Klappe, die Erste [Kolumne: Der Anfang vom Ende?]

Der Anfang vom Ende KolumneVon Maria M. Lacroix

In dieser Rubrik möchte ich mir immer zum ersten Samstag des Monats den Anfang von 5 verschiedenen Qindie-Büchern ansehen, genauer beleuchten und analysieren. Denn der Beginn eines Romans animiert den Leser entweder dazu weiterzulesen oder das Buch zuzuklappen.

Zur Einführung zeige ich an einem Beispiel aus der Weltliteratur wie ich vorgehe, bevor es mit den Büchern aus dem Qindie-Regal losgeht …

 

„Ich verstehe …“, sagte der Vampir nachdenklich und ging langsam durch das Zimmer zum Fenster hinüber.

Ein schöner, neugierig machender erster Satz. Man bekommt allerhand Informationen. Zum einen geht es um einen Vampir (die ich persönlich über alles liebe – zumindest bevor es mit dem Funkeln losging), offenbar von ruhigem Gemüt, und man befindet sich mit ihm in einem Raum. Zum anderen möchte man wissen, worauf sich das, was er gesagt hat bezieht … es muss sich also eine andere Person im Raum befinden. Wer? Und worüber sprechen sie, was einen Vampir nachdenklich stimmen könnte?

Aus: Gespräch mit einem Vampir von Anne Rice.

 

Nun zu den Qindies …

Es war schon seltsam, hier auf der Bank am Main zu sitzen. Nach einem langen und langweiligen Tag hatte ich mich dazu entschlossen mir mit einem Burger und einer Cola den wahrscheinlich genauso langweiligen Abend zu versüßen.

Wenn ich mir den Beginn ansehe, bekomme ich Lust weiterzulesen. Hier erzählt jemand, der viel arbeitet (einen harten Job hat?), und alleine zu sein scheint. Er/sie sitzt am Feierabend alleine auf einer Bank am Main und erachtet Junk-Food als „Versüßung des Abends“. Die Person macht auf mich einen einsamen Eindruck, sodass ich mich frage: Was ist das für eine Art Job, den sie macht?

Aus: Vampire und andere Viecher von Klarissa Klein

 

Ich sitze weit nach hinten gebeugt auf diesem harten Stuhl. Meine Arme sind mit Handschellen gefesselt, Lederbänder zurren mich fest an die Lehne. Mir tut der Rücken weh.

Erotik? Thriller? Erotic Thrill vermutlich. Die ersten Sätze klingen – da es sich nicht um einen reinen „Spanking“-Roman á la „Fifty Shades …“ zu handeln scheint – vielversprechend. Jemand (vermutlich eine Frau) ist auf einem Stuhl in einer unbequemen Pose gefesselt. Ob freiwillig oder nicht, weiß man nicht. Allerdings finde ich das „auf diesem Stuhl“ deplatziert. Ich kenne den Stuhl nicht, bin ihm – da es sich um die ersten Sätze handelt – noch nie zuvor begegnet. Müsste ich den Beginn umschreiben, würde ich wohl „einem Stuhl“ schreiben und dann – falls nötig – eine kurze Erklärung zu dem Stuhl geben. Also:  „Ich sitze weit nach hinten gebeugt auf einem harten Stuhl. Den hatte mein Peiniger zuvor aus der Abstellkammer/meinem Büro/der Küche/etc. geholt. Meine Arme…“ Oder so ähnlich … Dann könnte man auch gleich besser einordnen, was einen in der Geschichte erwartet. Würde man das Wort „Peiniger“ mit „Liebhaber“ austauschen (oder gar „Ehefrau“ ;)), würde sich die gesamte Stimmung des Beginns dieser Geschichte verändern.

Aus: Calendar Girl von Franziska Hille

 

Am Dienstag war Tessa achtzehn geworden. Von nun an galt sie vor dem Gesetz als erwachsen. Tessa fühlte sich schon seit Jahren erwachsen. Und auch die Männer blickten ihr schon lange so hinterher, wie man einer Frau hinterher sah: Ihnen lief das Wasser im Mund zusammen bei Tessas Anblick. Und Tessa wusste das.

Vielleicht bin ich nicht die richtige Zielgruppe, aber mich animiert dieser Beginn ganz und gar nicht dazu weiterzulesen. Den zweiten Satz könnte man meines Erachtens ersatzlos streichen, da jeder die Gesetzeslage kennt. Irgendwie passt dieser nüchterne Einschub nicht. Auch die ständige Wiederholung des Namens schafft Distanz zum Leser, statt – nachdem man den Namen einmal genannt hat – in den Deep Point of View zu wechseln. Jedes Mal, wenn der Name genannt wird, wird von der Person weggezoomt. Mir ist das in dem kurzen Abschnitt zu oft „Tessa, Tessa, Tessa“. Beim dritten und vierten Satz erscheinen automatisch Fragezeichen in meinem Kopf. Wenn sie gerade achtzehn geworden ist, wie kann sie sich „seit Jahren“ erwachsen fühlen? Seit wann? Seitdem sie zwölf ist? Dreizehn? Auch die Aussage „Männer sahen ihr hinterher, wie man einer Frau hinterher sah“, stört mich. Ja, wie haben Männer denn einer Frau hinterherzusehen? Ist das nicht sehr verallgemeinernd und sexistisch? Und dann: „Ihnen lief das Wasser im Mund zusammen bei Tessas Anblick.“ Die armen Männer werden hier gleich zu hirnlosen, sabbernden Triebtätern degradiert. Ich bin sicher, dass es solche Herren gibt … aber es gibt sicher auch andere Männer. 😉

Tessa macht auf mich zudem gleich zu Beginn einen sehr unsympathischen Eindruck. Abgebrüht, Lolita-artig. Naja, wie gesagt … ich bin vermutlich die falsche Zielgruppe … für Fans erotischer Geschichten könnte das anders aussehen.

Aus: Discoqueen – Ein Mädchen entdeckt die Lust von Joleen Carter

 

Zum Glück ist Wochenende. Gerade bin ich aufgewacht, weil ich mal muss. Ich mache nur ein Auge auf, als ich zum Bad tappe. Während ich auf der Toilette sitze, versuche ich nicht aufzuwachen. Nicht richtig jedenfalls. Ich hatte so schön geträumt. Blöde Blase! Schnell krieche ich in mein warmes Bett zurück und schließe die Augen. Aber es klappt nicht. Der Traum ist zerplatzt. Wie immer!

Klasse! Schöne klare Sprache. Und das Buch beginnt mit einem starken Wiedererkennungswert. Wer war nicht schon mal in der Situation etwas zu träumen, dann aufzuwachen und zu versuchen den Traum zurückzubekommen? Man will wissen, was der/die Erzähler/in geträumt hat und inwiefern das noch eine Rolle spielen wird. Die Gefühle, die Empfindung werden hier wunderbar transportiert. Klares Weiterlesungs-Potential.

Aus: Oliver. Peace of Mind von Nicole Schröter

 

Jahrhundertelang mussten Autoren auf der Suche nach einem Verlag die Rolle von Bittstellern einnehmen, um den Traum vom eigenen Buch zu verwirklichen. Im 21. Jahrhundert wird das grundlegend anders.

Ha! Das spricht mich als Autorin natürlich gleich an. Klare Ansage: So war es bisher – so ist es jetzt. Für Autoren, die sich im digitalen Zeitalter dafür interessieren, wie sie ihr Buch selbst an den Mann (an die Frau) bringen können, verspricht der Anfang darüber zu erklären. Zudem sorgt die „Verbrüderung“ (Hey, bisher mussten wir Bittsteller spielen, jetzt nicht mehr) gleich für ein gutes Gefühl und man möchte weiterlesen.

Aus: Autor sucht Verleger von Ruprecht Frieling