Von Susanne Gerdom
Ich war neulich nach langer Zeit mal wieder beim Chinesen. Da steigen Kindheitserinnerungen hoch, und nach dem Verlassen des Lokals steigt oft auch noch ganz was anderes …
Dieses Restaurant bietet immerhin die Option an, dass man „ohne Geschmacksverstärker“ bestellen kann. Also ohne Glutamatschock, das erleichtert dem Verdauungstrakt die Arbeit. Trotzdem, ich habe auch dieses Restaurant mit dem Gefühl verlassen, mir seltsame Dinge zugeführt zu haben, eigenartig verwürzt und alles andere als bekömmlich. Aber es war das seit Jahrzehnten altgewohnte Zeug und ich habe nicht lange warten müssen.
Was hat das mit Büchern zu tun?
Ich gehöre noch zu der Generation, die sich darüber mokieren durfte, dass bei den Großeltern solche unglaublich scheußlichen Reproduktionen über dem Sofa oder dem Bett hingen. Glutäugige Zigeunerinnen. Röhrende Hirsche. Ein Schutzengel, der zwei Kindlein in kurzen Hemdchen über einen reißenden Fluss geleitet.
Heute hängen andere scheußliche Reproduktionen über der Sitzlandschaft oder dem Wasserbett. Gerne von IKEA.
WAS hat das, zum Donnerwetter, mit Büchern zu tun?!
Frau Gercke, die schreibende Flugbegleiterin, hat wieder zugeschlagen. Dieses Mal hat sie, um Zeit und Nerven zu sparen, sich selbst geplatzhaltert. So weit man das beurteilen kann – denn wie hoch der Prozentsatz an eigener Kreativität in ihren Büchern ist, weiß ja allein Frau Gercke.
Wie auch immer, sie gießt mittlerweile sich selbst zum zweiten Mal auf. Gut schütteln, der Wiederverwertungs-Cocktail wird schon schmecken.
Und damit wären wir bei den Büchern.
Qindie lehnt hier und da auch mal Autoren, bzw. ihre Bücher ab. Das läuft mit nachvollziehbaren Kriterien – Handwerk steht ganz groß oben über unserem Katalog.
Die Verkaufszahlen der begutachteten Bücher spielen dabei keine Rolle. Die gehören ja nicht zum Handwerk – siehe Frau Gercke mit ihrer stabilen Fanbase, die sich auch über umgerührte Platzhalter hinter einem neuen Cover freut.
Nein, liebe Autorin, die uns wegen unserer Absage tief getroffen beschimpfte: Nein, Verkaufszahlen sind leider kein Garant dafür, dass Ihr Buch ein gutes Buch ist. Es ist ein schlechtes Buch, selbst wenn eine Million Menschen es kauft, liest und begeistert bewertet.
Auch die glutäugige Zigeunerin fand tausendfachen Absatz. Auch das Chinarestaurant bei mir um die Ecke wird hervorragend frequentiert.
Aber schlecht ist es trotzdem.
Warum, o lesendes Publikum, warum gebt ihr euch so leicht zufrieden? Ihr könnt doch aus der Fülle, ja, Überfülle wählen. Ihr müsst nicht beim Chinesen essen, der euch mit verwürztem Pamps füttert, der nur deshalb zu schmecken scheint, weil er mit Glutamat angereichert wurde.
Ihr müsst euch nicht das moderne Äquivalent eines röhrenden Hirsches in die Wohnung hängen.
Ihr müsst keine Bücher lesen, die schlecht sind. Es gibt Tausende von guten Büchern, nehmt doch die!
Was passiert, wenn man immer beim Chinesen (beim „Amerikaner“, in der Dönerbude nebenan …) isst? Stimmt. Man versaut sich die Geschmacksnerven.
Und das Gleiche gilt auch für Bücher, die man konsumiert. Wenn man immer nur den schlechten Stil, das mangelhafte Handwerk, die holprige Sprache zu lesen bekommt, dann glaubt man am Ende, das müsste so sein und das wäre die wahre Kunstfertigkeit.
Und, noch schlimmer: Eine Generation später glauben die Autoren und Autorinnen, sie müssten so schreiben!
Und schon ist die Gercksche Verwässerung am Werk. Schüttelt und rührt, so viel ihr wollt: Aus Scheiße wird auch durch heftiges Verquirlen kein Gold.
Schult eure Geschmacksnerven. Lest zu diesem Zweck ruhig ab und zu mal einen Klassiker. (Nein, die sind nicht langweilig und öde! Die haben die Zeit überdauert, weil sie gut sind!)
Fragt euch, wenn ihr den tausendsten Aufguss eines Schwertschwinger-, reicher-Mann- trifft-devote-junge-Frau-, Glitzervampir-, Zombieromans lest, ob das, was ihr da lest, die Lebenszeit wirklich wert ist, die ihr investiert. Auch Unterhaltung darf einen Mindeststandard an Anspruch erfüllen und sei es nur, dass sie handwerklich anständig gemacht ist.
Gebt euch nicht so verdammt schnell mit Fast Food zufrieden. Kaut mal ein bisschen länger an einem Text. Freut euch an einem anspruchsvolleren Plot, schwingt mit einer schönen Sprache mit, verfolgt Figuren auf ihrem Weg, die eine Dimension mehr haben als der übliche Pappfigurenscherenschnitt nach dem Musterbuch für schnell zusammengegerckte Massenware.
Lasst euch nicht so verdammt schnell mit Scheiße abspeisen. Fresst nicht immer nur die billige Dutzendware, das Zeug aus dem Discounter-Regal. Schiebt mal ein schönes Buch aus frischen Zutaten dazwischen, eins, bei dem man noch die Gewürze schmecken kann und nicht nur die Geschmacksverstärker, die alles totschlagen, was echt, gut und schmackhaft ist.
Gebt euch nicht mit Gegercktem zufrieden! Ihr seid die Leser, ihr habt die Macht! Und wenn sie euch noch so eindringlich verkaufen, dass ihr das Zeug haben wollt, all das klickibunte, hüpfende, zuckende, knallige, laute und leere Wiedergekäute und Nachgebaute aus tausendfacher Verdünnung und Verdummung – IHR entscheidet.
Ich warte auf den Tag, an dem die Leser sich die Stapelware bei einer der großen Buch- und Haushaltswarenketten ansehen und angewidert „Bah! Geschmacksverstärker!“ sagen. Und sich dann die liebevoll handgearbeiteten Bücher kaufen, bei denen man die Zutaten noch rausschmecken kann.
Werde ich das erleben?
Es liegt an euch.