« unter anderem auch »unanständige« Bedeutungen hatten: »cock« ist ein volkstümliches Wort für »Penis«, und »stones« bedeutet in der englischen King James Bible (Hiob 40.17) »Hoden«. Ergo wurden diese »gefährlichen« Wörter durch weniger verfängliche ersetzt.
Im deutschen Sprachraum war es ähnlich. Von einer »Hose« durfte man lange Zeit in Bezug auf das weibliche Geschlecht nicht sprechen, höchstens von einem »Beinkleid«. Sigmund Freud berichtet in seiner »Psychopathologie des Alltagslebens« von der sexuellen Anstößigkeit des Begriffs. Tatsächlich war Marlene Dietrich eine der ersten Frauen, die öffentlich Hosen trug und sie auch als solche bezeichnete.
Was ist sprachlich korrekt, was steht auf dem Index? Wer setzt die Normen, wer bestimmt, was diskriminierend ist und was nicht? Welche Lobby rührt im Wortbrei und erzwingt bisweilen abenteuerliche Wortkonstruktionen?
Der Phantasie des Autors sind angeblich keine Grenzen gesetzt. Oder vielleicht doch?